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Das Malberger Tellspiel

1929 Tellspiele in Malberg

Quelle: Deutsche Reichs-Zeitung, 9. August 1929, S.1

Von Dr. Ludwig Mathar.

Malberg? Wo liegt denn das? Tellspiel? Noch immer Naturtheater, Freilichtbühne?

Malberg ist eines der schönsten Fleckchen der Eifel, von Köln oder Trier durch die Schnellzugsstation Kyllburg leicht erreichbar. Ist Kyllburg, das alte kurtrierische Amtsstädtchen, von der Kyll umrauscht, auf hohem Bergesrücken gestreckt, von Burg und Stiftskirche bewacht, vom Bahnhof an der Kyll in steiler Wanderung erstiegen und auf sanft sich wieder ins Kylltal senkender Straße wieder verlassen, so ragt an des Weges Kehre, noch schaut Kyllburgs oberste Häuserzeile und Burg uns nach, Malbergs stattliches Barockschloß auf hohem Waldesberge empor. Ja, das ist des Landvogts Schloß. (Ein Urahne der jetzigen Besitzerin war übrigens ein aus der Schweiz nach Lissingen bei Gerolstein eingewanderter Landenberg.)

Dies friedlich zwischen Schloß und Kyll gebaute Dörfchen mit den sauberen rotdachigen Häuschen, der stattlichen Kirche, (die ein prächtiger Altar des bekannten Kölner Architekten Hans Hänser, des Bildhauers Simon, des Malers Scheffler seit Jahresfrist ziert) ist Malberg.

Das sind die Hütten der biederen Schwyzer, die dem Landvogt fronen müssen, dieses Volk der Fischer, Hirten und Jäger. Dort in dem schmucken Häuschen aus heimischen Sandstein wohnt der Tell…

Und diese von hohen Buchen bewaldeten Berge jenseits der Kyll, das sind die Almen, wo der Senne mit seiner Herde herniederzieht. Die Kyll staut sich dort unten breit wie ein See. Da sitzt der Fischerknabe im Kahn und singt sein Lied. Mächtig ragt eine alte Buche überm Ufer. Da stellt Tells Knabe zum Apfelschuß sich: Und im Hintergrund dräut herrisch das Schloß..

Dieser Schauplatz der Handlung ist unvergleichlich. Er ist für die Handlung gewachsen. Nichts in die Landschaft Hineingeklügelte wie auf den üblichen Naturtheatern mit ihren Paradeplätzchen und Laubkulissen. Hier ist alles natürlich, groß und weit.

Und die Spieler sind keine„Schau-Spieler. Es sind überhaupt keine„Spieler“, sie erleben ihr Schicksal, sie geben sich selbst. Dieser Tell ist der Tell, nicht irgend ein geschminkter, zurechtgestutzter Mime, auch kein polternder Naturbursch, der einen Tanzsaal räumen möchte. Nur dieser kann Baumgarten retten, den Apfel treffen, den Vogt erschießen. Auch das tiefere Seelenerlebnis bringt er wahr hervor, den inneren Kampf vor dem Apfelschuß, vor dem Tyrannenmord. Wie er gerettet, erschöpft ans Ufer kriecht, das macht diesem Laienspieler so leicht kein Berufsschauspieler nach.

Der Geßler ist Tyrann. Seine Bosheit ist natürlich. Herrisch sitzt er zu Roß.

Stauffacher, Walter Fürst sind Biedermänner von echtem Schrot und Korn. Wir glauben ihnen gern.

Der Melchtal im Sturm der Gefühle hat hart um unser Mitgefühl zu kämpfen, aber zuletzt lassen wir uns doch ergreifen.

Attinghausens Tod ist erschütternd. Geßler stirbt unter atemlosen Schweigen der zu Hunderten lauschenden Menge.

Berta und Rudens, des Dichters schwächste Figuren, müssen schwer um ihren Ausdruck ringen.

