Heimatkalender

Ein Überfall auf das Kloster St. Thomas

Heimatkalender des Kreises Bitburg 1961 S. 132-136
nach Akten des Staatsarchivs Koblenz
von Dr. Benedikt Caspar

Wer barocke Kirchen betritt, wird immer noch in den Bann jener bedeutenden Kunstepoche hineingezogen. Aber bei aller katholischen Bewegung, die das barocke 18. Jahrhundert auszeichnete, hatte es auch seine gefährlichen und glaubensfeindlichen Strebungen. Es ist auch das Zeitalter der sogenannten „Aufklärung“, einer Geistesrichtung, die von England kam. Sie leugnete die über natürliche Offenbarung und ließ nur den Verstand für die Religion gelten. Von den Lehren des Christentums hatten nur diejenigen Bedeutung, die an der Vernunft gemessen werden konnten. Das Ziel der „Aufklärung“ war eine über allen Bekenntnissen stehende Universalreligion: die Anerkennung eines Gottes, des Weltenbaumeisters und -ordners, der Willensfreiheit, der Unsterblichkeit der Seele, eines allgemeinmoralischen Bewußtseins und einer Vergeltung im Jenseits. Das Christentum mit geoffenbarten, über dem Verstand liegenden Wahrheiten aber lehnte sie ab. Christus war ihr der idealste aller Menschen, in dem die Religion ihre feinste Fassung erhielt.

Im Frankreich des sittenlosen Ludwig XV. (1715/74) erhielt die „Aufklärung“ einen ausgesprochen kirchenfeindlichen Akzent. Ihre prominenten Vertreter waren: Voltaire, der Ungläubige und Kirchenhasser, Diderot und d’Alembert. Voltaires Ausspruch und Wahlspruch: „Vernichtet die unverschämte (Kirche)“, ist bekannt. Seine infernalen Haßreden gegen die Kirche haben in Frankreich furchtbare Saaten ausgestreut, die wenige Jahre später in der Revolution blutig aufgehen sollten. Auch in Deutschland, in dem die „Aufklärung“ zwar nicht wie in Frankreich kirchenfeindlich war, wurde der Offenbarungsglaube durch Männer wie Reimarus († 1768) und Gotthold Ephraim Lessing († 1781) unterhöhlt. Friedrich der Große, König von Preußen, (1740/86), war Freund und Gönner dieser Geistesmänner. An seinem Hofe lebte auch eine Zeitlang Voltaire. Friedrich selbst war voller Spott über die christliche Religion. So drangen neben den aufbauenden katholischen Kräften des hohen Barocks mit seinen bewundernswerten Schöpfungen auf dem Gebiete der Kunst, vor allem der Architektur und Plastik, auch viele religionsvernichtende Ideen in den öffentlichen Raum ein, denen manche Gebildeten zum Opfer fielen.

Im Folgenden sei von einer Begebenheit berichtet, die sich 1768, also mitten in der Epoche der „Aufklärung“, in der Abtei St. Thomas abspielte. Sie steht ganz unter dem Zeichen dieser das Christentum ablehnenden Geistesrichtung. Die historischen Unterlagen „befinden sich im Staatsarchiv Koblenz unter den Akten beständen des Klosters St. Thomas.

Die adlige Zisterzienserinnenabtei St. Thomas an, der Kyll stand unter strenger Klausur, d.h. niemand durfte die geschlossenen Bezirke betreten. Frauen konnten ausnahmsweise einmal eingelassen werden, aber für Männer bestand keine Möglichkeit. Der Beichtvater der Abtei, ein Mönch von Himmerod, bewohnte ein eigenes Haus auf der Wiese neben der Kirche. Noch heute erinnern daran die Bezeichnung der Wiese als „am Pateschhäuschen“ und der dort entspringenden Quelle als „am Härenborn“, wo also der „Här“ das Wasser für seinen Haushalt schöpfen ließ. Männliche Angestellte, wie z. B. ein Schultheis, der die Ökonomie zu leiten hatte und die Güterverwaltung versah, hatten Zutritt zu bestimmten Räumen und dem Park. Denn die gärtnerischen Arbeiten mußten getan werden. Sonst herrschte überall heilige Abgeschlossenheit. An den Kirchenfenstern war die Klausur durch schwere Eisentraljen geschützt. In der Kirche selbst schied ein doppelseitiges Torgitter das Presbyterium und die Begräbnisstätte der Nonnen vom Laienraum unter dem Westchor. Um so ungeheuerlicher mußte ein gewaltsam erzwungenes Eindringen junger adliger Offiziere im Kloster wirken, das den Hausfrieden der Abtei für viele Stunden aufs schwerste verletzte.

