Geschichte

O Sommerfrische in der Eifel.

Stiftsfreiheit Kyllburg

Quelle: Kölnische Zeitung, Sonntag, 13.07.1884, Nr. 193, Erstes Blatt, S. 5

Goldener Sonnenschein lag nach langen, grauen Regentagen auf den waldbedeckten Höhen, welche das alte Kyllburg— das von Köln mit der Eisenbahn in 3½ Stunden zu erreichen ist — umgeben, als ich die steile Straße desselben zum sogenannten Stift hinaufwanderte. Ein zerfallener Turm, ein ehemaliger Lug-ins-Land, bezeichnet schon von weitem die Grenze des einstigen, zum Erzbistum Trier gehörigen geistlichen Stiftsgebiets. Die Häuser hören auf; moosbewachsene Mauern, über welche die beladenen Zweige der Obstbäume, Brombeer- und Stachelbeerhecken, Geisblatt und die Ranken der wilden Rose herabhängen, treten an deren Stelle. Eine alte Steintafel ist in die Mauer eingelassen: „Stifts-Freyheit“ steht auf derselben, die von dem Stiftswappen und dem alten, noch einköpfigen Reichsadler — der indessen einer Eule weit ähnlicher sieht als dem königlichen Vogel — flankirt ist. An vier mächtigen Lindenvorbeischreitend, gelangt man auf die Höhe, wo sich auf blumigem Grunde die gotische Stiftskirche erhebt, über deren steingedeckten Turm mehr als sieben Jahrhunderte dahingerauscht sind. In dem Schiffe derselben und in dem zerfallenden Kreuzgange ruhen die alten Stiftsherren unter riesigen Decksteinen, in denen ihr Bild, die Würde, die sie einst bekleideten, und das Datum ihres Todes eingehauen ist. Dort schlafen die Mönche die einst in den kleinen Häusern, welche rings um das Gotteshaus liegen, unthätig, weltverloren, wie im Traume dahin lebten, bis die harte Fausteines Napoleon I. sie jäh aus demselben aufrüttelte und sie in das stürmische Leben hinausstieß. Die Güter wurden eingezogen, die Stiftshäusermit den weiten Gärten, in denen köstliches Obst ans sonnigen Terrassenreift, zu niedrigen Preisen verkauft oder niedergerissen, sodaß nur noch fünf derselben ihre Dächer über den Kranz der Obstbäume erheben. Durch ein niederes Portal, über welchem ein Antlitz mit lang heraushängender Zunge eingehauen ist — eine Mahnung, müßige Reden draußen zu lassen —, gelangte ich in einen grasbewachsenen, steilabfallenden Hof, an dessen Ende das größte der ehemaligen Stiftshäuser, mein Asyl für einige Wochen, lag. Resedaduft und Waldesodem wehte durch die geöffnete Hinterthür aus dem sonnenbeschienenen Blumengärtchen mir entgegen, und das leise Rauschen des klaren Kyllflusses klang träumerisch herauf. Wie die Perle in der Muschel liegt das Städtchen Kyllburg in dem mächtigen Rund eines Bergkessels auf schmalem, seltsam geformtem Felsen, den die Kyll auf drei Seiten umfließt. Durch zwei Tunnels wird dieses stille Thal der Eisenbahn geöffnet, die uns in einer Stunde nach der alten Römerstadt Trier entführt. Wenig wird der Reisende, der mit dem Dampfroß dahinbraust, von dem lieblichen Fleckchen Erde gewahr, da die hohen Felswände sowie hopfen- und wald-bewachsene Berge es den Blicken entziehen. Tagelang träumte ich, wie zur Kinderzeit, unter den herrlichen Buchen des Waldes, in den der verwilderte Garten übergeht, und ich empfand es in der Selbstsucht meines Naturgenusses fast als unangenehme Störung, wenn mehr Sommer-gäste in dem alten Stiftshause erschienen. Die Umgegend wurde durch-streift; hatte sie doch so viel zu erzählen von dem stolzen Römervolke das den tapfern Treverern den Fuß auf den Nacken setzte, von kühnen Rittern und stillen Klosterfrauen— vom Verfall aller menschlichen, allerirdischen Herrlichkeit.

