Jahr: | 1914-1919 |
Quelle: | Lagerbuch II der Pfarrei Kyllburg S.268-277 |
Autor: | Pastor Josef Rödder, Kyllburg |
Der Krieg
Schon vor und erst recht nach der Firmung zeigten sich immer mehr die drohenden Gewitterwolken vom nahen Krieg und je mehr der Monat Juli seinem Ende entgegen ging desto größer wurde die Spannung und alles hielt gleichsam den Atem an, ob der kommenden Ereignisse. Da kam der 31. Juli und mit ihm die Erklärung des Kriegszustandes in Deutschland. Die Fremden und Kurgäste, die vorher noch nicht abgereist waren, ergriffen nun eiligst die Flucht. In Kyllburg war wegen der Menge der Abreisenden ein gewaltiges Durcheinander und große Aufregung. Schon waren seit einigen Tagen die Brücken und Tunnels der Kyllbahn militärisch besetzt und Samstag, den 1. August und erst recht am anderen Sonntag, gewann Kyllburg ganz militärisches Aussehen. Samstags am Tag vor (?) wäre so schon großer Beichttag gewesen, aber so war wegen des drohenden Krieges die Arbeit kaum zu bewältigen. Wir saßen schon vormittags bis 10 Uhr und nachmittags von ½ 3 – ½ 11 Uhr und meist waren es Jungen und Männer, die mit sollten in den Krieg.
Mobilmachung
Es war ein arbeitsreicher Tag, aber auch voll heiliger Freude und tiefer Rührung. Ich werde ihn nie vergessen. ½ 7 Uhr abends trat ein Landwehrmann an meinen Beichtstuhl und sagte: “Herr Pastor, es ist mobil,” und ihm und allen, die am Beichtstuhl knieten waren Tränen in den Augen. Männer beichteten mit einer Innigkeit und verabschiedeten sich von mir mit einer Herzlichkeit, daß es mir tief ans Herz ging, Der letzte ging nach abends ½ 11 mit mir aus der Kirche und begleitete mich bis ans Pfarrhaus. Dort drückte er mit tief bewegt die Hand – er war der erste, der aus meiner Pfarrei gefallen ist, schon am 27. August in der Schlacht bei Sedan (Matthias Mohr aus Kyllburg).
Um 12 Uhr nachts wurde der Landsturm alarmiert und gleich schellten auch schon Männer am Pfarrhause. Inzwischen kamen wieder andere. Ich legte mich noch ein paar Stunden zur Ruhe und ging dann vor 5 Uhr wieder in die Kirche. Herr Kaplan hielt gleich eine heilige Messe mit Kommunion für diejenigen, die mit den 6-Uhr-Zügen fort mußten. In den Frühmessen war die ganze Männerseite bis zu der letzten Bank gefüllt von Kommunikanten, ungefähr 400. Auch im Hochamt war wieder alles besetzt und alle tief ergriffen, besonders durch das Evangelium vom drohenden Unheil und Untergang Jerusalems und der ihm folgenden Predigt.
Da Kyllburg für den Kriegsfall Truppen und Kleiderdepot war, trafen mit den Mittagszügen schon Mannschaften von Auswärts hier ein und wurden hier militärisch ausgerüstet. Manche von ihnen hatten in der Heimat nicht die hl. Sakramente empfangen können und besorgten das deshalb hier. So fing am Nachmittag schon wieder gleich die Beichtarbeit an. Wir hörten in den folgenden Tagen zu jeder Zeit Beichte, in den Kirchen, auf den Zimmern, im Pfarrhause und sogar in einem Nebenraum des Depots. Es waren ganz großartige Tage, die Straßen voll Menschen, die vor Aufregung nicht arbeiten wollten, und die Kirchen immer voll Beter. nun kam das traurige Abschiednehmen unserer Leute. Da begann auch der Transport mit der Bahn und der große Aufmarsch. Zug um Zug rollte unten vorbei. Tausende und Abertausende junge, blühende Menschen, zum grausigen Tod bestimmt. Sie waren so begeistert und sangen immer wieder, daß es einem durch Mark und Bein ging:
“In der Heimat, in der Heimat, da gibt’s ein Wiederseh‘n!”