Es war am 7. September 1768, am Vorabend des Festes Mariä Geburt. Äbtissin der adligen Abtei war Maria Theresia von Meuthen, eine um das Kloster hoch verdiente Frau, die 1744 den heute noch stehenden barocken Neubau des Klosters erstellen ließ. Schon über 25 Jahre trug sie die Lasten einer Äbtissin. Gegen 3 Uhr weilten alle Schwestern in der Kirche, um sich auf den Empfang des Sakramentes der Beichte vorzubereiten. Da ritten, hoch zu Roß, Adlige eines Schlosses und hohe Offiziere der kaiserlichen Armee, die dort wohl zu Besuch weilten, durch das Torhaus in den Bering des Klosters ein. Sie kümmerten sich nicht um die Einwendungen des Kastellans, der strenge Weisung hatte, jeden Besuch anzumelden. Mit stolzer Verachtung lenkten sie ihre Pferde an ihm vorbei, geradewegs über den Hof zu dem das Abteigebäude umgebenden Park. Breite, schattenspendende Buchen und Tannen standen da in gepflegten Wiesen, und ziervoll gezogene Pfade schlängelten sich unter ihrem Laub und Nadeldach dahin. Diese barocken Gärten waren schön, ein Genuß für das Auge, wie wir sie uns heute kaum noch vor stellen können.

Die Namen der Offiziere, die im Original alle zu lesen sind, sollen hier verschwiegen werden, weil man sich heute noch für sie schämt, die da bar jeder menschlichen Höflichkeit, voll Ehrfurchtslosigkeit vor der Einsamkeit und Geschlossenheit eines Frauenklosters sich über die edle Tradition ihrer z.T. katholischen Adelsgeschlechter roh hinwegsetzten. Das eine aber sei gesagt: es waren der Schloßherr selbst, sein Bruder, ein Oberjägermeister aus Koblenz, ein Hauptmann, ein Leutnant in kaiserlichen Diensten und noch zwei andere junge Adlige aus Herrensitzen, die im Bitburger Land noch heute genannt werden.

Es war eine frivole Tat, ohne Erlaubnis in den heiligen Bezirk eines strengen Frauenklosters einzubrechen. Aber gerade darin liegt das Typische ihrer Handlungsweise: die Offiziere hatten an der großen, aufgeklärten Welt gerochen, hatten in ihren Kreisen gelernt, alles Katholische zu verachten. Nun ließen sie ihren Übermut an schwachen Ordensfrauen aus, denen sie damit ihre aufklärerische „Bildung“ demonstrieren wollten. Kaum im Park angelangt, suchten sie sich den Schultheis. Angeblich hatten sie mit ihm Grundherrschaftsangelegenheiten zu besprechen. Unter dem Schein dieser Unterredung lockten sie ihn hinter hoch auf ragende Sträucher. Im Nu hatten sie ihn zu Boden geworfen, würgten ihn an der Gurgel und prügelten ihn wie einen räudigen Hund. Der arme Mann, der gewohnt war, im stillen Park seine Gartenarbeiten zu verrichten, wußte nicht, wie ihm geschah. Er rief um Hilfe, beteuerte seine Unschuld und jammerte vor Schmerzen. Er kam nicht darüber hinweg, wie es nur möglich war, daß ein Schloßherr, dessen Geschlecht doch zu den alten angesehenen Adelssitzen der Eifel gehörte, dessen Tante hier im Kloster Nonne war, plötzlich wie ein Tiger auf ihn los stürmte und ihn zu Boden warf. Was mußte doch in dem Offizier vor sich gegangen sein, daß er es mit diesen anderen bewaffneten Offizieren wagte, in eine Abtei einzudringen und sich im Park wie ein wildes Tier aufzuführen! Der am Boden kauernde Schultheis hatte keine Ahnung von den christentumswidrigen Mächten seiner Zeit, und daß vor den Klostermauern bei manchem Vertreter des Adels eine andere Luft wehte. Ja, daß manche schon stark vergiftet waren, konnte er gar nicht wissen. Aber für weitere Überlegungen blieb ihm keine Zeit, denn schon zerrten ihn die Offiziere durch die Pfade, hielten ihm die Gurgel zu, schlugen auf ihn los und schleppten ihn dem Tor entgegen, wo sie ihn angeblich niederstechen wollten.
Wer St. Thomas kennt, weiß, daß die meisten Fenster des Klosters nach Süden liegen. Dort wohnten die Ordensfrauen. Mittlerweile waren einige von ihnen zu ihren Zellen zurückgekehrt. Während sich spätsommerlicher Friede über dem Kylltal und dem geheimnisvoll dunklen Park ausbreitete, der nur umgrenzt war von wenigen Stockhäusern und der Mühle, schallte plötzlich lautes Geschrei zu den Zimmern der Nonnen empor, das sie aus ihrer Danksagung aufschreckte. Eben erst hatten sie im Westchor die Vesper des Marienfestes gesungen, und noch klang ihnen in dieser Stille der Natur, die das Kloster umgab, der Vers des Psalms 121 nach: „Fiat pax in moenibus tuis et securitas in palatiis tuis“ (Friede walte in deinen Mauern und Sicherheit in deinen Burgen). Ja, wie kostbar war der Gottesfriede in der Seele des Menschen, an dem die ganze Schönheit und Sammlung des Kylltales heute abend teilzunehmen schien, in der Seele von Ordensfrauen, die sich diese Mauern des Gotteshauses als Heimat auserkoren hatten! Drüben luden einzelne Bauern die schweren, mit Frucht beladenen Wagen. Nur vereinzelt hörte man ihre gedämpften Rufe! Ja, wie wunderbar war dieser Gottes friede einer Abtei! Und nun dieser Lärm! Dieses wilde Schreien, mit dem sich die Hilferufe eines Mann, es vermischten! Waren Räuber eingebrochen?