Ungefähr eine Meile von Kyllburg entfernt liegen bei dem Dorfe Fließem auf kahler Höhe die Trümmer eines römischen Jagdschlosses, wahrscheinlich im ersten Jahrhundert u. Ehr. erbaut. Damals bedeckten weite Wälder die ganze Gegend, und überreiche Beute lohnte dem kühnen Jäger. Von der Villa ist nur der untere Teil einzelner Gemächer erhalten; kleine Säulen tragen die bunten Mosaikfußböden, unter denen die aus dem Feurungsraume geleitete heiße Lust in die Gemächer drang und sie erwärmte. Ein Halbrund schließt das größte Gemach, in dessen Nähe kalte und warme Bäder lagen und dessen Fenster dereinst eine weite Rundschau über die waldbedeckten Höhen gewährt haben müssen. Die stolzen Bogen derselben sind längst zusammengestürzt; nur niederes Mauerwerk läßt Größe und Anlage der unregelmäßig gebauten „Kaiserburg“ erkennen; doch wenn das bleiche Mondlicht die Trümmer umfließt, dann ersteht wohl im Geiste des Beschauers der Römerbau aufs neue; dann wandelt Kaiser Hadrian, der einst hier gehaust haben soll, mit unstätem Blick und wirrem Barte durch den Säulengang, der die Seitenflügelverband, und die weichen Glieder seines Lieblings Antinous schmiegen sich an die Marmorsäule, und träumerische Augen blicken hinunter in das Blättergewirr. Nun bedeckt spärliches Gras die Stelle, wo der stolze Römer über schimmerndes Gestein schritt, und in der einstigen Kaiserburgsteht das Haus des Invaliden, der den Fremden über die Trümmerstätte führt.

Tritt uns hier unterhalb Kyllburgs die antike Welt entgegen, so er-zählt uns in jenem weltverlorenen Thale oberhalb des Städtchens das adelige Frauenkloster St. Thomas von den Zeiten des Mittelalters, in denen die Klosterbauten gleich Pilzen in der Eifel emporwuchsen. Die Gründung desselben wird dem englischen Erzbischof Thomas Becket zugeschrieben, als er während seines Exils im 12. Jahrhundert in Frankreichweilte. Im Viereck umgeben die in diesem Jahrhundert restaurirten Gebäude und die alte Kirche den kleinen, schattigen Klosterhof. Nur das Gotteshaus mahnt durch seinen seltsamen Stil an längst verrauschte Zeiten. Modergeruch schlägt dem Eintretenden entgegen, denn die wenigen rosetten-artigen Fenster lassen Luft und Licht nur spärlich ein, und ärmliche rZierat schmückt die feuchten Wände. Vor dem Altar ruht die erste Aebtissin des Klosters, und ein Stein mit angelsächsischen Schriftzeichendeckt ihren Staub. Die übrigen Klosterfrauen schlafen in der dem Chorgegenüberliegenden Schmalseite der Kirche, welche durch eine Wand von letzterer getrennt und, halb dunkel, an die Krypta der romanischen Kirchenerinnert, nur daß sie nicht unter, sondern auf gleicher Ebene mit dem Gotteshause liegt. Ueber dieser niedrigen, gewölbten Begräbnisstätte liegt das geräumige Chor, wo die Klosterjungfrauen dem Gottesdienste bei-wohnen konnten, ohne sich unter die weltliche Gemeinde mischen zu müssen. In der Gruft bedeckt Grabstein an Grabstein den Boden; wir schreiten über die zerfallenen Leiber derer, deren Abbild mit Aebtissinnenstab und einem offenen Gebetbuche in den Händen den Grabstein schmückt. „Heute mir, morgen dir” steht in großen Buchstaben auf den Blättern desselben; auch sind die Inschriften, welche uns Namen und Würde neunen, noch wohlerhalten, indessen die stolzen Wappen dieser hochadeligen Toten sorgfältig ausgemeißelt — eine mühsame Arbeit, der sich die Franzosen unterzogen, als sie 1804 das Kloster aufhoben.

Welch reiche Beute muß Napoleon I. allein in der Eifel zugefallen sein, als er die vielen begüterten Klöster und Stifter aufhob, deren reichstes und größtes Hemerode oder Himmerod war! Außer dem Kreuzgange und den labyrinthischen Kellern, die sich unter demselben und unter dem ganzen Gebäude hinziehen, ist wenig mehr zu sehen, denn seine Mauern wurden nach der Säcularisation von den umwohnenden Landleuten als Steinbruch benutzt— grade wie die Himmeroder Mönche, einer alten Chronik nach, das römische Amphitheater bei Trier abbrachen, um das trefflich zugehauene Material zu ihrem Klosterbau zu verwenden. Was könnten diese alten Steine erzählen, die widerhallten von dem Todesröcheln unglücklicher Gladiatoren, dem Jauchzen der Menge, die Kopf an Kopfgedrängt auf das blutige Schauspiel des Circus hinabschaute, von den Gebeten und Gesängen christlicher Priester und endlich von hellen, fröhlichen Kinderstimmen, die unter niederm Dache sich um das flackernde Herdfeuer drängen!

