Heimatkalender

Die Gespensternacht

Heimatkalender Kreis Bitburg 1966, S. 159-161
Eine lustige Geschichte aus der Eifel
Von Hans Meyer, Trier

Diese zwerchfellerschütternde Geschichte ereignete sich, wie meine Mutter uns erzählte, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts im schönen Kyllburger Land. Es waren noch jene Zeiten, in denen man die Eifel sehr zu Unrecht als ein wildes, unwirtliches Gebirgsland ansah. Und so geschah es, daß der in den Vierzigerjahren stehende Bauer Wöllem aus Stemer (Steinborn), der als Aufschneider weit und breit bekannt war, eines Abends nach seinen geschäftlichen Erledigungen in Kyllburg in der Wirtschaft „Zur Pinn“ mit noch weiteren vier Kyllburger Spaßvögeln zusammensaß. Diese Zusammenkunft, und das sei schon im voraus verraten, war bewußt herbeigeführt, und zwar mit dem Gedanken, Wöllems Courage und Aufschneiderei einmal gründlich auf die Probe zu stellen, was, wie die Geschichte im folgenden beweist, auch hundertprozentig gelang. Was das heutige Gasthaus „Zur Pinn“ noch betrifft, so sei erwähnt, daß in demselben seit 120 Jahren Gastwirtschaft betrieben wird, zudem befand sich vor 74 Jahren noch zusätzlich eine Pinnen- bzw. Nagelschmiede darin. Daher die Hausbezeichnung „Zur Pinn“. Nun wieder zurück zum Kneipschen Quartett. Die vier lustigen Kyllburger zogen die Sitzung bewußt in die Länge, um Zeit für ihren ausgeheckten Plan zu gewinnen. Spätabends gegen 11.30 Uhr verschwanden dann, wie verabredet, die ersten zwei Kyllburger mit dem Vorwand, sie müßten nach Hause, was aber nicht der Fall war. In Wirklichkeit hatten sie die Aufgabe, sich am Fuße der bekannten geschichten- und sagenumwobenen Klopp bei Kyllburg zu postieren, und zwar wie folgt: Beim Herannahen des Aufschneiders schlägt der eine der beiden ein weißes Bettlaken um sich, das er eigens zu diesem Zweck mitgebracht hat, und der andere versteckt sich hinter irgendeiner Hecke, stöhnt ganz jämmerlich und dreht an einer Holzraspel, wie sie Kinder in der Karwoche zu benutzen pflegen.

Nachdem nun die beiden etwa zehn Minuten fort waren, machten die zwei noch verbliebenen Spaßvögel in der Pinn ebenfalls Anstalten, nach Hause zu gehen, und so blieb dem Aufschneider nichts anderes übrig, als auch aufzubrechen. Hier, im Freien nun, wo der Nachtwind sanft um seinen puterroten Kopf säuselte, kam ihm zum Bewußtsein, daß er sich allein befand und zudem noch einen langen und beschwerlichen Heimweg vor sich hatte. Seine starke Bauernfaust umspannte jetzt etwas fester als sonst den derben Eichenheister, und dann ging es die Oberkailer Straße hinauf bis zum alten Wegkreuz an der Abzweigung zur Klopp, das frommer Sinn im Jahre 1705 errichtete. Eine mond- und sternenklare Septembernacht umgab ihn, und während er hier noch einmal ausgiebig verschnaufte, drang das Röhren der Brunfthirsche aus den nahen Wäldern zu ihm herüber und die Glocke der Stiftskirche schlug Mitternacht. Nach dieser Rastpause bog er dann links ab und schritt schon nach kurzer Zeit über die alte Holzbrücke, die über eine schmale, nicht allzu tiefe Schlucht führte. Im magischen Licht des Mondes erschien die Landschaft wahrhaft grotesk und schauerlich.