Einquartierungen
Bald kamen auch für die ganze Eifel und auch für Kyllburg die große Einquartierung. Tausende von Soldaten und viele Pferde mußten hier untergebracht werden. Mit meiner Erlaubnis wurde auch unser schöner Kreuzgang zum Pferdestall eingerichtet und Behörde und Militär waren sehr froh, daß sie ihn Hatten, denn es konnten ungefähr 100 Pferde da stehen. Und wenn morgens welche ausrückten, war er meist Abends neu belegt.
Sachsen im Kloster
Es waren meist sächsische Regimenter, die hier in der Südeifel einquartiert waren, fast ausschließlich Protestanten, anfangs ein bißchen scheu. Als sie sich etwas eingewöhnt hatten, liebe, nette Jungen und Männer, sehr anständig, mit ganz wenig Ausnahmen, und für alles was man ihnen tat sehr dankbar. Hier im Klosterkrankenhaus wurden die Kranken und Schlappgewordenen untergebracht. Wir hatten das ganze Haus voll, ca. 60-70 und pflegten sie gut. Zuerst waren sie den Schwestern und mir gegenüber etwas zurückhaltend, weil sie wohl meist Katholiken noch nie aus der Nähe gesehen hatten. Aber nachher waren sie ebenso lieb und zutraulich, gingen sehr gerne und zahlreich in unsere Kirche und predigten und einige von ihnen standen während des ganzen Krieges noch mit mir im Briefwechsel. Alle versprachen dem gastlichen Kloster ein gutes Gedenken und nur wenige gingen fort ohne besonderen Abschied vom Pastor im Pfarrhause. So hatten wir kranke Sachsen hier bis im November.
Verpflegung von Soldaten
Bei dem Durchmarsch von Soldaten durch den Ort und bei Vorbeifahrt am Bahnhof zeigte sich in schöner Weise der Patriotismus der katholischen Eifeler und ihre rührende Liebe zu den Soldaten. An allen Straßenecken standen die Leute mit Wasser und Limonade, mit Butterbroten und Schokolade, mit Zigarren und Zigaretten und waren selbst glücklich, wenn sie den müden, dankbaren Feldgrauen eine Freude machen konnten. Von den Filialen kamen sie mit Wagen und Wägelchen, vollbeladen mit Brot und Butter, Eier und Schinken und Würsten und fuhren auf den Bahnhof und dort war ein eigener Raum eingerichtet, wo die Sachen bereit gemacht für die vorbeifahrenden Soldaten. Sobald wieder ein Zug ankam, dann streckten sich jedem Wagen zahlreiche freundliche Hände entgegen und gaben, was nur zu geben war. Man kann schwer sagen, wer froher dabei war, die Schenkenden oder die beschenkt wurden. Diese Bahnhofsverpflegung hat Tag und Nacht 2 Monate gedauert.
Lazarette
Gleich bei Beginn des Krieges hatten wir unser Kloster und das schöne Josephs-Haus zum Lazarett für Verwundete zur Verfügung gestellt. Ebenso wurde das Malberger Schloß von der Besitzerin zu gleichem Zweck der Heeresverwaltung offeriert. Kyllburg und Malberg sollten dann dem größeren Lazarett in Bitburg angegliedert und unter einen gemeinsamen Chefarzt gestellt werden.
Malberg wurde auch schon im Oktober 1914 mit Verwundeten belegt. Hier dagegen kamen erst welche am 7. März 1915. In den ersten Monaten hatten unsere Franziskaner-Schwestern die Kriegsverwaltung in Malberg, zwei Schwestern waren ständig da. Wegen der weiten Entfernung, aber, und besonders wegen der dauernden Abwesenheit der zwei Schwestern vom Kloster, ließ sich das doch auf Länge der Zeit nicht machen. Nach drei Monaten voll vieler Unmenschlichkeiten und Unzuträglichkeiten sahen sich die Schwestern genötigt, die Verbindung mit Malberg zu lösen und sich auf das eigene Haus zu beschränken, wie ich es von Anfang immer gewollt und geraten hatte.
Hier im Hause hatten wir immer 30-50, meist leicht Verwundete. Sie waren alle sehr gerne hier und gingen immer ungern und recht dankbar weg und schreiben noch immer, daß sie Kyllburg und dieses Kloster und die liebevolle Pflege, die sie hier gefunden in ihrer Erinnerung behalten werden.
