Heimatkalender für den Kreis Bitburg 1959, S. 62-66
Eine geschichtliche Studie von Pastor Dr. Benedikt Caspar, St. Thomas
Das Kloster der Zisterzienserinnen von St. Thomas war eben gegründet. Man schrieb das Jahr 1185. In der Stiftungsurkunde, nach der der Ritter Ludwig von Deudesfeld und seine Gemahlin Ida dem neuen Kloster an der Kyll das ganze Land vermachten, das sie in Erlesburen (heute St. Thomas) besaßen, wird auch das Geschlecht der Dynasten (Herren) von Malberg erwähnt. Stolz ragte ihr Stammschloß auf einem das Kylltal beherrschenden Höhenzug empor. Ihr Geschlecht war markant, und manche Namen von Klang zierten Geschichte: Um 1010 Ravengerus, um 1042 Adalbero. In oben genannter Urkunde nun fungiert Rudolph von Malberg als Zeuge der Landstiftung Ludwigs von Deudesfeld. Rudolph und seine Gemahlin Ida zeichneten sich, wie schon ihre Vorfahren, durch besondere Gottesfurcht aus. Sie waren reich an eigenen Gütern (Allodien) und übten auch Herrschaftsrechte aus über Lehnsgüter (Leodien), die sie von höheren Adligen, als sie selbst es waren, Zu Lehen (Feudum) angenommen hatten. (Ein Lehen wurde nie Eigentum) Von dem Bestreben beseelt, auf Erden viel Gutes zu tun, schenkten sie daher im Jahre 1204 ihr Erbgut Usch a. d. Kyll dem Kloster St. Thomas. Für uns heute sind solche Schenkungsakte fast unbegreiflich. Denn es handelte sich dabei nicht um den Wert etwa von einigen Hundert Mark, sondern eben um das gesamte Land, das heute eine ganze Dorfgemeinde ernähren kann. Es heißt dort in der Schenkungsurkunde: „Das Allodium (Erbgut) mit all seinen Teilen auf beiden Seiten der Kyll: mit Wäldern, Wiesen, Äckern, Gewässern, bebautem und unbebautem Land für die Kirche des heiligen Thomas und die Armen (Ordensfrauen), die dort Gott, dem Herrn, dienen.“ Gleichzeitig übertrugen sie die Patronatsrechte der Pfarrei Neidenbach an das Kloster, das heißt die Äbtissin durfte in Zukunft den Pfarrer von Neidenbach ernennen und hatte das Recht auf gewisse, festgesetzte Einkünfte aus dem Besitz der Pfarrkirche Neidenbach. Damals waren nämlich auch die Pfarrkirchen sehr begütert. So zeigte also schon früh die Herrschaft Malberg dem Kloster seine Huld.
Man könnte vielleicht fragen: „Was machten denn die Klöster mit so viel Besitz?“ Die Klöster waren sehr reich, das ist richtig. Sie waren Grundherren über viele Dörfer, genau wie weltliche Herrscher und Adelsfamilien. Sie waren Besitzer, während die Bauersleute von ihnen, wie von den weltlichen Adligen, Land in Pacht und in Erbpacht hatten. Gerne nahmen die Bauern Land aus den Händen eines Abtes oder einer Äbtissin an, denn sie wußten, daß sie dann gut fuhren. Interessant ist es, in diesem Zusammenhang zu erwähnen, daß sich auf diese Weise das Sprichwort im Trierer Land bildete „Unter dem Krummstab (Bischofs- und Abtsstab) ist gut: leben!“
Zum Kloster St. Thomas gehörten damals ganz Deudesfeld, die erwähnten Besitzungen in Usch und das Land um St. Thomas. Aus der Urkunde des Jahres 1185 ersehen wir auch, daß der ganze Wald von Kyllburgweiler von Ludwig von Deudesfeld an das Kloster vermacht wurde, und zwar „für die Kerzen auf dem .Altare des heiligen Thomas Becket und zur Beleuchtung der Kirche“. Später kamen noch, wie wir sehen werden, viele andere Güter hinzu, so daß sich tatsächlich in St. Thomas wie in jedem mittelalterlichen Kloster ein Großgrundbesitz bildete, der uns heute staunen läßt. Und doch — die Klosterbewirtschaftung war sehr sozial. Den allergrößten Teil der Äcker bebauten die Bewohner der. genannten Dörfer, sie hatten nur einmal im Jahr auf das Fest des heiligen Martinus den Zehnt abzuliefern. Das war der zehnte Teil der eingebrachten Frucht. Keinem Bauernhaus machte das etwas aus. Bedenken wir auch, daß das Kloster die Gebäude und Mauern, dann die Dächer von Kloster, Ökonomie und Kirche zu erhalten hatte, daß es viele bewegliche Güter nur auf dem Tauschwege bekommen konnte. Manche seiner Liegenschaften gab das Kloster seinerseits Wieder in Lehen, um z. B. Schutz in Kriegszeiten zu haben. Welche Bedeutung einem von weltlichen Herrschaften zu stellenden Schutz zukam, könnten wir leicht aus der Geschichte der Klöster im Dreißigjährigen Kriege ersehen. Für bewaffneten Schutz aber mußten auch die Klöster große Opfer bringen.