Wöllem mochte vielleicht noch dreißig Meter gegangen sein, da hörte er plötzlich ein merkwürdiges Klappern, begleitet von jämmerlichem Wimmern und Stöhnen. Wöllem hielt erschreckt inne und horchte angestrengt. Da! Alle Wetter! Am Auf gang zur Klopp erschien jetzt eine weiße, unheimliche Gestalt, die langsam auf ihn zukommt. An allen Gliedern schlotternd, machte er überstürzt kehrt, dabei seinen Hut verlierend, und lief, als sei der leibhaftige Satan hinter ihm her, wieder zurück zur Oberkailer Straße. Ein infernalisches, ja geradezu teuflisches Lachen klang unterdessen von der Klopp her an seine Ohren. Er dachte jetzt nicht mehr daran, den unheimlichen Bergpfad noch in dieser Nacht zu benutzen, viel lieber machte er den weiten Umweg die Oberkailer Straße hinauf durch Kyllburgweiler. Gehetzt und innerlich völlig aufgewühlt, strebte er nun rasch die menschenleere Straße aufwärts, jedoch von Zeit zu Zeit ängstlich hinter sich blickend, ob das Gespenst nicht hinter ihm sei. Als sich nichts Außergewöhnliches mehr ereignete, wurde er ruhiger und er verlangsamte dann auch sein Tempo bis zur Abzweigung nach Kyllburgweiler. Mit weitausgreifenden Schritten ging es nun von hier aus unentwegt, dabei laut pfeifend und singend und sich auf diese, nicht ganz ungewöhnliche Art die noch vorhandene Angst von der Seele reagierend, den heimatlichen Penaten entgegen.

Der Himmel wurde zunehmend bewölkt und Wind kam auf. Heulend und klagend fegte er über die Hochflächen, rüttelte und schüttelte an den warmen, strohgedeckten Bauernhöfen von Kyllburgweiler, daß es zum Gotterbarmen war. Aber dessenungeachtet lag Ruhe und nächtlicher tiefer Friede über dem kleinen Eifeldorf. Laut pfeifend marschierte Wöllem zwischen den wenigen Bauernhöfen dahin. Irgendwo schlug ein Hund kurz an. Nach etwa zehn Minuten hatte er es dann endlich so weit geschafft, daß er unmittelbar am Kreuzweg vor Steinborn anlangte, an dem es seit alters her auch nicht ganz geheuer war. Fahrendes Volk, Tippel-und Zinkenbrüder lagerten hier mit Vorliebe und machten dabei die Gegend unsicher. Kein Wunder, daß die rege bäuerliche Phantasie an einer solchen Stelle auf das stärkste angeregt wurde. Für Wöllem also auch hier wieder ein recht mulmiges Gelände, in dem größte Vorsicht geboten war.

Während der Mond längere Zeit wieder zwischen dem Gewölk hervorlugte, prüfte der Aufschneider argwöhnisch die Gegend am Kreuzweg. Da, auf einmal in der Ferne! Es kann doch nicht möglich sein! Wirklich und wahrhaftig! Dort hinten von der sogenannten Langhääck her schwebte erneut ein weißes Gespenst auf ihn zu, und während der Wind stärker wurde, verringerte sich auch zunehmend der Abstand von ihm. Ängstlich und bereits schlotternd, überprüfte der Hasenfuß noch einmal die heikle Situation. Ein erneuter Windstoß, und für Wöllem gab es kein Halten mehr. Er machte kehrt und lief, was die Sohlen hergaben, zurück in Richtung Kyllburgweiler. Nach wenigen Minuten war er bereits ausgepumpt und der Selbsterhaltungstrieb machte sich naturgemäß bei ihm geltend, und so stellte er sich mit letzter Kraft dem Gespenst zur Gegenwehr. Schwebend und taumelnd sprang das unheimliche Wesen schließlich auf ihn zu. Mit dem Ruf: „Dau oder eich!“ schlug Wöllem jetzt mit solcher Wucht zu, daß er sich dreimal um die eigene Achse drehte. Und dann — ja dann hatte er ein großes Stück weißes Packpapier in zwei Teile geschlagen. Verdutzt und völlig durcheinander geraten, äugte er den davonfliegenden Papierfetzen nach.

Tief beschämt angesichts seiner Heldentat schlich er dann, als Ritter von der traurigen Gestalt, spät in der Nacht heimwärts.

Und nun der Knalleffekt. Auf das beharrliche Drängen der Gattin hin erzählte er ihr einige Tage danach erst, aber nur unter der Bedingung völliger Verschwiegenheit, die ganze Geschichte, was dann auch prompt zur Folge hatte, daß in kürzester Frist das ganze Dort in allen Einzelheiten darüber Bescheid wußte. Zu allem Unglück erhielt die Gattin obendrein auch noch Nachricht, Wöllem möge seinen an der Klopp verlorengegangenen Hut in der Pinn in Kyllburg abholen. Die Menschen in Kyllburg und Steinborn lachten nicht mehr, nein, sie wieherten buchstäblich über diese zwerchfellerschütternde Geschichte, und viele Jahre danach noch bot dieselbe reichlich Stoff zur Unterhaltung.

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