Die unteren Verwaltungsorgane dagegen machten den Schwestern in finanzieller und auch in anderer Beziehung viele Schwierigkeiten und manche Sorgen. Auch die militärische Beaufsichtigung der Schwestern ließ sehr zu wünschen übrig. Als darum nach längeren Verhandlungen zwischen der Provinzialverwaltung und dem Mutterhause in Waldbreitbach unser Haus zum Aufenthalt für erholungsbedürftige Kinder bestimmt wurde, waren wir alle recht froh, daß am 1. März 1916 das Lazarett in Kyllburg aufgegeben wurde. Mit dem Lazarett in Malberg geschah einen Monat später am 1. April 1916 dasselbe.
Kinderheim im Kloster
Durch den 12monatigen Lazarettbetrieb war unser schönes St. Joseph-Haus sehr übel mitgenommen worden und mußte vom Keller bis zum Speicher neu gebohnert, gestrichen und unter erheblichen Kosten für seine neue Bestimmung würdig und freundlich eingerichtet werden.
Mit Anfang Mai 1916 zogen die ersten Kinder in unser Haus und gaben ihm den neuen Namen “Kinderheim St. Joseph in Kyllburg”. Es handelte sich um schwächliche, unterernährte Kinder meist aus den Industriebezirken, die auf Kosten der Landesversicherung 6-8 Tage hier bleiben und durch gute Luft, Liegekur und reichliches Essen wieder hochgebracht werden sollten. Für die Zeit ihres Hierseins gelang das auch fast immer. Ob auch für dauernd, wenn die Kinder wieder in dieselben früheren Verhältnisse zurückkehren ist allerdings sehr fraglich. jedenfalls aber sind die Kinder (meist 50 an der Zahl) sehr gerne hier, schreiben nach Hause nur von der schönen Gegend und dem vielen Essen. Nach den schönen Tagen Flossen immer viele Kindertränen beim Abschied von dem lieblichen Kyllburg.
Abgabe von Orgelpfeifen und Glocken
Wie überall, so wurde nun auch von uns von der Kriegsmetallstelle die Abgabe der Zinn-Orgelpfeifen und der Glocken verlangt. Zuerst kamen die Orgelpfeifen an die Reihe und mit Schrecken dachten wir daran, wie unsere große Orgel und schließlich unsere ganze Kirche ohne die Prospektpfeifen aussehen sollte. Ich machte verschiedene Berichte, daß es ohne die Metallpfeifen hier nicht ginge, einerseits, weil die Prospektpfeifen lauter spielende Pfeifen seien und andererseits, weil mit den Holzpfeifen wegen ihres Alters kaum mehr zu rechnen sei. Man gewährte einen Aufschub, bis Ersatzpfeifen aus Zink da seien. Dieses Aufschieben wiederholte sich einigemal, bis man schließlich unsere Orgel absichtlich oder unabsichtlich an der Metallstelle vergessen hatte. So behielten wir dann glücklich unsere Orgelpfeifen.
Nicht so gut ging es mit den Glocken ab. Freiwillig lieferten wir sofort je eine Glocke aus der Maximinkirche hier, aus Kyllburgweiler, Orsfeld und Wilsecker ab. Das Chorglöckchen in der Stiftskirche und das in Etteldorf gab ich in der Aufstellung gar nicht an und bemühte mich sehr von unserem neuen Geläute in der Stiftskirche das Möglichste zu retten. Eine Reihe von Monaten ging es auch gut, aber schließlich mußten wir doch die größte Glocke (20 Zentner) abgeben und waren froh, daß und – als Ausnahme in der ganzen Gegend – wenigstens 2 Glocken gelassen wurden und wir so doch ein Geläute behielten.
Kriegsfenster
Im Sommer 1918 erhielten wir in unserer Pfarrkirche auch ein bleibendes Andenken an unsere gefallenen Krieger. Bestehend in einem gemalten Fenster mit passendem Bild und den Namen der Gefallenen. Es stand uns dazu nur das große, vierteilige Fenster über dem Haupteingang zur Verfügung. Es zeigt in seinen oberen Teilen das Wappen von Kyllburg, die Jahreszahlen 1914-1918, Kriegerembleme und Lorbeerverzierung. In der Mitte groß ein feldgrauer Krieger, der in voller Ausrüstung vor der Patronin unserer Pfarrei, der Himmelskönigin kniet und aus den Händen ihrer göttlichen Kinder den himmlischen Siegerlorbeer empfängt. Zur Seite sind noch zwei Ritter gestalten und unter dem Bilde die Namen unserer gefallenen Krieger und wann sie gefallen sind. Die Firma Binsfeld in Trier hat auch dieses Fenster geliefert. Kostenpunkt 1750 Mark, die ich durch eine einmalige Hauskollekte in der Pfarrei sofort und vollauf zusammen hatte.