Doch kehren wir zurück zur Herrschaft Malberg. Rudolph und Ida hatten nur eine Erbtochter, Agnes mit Namen. Sie war verheiratet mit Theodor von Ouren, jedoch blieb die Ehe ohne Kinder. Das hohe Paar litt sehr unter der Erbenlosigkeit, und es mag lange gedauert haben, bis es sich in das ihm von Gott zugedachte Los schickte. So wurde Agnes zur großen Wohltäterin des Klosters St. Thomas. Hatten ihre Eltern bereits das Gut in Usch großmütig Gott dem Herrn geschenkt, so sollte Agnes sie noch an Freigebigkeit übertreffen. Denn im Jahre 1224 Vermachten Agnes und Theodor die Erbgüter in Neidenbach und Malbergweich dem Kloster, wenn sie ohne Leibeserben sterben sollten. Auch diese Urkunde liegt wie die bereits erwähnten der Jahre 1185 und 1204 im Staatsarchiv zu Koblenz. Mit Ehrfurcht nimmt man sie zur Hand. Enthält sie doch den heiligen Entschluß eines Herrschergeschlechts, Gott einen Großteil seines Vermögens zu schenken. Es seien hier nur einige Teile der lateinischen Urkunde übersetzt, die nebenstehend im Bilde zu sehen ist: „Da das Leben der Menschen auf Erden hinfällig ist und jede christliche Seele notwendig für ihre Zukunft sorgen muß, denn wenn sie von hier scheidet, wird sie in die ewigen Gezelte aufgenommen, wo sie für die Früchte ihrer Frömmigkeit den Lohn der ewigen Seligkeit erhält, also um für unser und unserer Eltern Seelenheil etwas zu tun, haben wir unter dem Beistand Gottes beschlossen, bei klarem Verstand und in Gesundheit, unter gleichseitiger (!) Zustimmung und mit gemeinsamer Hand, und für gut befunden, einige von unsern Gütern, die auf mich, Agnes, auf Grund väterlichen Erbes gelangt sind, als Almosen an das Kloster St. Thomas zu übertragen, damit – und nun folgt ein edler Satz, der auch heute noch aufhorchen läßt und seine ganze Bedeutung auch für unsere Zeit behält – wo wir keine Erben haben, Christus der Erbe unserer irdischen Güter sei und wir seine Erben im Himmel.“
Agnes und Theodor starben wirklich ohne Nachkommen, und so ging nach ihrem Tode der große Landbesitz von Neidenbach und Malbergweich an das Kloster über. Zum Dank dafür wurde Agnes von den Nonnen vor dem Hochaltar beerdigt. Man schrieb das Jahr 1237.
„Fundator ecclesiae“, Gründerin der Kirche, wird Agnes an anderer Stelle genannt, ein Zeichen, wie hoch sie im Ansehen der Zisterzienserinnen stand. Allein durch ihr Testament waren die Ordensfrauen in der Lage, die Kirche, deren Bau 1222 begonnen hatte, zu vollenden. So wölbte sich denn über ihrem Grab die heute noch stehende spätromanische Kirche, die immer wieder die Besucher durch ihre herbe, bauliche Schönheit anzieht.