Und wie die versunkenen Werke von Menschenhand dem Geschichtsforscher von vergangenen Zeiten reden, so geben seltsam geformte Felsgebilde dem Geologen Kunde von unvordenklichen Zeiten, in denen Wasser und Feuer in furchtbarem Kampfe um die Herrschaft rangen, bis beide Elemente er-lagen, und spärliches Gras auch die Stätte bedeckt, wo der wilde Streitgetobt. Ueberreste längst ausgestorbener Tiere, Gerätschaften armseliger Höhlenbewohner, Jahrtausende dem Lichte entzogen und erst neuerdings ausgegraben, — auf engem Raum zusammengedrängt die Flora vulcanischer und plutonischer Gebilde, alles dies bietet dem Naturforscher eineunerschöpfliche Fundgrube. Vorzüglich ist es das mit der Bahn von Kyllburg in einer halben Stunde zu erreichende höchst sehenswerte Gerolstein, dessen nächste Umgebung dem Kundigen die Geschichte unseres Erdballs im Kleinen erzählt. Und überall, all überall die reizendsten Puncte, die das Auge des Landschaftsmalers entzücken. Da ragen die Trümmer der Kasselburg unweit Gerolstein empor, durch deren mächtige, spitzbogige Einfahrt die lieblichste Waldidylle lauscht und von deren Turme man eine weite Aussicht über Dörfer und Wiesen, Wälder und Felder, Thäler und Berge genießt. Da umschließen bei dem Städtchen Manderscheid steil-abfallende, zerrissene Felswände einen weiten Kessel, aus dem sich ein lang gestreckter, zerklüfteter, von der Lieser fast ganz umflossener Felsgraterhebt, dessen Nord= und Südende von den Trümmern zweier Burgengekrönt wird. Noch zeigt die größere deutlich eine dreifache Umwallung, während die kleinere außer dem starken Wartturme nur wenig Mauerwerkausweist. Nur auf weiten Umwegen gelangt man auf den schroffen Klippen von einer Burg zur andern, so nahe sie auch zusammenliegen. Und wer einmal hoch oben auf dem „Belvedere” stand und hinabschaute, wie die Sonnenstrahlen über den Trümmern und dem Felsgestein, über dem glitzernden Flusse und der rauschenden Mühle tief drunten spielten, der wird das wunderbar schöne Bild niemals vergessen. Leider wird dieser Punct, der überdies nur eine Stunde von dem schönsten der Eifelvukcane, dem Mosenberg, entfernt ist, weniger besucht, als seine herrliche Lage es verdient, da keine Eisenbahn, nur eine Post dorthin führt, die erst um Mitternacht eintreffend, den Reisenden nötigt, in Manderscheid zu über-nachten. Indes ist dort gute und billige Unterkunft, wie auch in Daun, dessen Einwohnerschaft sich die Erhöhung der landschaftlichen Reize angelegen sein läßt! Dort sahen wir die berühmten Maare zwischen Gemünden und Schalkenmehren, in tiefen Kesseln eingesenkte Kraterseen, teils von Waldumkränzt, teils in nicht minder romantischer Oede gelegen. Ein kurzer Marschbringt uns weiter östlich zu dem großen Pulvermaar bei Gillenfeld, und wer von dort aus die mittlere Mosel erreichen will, dem bietet das obere Alfthal einen herrlichen Weg durch die „Strohner Schweiz” nach dem reizenden Bade Bertrich und zu dem Glanzpuncte des Moselthals, der Marienburg. Wer dagegen von Daun oder Gerolstein aus die nördliche Richtung einzuschlagen vorzieht, mag seinen Rückzug aus der Eifel durchjene Thäler der Olef und Roer nehmen, welche vor einigen Wochen in diesemBlatte beschrieben worden sind, über Reifferscheid, Hellenthal, Blumenthal,Schleiden, Gemünd, Heimbach und Nideggen, worauf er bei Düren die Rheinische Hauptbahn erreicht. Auch die östlichen Auswege bieten des Schönen viel, mag man von Daun über Kelberg nach Monreal und durchdas liebliche Elzthal nach Moselkern oder nach Mayen und dem Laachersee wandern, oder mag man, die Eisenbahn bis Station Blankenheim benutzend, das Städtchen gleichen Namens mit seinen malerischen Schloßtrümmern und an der Uhr abwärts die Kreisstadt Adenau besuchen, um hier zwei der lohnendsten Aussichtspuncte der Eifel, die Hohe Acht und die Nürburg, zu besteigen, und dann entweder nach Altenahr oder ins Brohlthal zu gelangen.

Ja, reich an Hab und Gut ist es nicht, dieses viel verkannte und zu wenig gekannte Gebirgsland zwischen Mosel, Rhein und Roer, wohl aber reich an schattigen Wäldern, klaren Bergwassern, ragenden Felsen und romantischen Burgen; und wie unsere berühmtesten Maler, ein Lessing und ein Achenbach, sich dort gern in die Reize der Landschaft versenkt haben, so bietet es auch eine lohnende Zuflucht für den, der die vom Gewirr und Gebrause des städtischen Lebens ermüdete Seele in der stillen Schönheit der Natur neu erfrischen und kräftigen will.

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