Kriegsgefangene
Vom zweiten Kriegsjahr an waren auch hier in den einzelnen Ortschaften überall Kriegsgefangene in der Landwirtschaft beschäftigt. Die Mehrzahl waren Russen, nachher verschiedentlich auch Franzosen. Die Gefangenen wurden in unsere Bauernfamilien – mit ganz vereinzelten Ausnahmen – sehr gut behandelt und gehalten. Sie aßen mit den Leuten am Tisch, wurden mit Kleidern versorgt und überhaupt wie zur Familie gehörig betrachtet. Die Gefangenen, darum auch sehr gerne hier, waren auch meist recht dankbar arbeiten und, mit wenigen Ausnahmen, auch anständig. Offenkundige Ärgernisse sind meines Wissens keine vorgekommen. Unsere Mädchen haben sich gottlob so gehalten, daß hier keine jungen Russen oder Franzosen zurückgeblieben sind, wie es in sehr vielen Pfarreien geschehen ist. Die Gefangenen kamen auch oft, an den hohen Feiertagen immer, zum Gottesdienst in unsere Pfarrkirche, benahmen sich dabei immer ordentlich, obwohl sie meist andersgläubig waren. bei ihrem Abschied im November 1918 bedankten sie sich durch ihren Dolmetscher eigens bei mir, daß sie auch kirchlicher und meinerseits so gut behandelt worden seien.
Kriegsende
Im Sommer und Herbst 1918 wurde die Lebensmittelknappheit, die Unzufriedenheit und Sehnsucht nach Kriegsschluß allenthalben draußen bei den Soldaten und noch nicht hier in der Heimat immer größer und immer lauter. Zugleich gewann der gewann der Gedanke immer mehr Boden, daß Deutschland, trotz aller Anstrengung und aller Opfer, den furchtbaren–Krieg nun doch verlieren werde. Mißstimmung in allen Herzen und Häusern, Verzagtheit und allgemeine Furcht, unsere Gegend möchte leicht gar Kriegsschauplatz und Operationsgebiet werden, bis schließlich alles aufging in einer großen, stummen Apathie, die nur den einen Gedanken kannte: Schluß, Ende, Frieden um jeden Preis.
Aber es sollte ein Ende mit Schrecken werden, denn der Waffenstillstand im November brachte uns zugleich das Schlimmste, was uns in diesem Augenblick passieren konnte:
Die Revolution
Doch merkte man hier äußerlich wenig von der Revolution. Wir lasen nur von den blutigen Szenen in den Hauptstädten, von den Aufrühren und Plünderungen auch in rheinischen Städten. Wir sahen auch die Militärzüge mit roten Fahnen und wilden Kerlen. Auch hier kamen die ersten Soldaten aus den Garnisonen in der Etappe der roten Schleifen und auch mit roten Ideen. Aber die schnelle Aufeinanderfolge der Ereignisse und die ganze aufgeregte Zeit ließ keinem Raum zum Nachdenken. Der sofort einsetzende Rückmarsch der deutschen Truppen durch unser Gebiet und die damit verbundenen Einquartierungssorgen machten vorläufig revolutionären Gedanken und den sozialistischen Ideen ein schnelles Ende. Jeder hatte mit sich selbst zu tun.
Rückmarsch
Der Rückmarsch unserer Truppen war mit das Traurigste, was wir vom Krieg zu sehen bekamen. Man hätte weinen mögen, besonders wenn man an den glänzenden Durchmarsch von 1914 dachte. Unsere Soldaten mißstimmt, teilweise verroht, äußerlich verkommen und innerlich verelendet und demoralisiert, nur von dem einen Gedanken getrieben:
“Über den Rhein, über den Rhein!”
Sie stahlen und ließen sich bestehlen, verkauften unberechtigt Heeresgut, Lebensmittel, Lederzeug, Kleidungsstücke, ja Wagen und Pferde. Leider gab es Leute genug, die die Gelegenheit benutzten und sich förmlich ein Geschäft daraus machten Sachen von den Soldaten zu stehlen oder für billiges Geld einzukaufen.