Das schönste aber in diesem Tellspiel ist das Volk. Es ist natürlich, lebendig wie diese herrliche Natur, in der es singt, jauchzt, höhnt, trauert, lacht und weint. Die ganze Dorfgemeinschaft ist Sonntag für Sonntag dabei. Mit ganzer Seele. Das ist Volk, richtiges Volk, keine großstädtische Masse, die mit dem Grund und Boden auch den Sinn für das Große, Schlichte verloren hat. Denn ihrer ist der Boden, auf dem sie, für den sie, auf dem Rüttli raten und taten, wider die Tyrannen streiten. Sie sind Schweizer, ein Volk. Diese Massenszenen sind das Großartigste des ganzen Spiels. Der Zug der Sennen vom Berge, durch die herrliche Landschaft, das Volk auf dem Markt zu Altdorf, vor dem Hut, bei der Gefangennahme Tells, der Hochzeitszug in der Hohlen Gasse, das Herbeiströmen bei Geßlers Tod — das ist von dem Leiter der Spiele geradezu genial entworfen und ohne tote Stelle, ohne Abbrechen der atemlos gesteigerten Handlung aneinandergefügt. Ein ganzer Berg wird da immer lebendig. Das Rot, Blau, Grün der malerischen Trachten wimmelt durch das Buchengrün.

Das Malerische des Spiels ist phantastisch.

Diese Volksansammlungen sind dabei bis ins Kleinste durchdacht. Die Kinder, die vor dem Hute den einen unmenschlichen Weibel äffen, der halbtrunkene letzte Gast im Hochzeitszug, das ist wirkliches Leben. Jedwede Gestalt dieser unglaublich lebendigen Menge, die doch nur ein Herz, für Freiheit und Vaterland, hat, ist höchst natürlich. Der Hirt am See, der den Fön fürchtet, dem Bericht des geretteten Tells lauscht, der Hirt mit seinem Schäferstab, die Mauerer bei Zwing-Uri, jeder der biederen Weibel, jeder der Rüttligemeinde, Rösselmann, der Altammann, die arme Wildheuerin, der Wanderer, der den Tell auf der Bank von Stein trifft, der Stier von Uri, die singenden, tanzenden Mädchen, die tollenden, höhnenden Knaben, die lustigen Musikanten, das Hochzeitspaar, die Reisigen, Mann für Mann, auch der prächtige Vierschröter mit Schwert und Streitaxt.

Und dann diese Reiter! Wie sie über die Kyllbrücke mit wehenden Mänteln, in blitzenden Harnischen brausen, auch eine kriegerische Amazone im Herrensattel ist dabei, wie sie den schmalen Wiesenpfad hinab auf gemeinsamen Schauplatz galoppieren, wie sie mit einem Ruck ihr Pferd parieren, oder mit mächtigem Sporn davon sausen, den Berg hinauf und hinunter, das hält die Hunderte in atemlosen Bann.

Durch solche Massenszenen ist Schiller meisterhaft vom Zug der Sennen, zum Gebet vor dem Muttergottesbild am Baumstamm, bis zum „Großer Gott dich loben wir!“ am Schluß verlebendigt, weitergebildet, ja, gesteigert.

Gott sei Dank! Wir hören auch keine Bühnensprache „mit Schlacken”, „Taak“, „wichtick“, „richtik“. Wir hören gutes, dörfliches Deutsch, mit Acht und Bedacht gesprochen. Die „vornehmen“ Rollen haben’s da natürlich schwer.

Und wie wird zugehört! „Dat leid eich net!“ ruft ein biederes Bäuerchen aus dem Zuschauerraum,„wo bleibt da de Polizei?“. Und ein anderes pilgert Sonntag für Sonntag seine fünf Stunden weit, um zu sehen, ob der Tell denn diesmal den Apfel auch richtig trifft. Welch atemlose Stille beim Apfelschuß, welche offensichtliche Freude, als der Apfel fällt, welch Ausatmen, als der Tell gerettet ans Ufer kriecht, welche schwüle Ruhe nach Geßlers Mord, welche helle Freude beim Fest der Freiheit! Keine albernen Zwischenrufe. Dafür ist jedem der Zuschauer die Sache zu heilig-ernst. Das ist kein Spiel, das ist Erleben.

Nun kommt und seht, Ihr aus den Großstädten und vom Land! In die frische Natur, zu den herzlichen Menschen von Malberg! Noch an fünf Sonntagen wird’s gespielt.

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