Und schon standen die Schwestern an ihren Fenstern. Doch was mußten sie da mit eigenen Augen ansehen! Offiziere schlugen ihren Schultheis, würgten und stießen ihn. Waren das nicht die Herren eines bekannten Schlosses? Ohne Zweifel, die Neffen ihrer Mitschwester? Tiefe Empörung über so viel dreiste Gemeinheit, über solche Schurkerei ließ sie flammenden Protest gegen die raufenden Offiziere aussprechen. Sie klagten sie der Verletzung des Burgfriedens an, wofür sie sich beim Hochwürdigsten Herrn von Himmerod zu verantworten hätten, hielten ihnen die ehrfurchtslose Mißachtung der päpstlichen Klausur vor und forderten, sofort von ihrem ruchlosen Vorhaben abzulassen. Denn sie hörten aus den Worten ihren Plan, den Schultheis zu erstechen. Man muß sich die Szene vom heutigen Garten aus vorstellen, um ihre ganze Dramatik mitzuerleben. Aber die Offiziere lachten laut ob solch schwachen Widerspruches der geistlichen Fräulein. Im Gegenteil, sie brüllten nur noch ungestümer, obwohl ihnen viele der vornehmen adligen Ordensfrauen wohlbekannt waren und deren Familiennamen sie hätten zur Ritterlichkeit verpflichten müssen. Blutend aus vielen Wunden schaute der Schultheis die Ordensfrauen mitleidig an, so daß Tränen in ihre Augen traten. Sie riefen den Offizieren zu und bettelten, doch mit den Schlägen aufzuhören. Aber anstatt auf die Rufe der Flehenden einzugehen, schrie einer der Offiziere: „Haltet die Mäuler oder wir schlagen auch euch mit unserem Degen zusammen!“ Das war zuviel für ihr frauliches Gemüt. Sofort wurde die Äbtissin, die noch im Chor kniete, verständigt. Kaum war sie erschienen, als die Offiziere sofort vom Schultheis abließen. Aber dafür überhäuften sie nun auch die Äbtissin mit Beschimpfungen und Beleidigungen. Maria Theresia von Meuthen blieb ruhig und gefaßt. Sie stand vor ihnen in ihrer ganzen fraulichen Würde und hielt ihnen ihr allem Adel hohnlachendes Verhalten mutig und bestimmt vor, erinnerte sie an ihre Herkunft und forderte sie energisch auf, sofort den Bering der Abtei zu verlassen. Das stachelte den Stolz der Offiziere nur noch mehr an. Unter fort währenden Drohungen drangen sie an der Äbtissin vorbei in den Kreuzgang ein, luden sich selbst zum Abendessen ein und befahlen allen Ordensfrauen, auch den älteren, die sonst in ihren Zellen aßen, sich sofort im Speisesaal einzufinden. Sie taten das mit so unflätigen Worten und schwenkten dabei ihre Degen, daß die Äbtissin vor Angst und Schrecken, es könnte zum Blutvergießen in den geheiligten Räumen kommen, alle Mitschwestern herzlich bitten ließ, doch zum Refektorium herunterzukommen. Dort zwangen die Offiziere die Äbtissin und die Ordensfrauen, sich zwischen sie zu setzen. Zitternd und verängstigt kamen alle dem Befehl der Offiziere nach. Während die Speisen aufgetragen wurden, hoffte die Äbtissin, die Offiziere könnten, umgeben von so vielen, ehrwürdigen und älteren Ordensfrauen aus bekannten Adelsgeschlechtern der Eifel, Mosel und Saar, wenigstens bei Tisch Zucht und ritterliche Haltung annehmen. Aber sie hatte sich gründlich verrechnet. Denn noch während des Essens schwang einer der Offiziere mit schnarrender Stimme den Degen, schlug mit demselben zwischen sich und die Äbtissin auf den Tisch und ließ die übrigen Offiziere das gleiche tun. Die Degen legten sie dann kreuzweise übereinander auf den Tisch. Keine Ordensfrau war da, die nicht bis in ihr Innerstes erschüttert gewesen wäre. Da erhoben die Helden die Gläser und tranken laut tobend auf Kalvin, auf Luther, und einer beleidigte das Papsttum in gemeinster Weise. Dann verließen sie polternd den Speisesaal. Immer noch hoffend, es sei jetzt der Augenblick ihres Aufbruches gekommen, folgten die Ordensfrauen den Offizieren. Aber einer derselben verfiel noch auf eine neue Kränkung. Man hält es kaum für möglich, aber die Akten sprechen sich klar darüber aus: einer bestieg draußen seinen Gaul und galoppierte mit gezücktem Degen in den Kreuzgang hinein. Fassungslos wichen die Ordensfrauen zurück, und eben wollte er sein Pferd in das Refektorium lenken, als ihm der Mönch von Himmerod, der Beichtvater der Nonnen, entgegentrat und ihm scharf sein verbrecherisches Tun verwies. Aber damit hatte er nur neues Öl ins Feuer gegossen. Die Beleidigungen, die dann über den Priester herunterhagelten, waren derart ausfällig, daß man sie nicht niederschreiben kann. In seiner Wut über den Mönch zog er seine Pistole, gab Befehl: „Mönch, stehe still!“ und schoß dann, um alle vollends einzuschüchtern, eine Kugel in die Gewölbe des Kreuzgangs. Unter fortwährendem Geschrei und Angriffen auf den ganzen Konvent verließen endlich die Adligen das Kloster. Es war gegen sieben Uhr, als die Äbtissin, sichtlich blaß und leidend, das Tor hinter den Angreifern schließen ließ.