So ging es beinah 3 Wochen: Immer neue Truppen hier durch. Sie führten alle möglichen Gefährte mit sich, Wagen aller Sorten, auch Ochsen und Kühe, Ziegen und Schafe. Der ganze Ort und die Straßen glichen manchmal einer förmlichen Wagenburg. Man mußte oft halbe Stunden an einer Ecke stehen bleiben, weil irgendwo eine Stockung war. An ein Weiterkommen oder Vorbeikommen nicht zu denken. Die Straßen waren ganz zerfahren, verdreckt und verschlammt. In den Häusern ein fortwährendes Kommen und Gehen von Soldaten. Man wußte meist nicht, wieviele man im Hause hatte. Die Häuser waren alle voll bis oben. Hier im Pfarrhaus hatte ich meist 10-15, aber in den großen Bauernhäusern auf en Filialen waren es 150-200 Mann. Und trotzdem hörte man die Leute kaum klagen über all die Last und Beschwerden, weil sie sich sagten, daß sie das immer noch besser zu tragen hätten als die armen Soldaten, die nach all ihren Strapazen und Leiden und nach all ihren Siegen nun so zurück kommen mußten.
Grippeepidemie 1918
In diesen Tagen der Angst und Wehmut und Unruhe (Mitte Oktober – Mitte Dezember) trat auch noch im ganzen Rheinland und auch in unserer Gegend eine epidemische Grippe ziemlich heftig auf. Seffern hatte innerhalb von 4 Wochen 30 Leichen, ähnlich war es in Bitburg, Speicher und Spang. Hier in der Pfarrei ging es noch verhältnismäßig recht günstig ab. In St. Thomas hatten wir die meisten Todesfälle, 9 innerhalb von 2 Wochen, davon 4 in einem Hause. Auch in Kyllburgweiler hatte ich innerhalb 10 Tagen 4 Leichen. Sonst in der Pfarrei waren noch viele Kranke. Aber die Krankheit trat doch mehr harmlos auf und die meisten brauchten nur 3-8 Tage zu liegen, hatten aber unter den Nachwehen vielfach noch recht zu leiden. Im nahen Fließem starb auch ihr Pastor Jürgens in wenigen Tagen an der Grippe. Er war im besten Mannesalter von 40 Jahren. Der Stärkste von uns allen, er war ein lieber Nachbar und mit sehr schweren Herzen habe ich ihn am 22 November 1918 begraben.
Feindliche Besatzung
Kaum waren die letzten unserer Truppen durch, da rückte ihnen auf dem Fuße die feindliche Heeresmacht nach. Am 2. Dezember 1918 besetzten amerikanische Soldaten Kyllburg. Wer hätte einmal gedacht, daß ja Amerikas Sternenbanner hoch vom Burgturm über Kyllburg wehen würde. Es ging uns allen durch Mark und Bein, als wie die ersten feindlichen Truppen auf unseren Bahnen, in unseren Straßen sahen. Erst waren sie sehr vorsichtig, zaghaft und zurückhaltend, wurden aber bald zutraulich und frei, als sie merkten, daß sie unsere Leute nicht zu fürchten brauchten. Nachher wurden sie vielfach sehr arrogant, frech und unverschämt. Bald war der ganze Ort von durchziehenden Truppen voll und dasselbe Schauspiel der Einquartierung und Überfüllung wiederholte sich jetzt im Dezember mit feindlichen Soldaten, was wir im November mit deutschen Truppen mitgemacht. Ich hatte einmal eine volle Woche 30 Mann hier im Pfarrhause und so ähnlich war es in allen Häusern, die kleinsten Wohnungen mit 5-6 Mann belegt und ein Durcheinander, daß man heute kaum noch weiß, wie es zu machen war. Nachdem der Durchzug so den ganzen Dezember gedauert, setzte sich Mitte Januar 1919 allmählich die ständige Besatzung fest. Kyllburg war Sitz eines Divisionsstab und blieben bis Mitte Mai sehr stark belegt. Die schöne Gegend, die guten Bahnverbindungen und besonders angenehmen Wohnungsverhältnisse für die Offiziere in den großen Hotels gefielen offenbar den Amerikanern sehr gut und machten, daß Kyllburg ständig voll belegt blieb. Während unsere Filialen und überhaupt kleineren und etwas abgelegenen Dörfern gar keine Einquartierung hatten. Auch die Privathäuser alle stark belegt. Hier im Pfarrhause hatte ich einen katholischen Divisionspfarrer. Ein wenig angenehmer Patron. Dazu beinahe 4 Monate eine Amerikanerin, die im Offiziersrang stehend die Leitung des Wohlfahrts- und Vergnügungswesens hatte. Sie hielt uns ja wohl das Haus von noch mehr Einquartierung frei. Sie war sehr gern hier, aber, was man da alles zu sehen über sich ergehen lassen mußte, das hätte unser altes Pfarrhaus und wir selber uns doch niemals geträumt – aber nichts war zu machen, sie waren die Herrn.