Das Grab der Agnes vor dem Hochaltar war eines der ersten Gräber im Langschiff der Kirche. Alle nach ihr verstorbenen Äbtissinnen und Ordensfrauen wurden hinter ihr in der Kirche beigesetzt. Nur wenige wurden in der sogenannten Krypta begraben. In langen Reihen schlossen sich im Laufe der Jahrhunderte die Gräber an, wie uns eine Zeichnung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts klar und deutlich festgehalten hat. (Diözesan-Archiv, Trier.) Wohl erst 100 Jahre nach dem Tode der Agnes verlegten die dankbaren Zisterzienserinnen den kostbaren Stein auf ihr Grab, der in spätgotischen Formen die Herrin von Malberg darstellt. Das Bild der Agnes und die umstehende Beschriftung waren in Blei gegossen. Obwohl die Bleifassung im Laufe der Zeiten stark beschädigt wurde, kann man doch noch die zarte Gestalt der Agnes und die Umschrift deutlich erkennen. Sie lautet: „Anno milesimo ducentesimo trigesímo septimo II. Idus Maji obiit Domina de Mailbergh et Manderscheid nata est hic occulta quae non fuit ad bona stulta. Anima ejus requiescat in pace.“ Auf Deutsch: „Im Jahre 1237 am 13. Mai starb die Herrin geborene von Malberg-Manderscheid. Hier liegt verborgen, die nicht auf die törichten Güter eingestellt war. Ihre Seele ruhe in Frieden.“ So lag der Stein vor dem Hochaltar, bis man ihn leider um 1890 bei Erneuerung der Bodenplatten beseitigte. Über 60 Jahre also war das Grab der Wohltäterin des Klosters nicht mehr bezeichnet. Den Stein hatte man in die Krypta geräumt, von wo er vor etlichen Jahren an der äußeren Nordwand des Schiffes angeklammert wurde. Der Neubau des nördlichen Seitenschiffes und die Wiederherstellung der Kirche in ihrer historischen Schönheit (1957) brachten es mit sich, den Stein wieder an Ort und Stelle des Grabes zu verlegen. Mit Hilfe von zehn Bauarbeitern wurde der Koloß ins Chor gewälzt. Aus der erwähnten Zeichnung des 19.Jahrhunderts kannten wir genau die Stelle des Grabes.
Mit Erlaubnis der Bischöflichen Behörde zu Trier durften wir bei dieser Gelegenheit das Grab eröffnen. Schon nach einer Stunde fanden wir eine gemauerte Gruft, auf deren Boden der Schädel mit allen Zähnen der Gräfin mit Wirbelsäule und Brustkorbknochen freigelegt werden konnten. Das Skelett lag in weißen Kalk gebettet. Das Vorhandensein aller Zähne läßt darauf schließen, daß Agnes in den besten Jahren gestorben war.
Wer je in seinem Leben so etwas Ehrfürchtiges zu sehen das Glück hatte, Gebeine also aus dem Jahre 1237, wird uns nachfühlen, wie außergewöhnlich dieses Erlebnis war. Klein und groß pilgerte denn auch in den folgenden Tagen aus dem Dorfe, aus Malberg und Kyllburg zum offenen Grabe der Agnes von Malberg. Über 700 Jahre also lag Agnes da mit dem Antlitz dem Hochaltar zugewandt. Was ihre Schenkungsurkunde aus dem Jahre 1224 zum Ausdruck brachte, daß sie ihre irdischen Besitzungen für Gott hergab, besagt auch die Grabinschrift. Während Name und Jahreszahl im Laufe der Zeiten sehr schadhaft geworden sind, blieben jene Bleibuchstaben, die das fromme Wesen der Herrin von Malberg offenbarten: „Est hic occulta, quae non fuit bona stulta“ (hier liegt verborgen, die die irdischen Güter verachtete) bis auf den heutigen Tag unversehrt erhalten.
Mögen diese unvergeßlichen, ergreifenden Worte der Inschrift noch immer zu den Menschen von heute sprechen: von der großherzigen Gesinnung eines mittelalterlichen Rittergeschlechtes, das durch seine Unabhängigkeit von irdischen Gütern den Bau eines Gotteshauses ermöglichte, unter dessen Gewölben und Pfeilern heute Priester und Laien unserer Diözese sich für das moderne Apostolat der Verchristlichung der Welt vorbereiten und stärken. Möge die Inschrift auch unserer Zeit zeigen, daß die ideellen und übernatürlichen Heílsgüter den Vorrang vor den materiellen haben müssen.