Wahrscheinlich hat später die Äbtissin dem Visitator des Klosters, dem Abt von Himmerod, über diese Verletzung der Klausur Mitteilung gemacht. Denn die genauen Aufzeichnungen lassen es vermuten. Vielleicht war gerade dieser Überfall auf eine Frauenabtei mit ein Grund dafür, ein größeres und sicheres Torgebäude zu planen. Denn gleich im Frühjahr des folgenden Jahres ließ Maria Theresia von Meuthen den Klosterbering mit dem noch heute erhaltenen Torhaus sichern. Auf der Fassade des Bogens ist das Wappen der Äbtissin mit ihrem Namenszug M(aria) T(heresia) V(on) M(euthen) A(batissa) und der Jahreszahl 1769 eingemeißelt. Noch heute erkennt man beim Betreten des Torbogens die beiden Löcher an den Innenmauern, und eben dort die Mauerrille, in die schwere Eichenbalken gegen das massive, eichene Tor gerammt werden konnten. So war an ein gewaltsames Öffnen des Portals nicht mehr zu denken. Wer eintreten wollte, mußte sich des Türklopfers bedienen, der noch heute die kleine Tür ziert.

So hatte das Kloster der Zisterzienserinnen, sonst eingebettet in die friedliche Landschaft der Kyllberge, behütet vor dem Geist der Welt durch das heilige Opfer und sein Chorgebet, plötzlich etwas verspürt von neuen unseligen Weltanschauungen, deren erschreckende Auswirkungen nur wenige Jahre später, im Jahre der Französischen Revolution 1789, und 1794 bei der Besetzung der Rhein lande die Menschen erzittern lassen sollten. Dieser revolutionäre Geist machte nicht halt vor geistlichen Fürstenthronen und Klosterportalen. 1794 drangen die französischen Truppen durch das schwere Tor ins Kloster ein – und zu Ende war die ehrwürdige Klosterherrlichkeit von 600 Jahren. Nur nachempfindend begegnet man ihr heute noch in den Hallen der Kirche, der Krypta und des Kreuzganges.

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