Exerzitien für Kriegsteilnehmer
Vom 28. Dezember 1918 – 2. Januar 1919 ließ ich durch einen Jesuitenpater eigens Exerzitien für die eben heimgekehrten Kriegsteilnehmer halten. Es war eine gewagte Sache bei dem allgemeinen Durcheinander und tiefen Gemütsdepression der Krieger. Ich machte in Pfarrkirche und Filialkapellen Propaganda und lud schließlich mit einem besonderem Schreiben (der gleich schon die Tagesordnung enthielt) jeden einzelnen schriftlich ein. Gott sei dank – es hat eingeschlagen. Gleich am ersten Abend war die Maximinkirche unten bis zum letzten Plätzchen gefüllt. So kamen sie die ganzen 4 Tage hindurch. Die Jungen und Männer beteten und sangen und waren so gut gewillt und begeistert, daß es jeden rührte, der es mit ansah. Alle Teilnehmer legten eine Generalbeichte ab. Die Generalkommunion am Neujahrsmorgen war so feierlich und ergreifend, daß sie allen, die dabei waren, in lieber Erinnerung bleiben wird. Von den über 200 Kriegsteilnehmern haben kaum 10 an den hl. Übungen sich nicht beteiligt.
Männerapostolat
Der Pater machte die Exerzitien in seinen letzten Vorträgen ganz besonders für das Männerapostel mobil. Es wurde gegründet. Ungefähr 70 Jünglinge und Männer haben sich dazu gemeldet. Nicht alle blieben ihrem Versprechen treu, aber immerhin kommen doch noch eine ganze Anzahl an jedem ersten Sonntag des Monates zur Männerkommunion, zu der jedesmal von de Kanzel und auch durch Übersendung des Blättchens vom Männerapostolat eingeladen hat. Ich hoffe, daß dieser gute Anfang sich in einer baldigen großen Mission für die ganze Pfarrei weiter ausbauen läßt.
Wahlen zur Nationalversammlung
Die Kriegsexerzitien waren die allerbeste Vorbereitung auf die bald folgenden Wahlen zur Nationalversammlung im Januar 1919. Die Sozialdemokraten arbeiteten mir Hochdruck auch hier in der Eifel. Die allgemeine Unzufriedenheit, die bitteren Erfahrungen der Krieger und all das Schlechte, was sie gesehen und gehört und daheim erzählten war nur allzu reichlich Wasser für die roten Mühlen. Dazu konnte ich wegen der starken feindlichen Besatzung, die alle größeren Räume belegt hielt, auch nicht einmal ein Lokal zu einer großen, aufklärenden Versammlung bekommen. Ich war deshalb genötigt die Sache in der Kirche zu machen und hielt am 6. und 7. Januar in der Maximinkirche abends 6 Uhr zwei Versammlungen mir eingehender Belehrung über Ernst und Wichtigkeit dieser Wahlen und über die Wahlpflicht. Die erste Versammlung war für Frauen und Jungfrauen, die zweite für Männer und Jünglinge. Beide waren sowohl aus dem Ort, wie von den Filialen sehr gut besucht. Ihnen und ganz besonders den vorangegangenen Kriegerexerzitien hatten wir es zu verdanken, daß unsere Pfarrei bei diesen Wahlen sehr gut abgeschnitten hat und die Roten mit allen ihren Bemühungen es nur auf 20 Stimmen brachten. Trotz des Mißerfolges gründeten die Sozialdemokraten hier eine Organisation, die anfangs etwa 25 Mitglieder zählte, mit 3 Ausnahmen lauter grüne, dumme Jungen von 18-22 Jahren, aber die Sache zerfiel schon im Laufe des Jahres, so daß die Roten für die Reichstagswahl 1920 schon gar keine eigene Wahlversammlung hier abhielten.