Geschichte Pfarrarchiv

Der Zweite Weltkrieg

Jahr: 1945
Quelle: Pfarrarchiv/Brief an das
Bischöfliche Generalvikariat
Autor: Dechant Albert Wirth

Bericht über die Pfarrei Kyllburg Dezember 1944 und Januar 1945

 

Kyllburg, 2. Februar 1945

An das Hochwürdigste Bischöfliche Generalvikariat

Bis zu dieser Zeit konnte in der Pfarrei die Seelsorge fast normal durchgeführt werden. Eine Ausnahme war lediglich die Zeit der kritischen Septembertage, in der auch unsere Gemeinde unmittelbares Kriegsgebiet zu werden drohte. Durch die überaus starke Einquartierung war auch der große Kapitelsaal beschlagnahmt worden und der kleine, den wir als Unterrichtsraum benutzten. Die Seelsorgestunden wurden deshalb morgens im Anschluß an das hl. Meßopfer gehalten. Ein Teil der Schüler der Oberklasse mußte die Milch für den Ort heranbringen, ein Teil der Schülerinnen war zu Kartoffelschälen für die Wehrmänner eingeteilt, diese konnten deshalb dem Unterricht nicht beiwohnen. Für die Wehrmänner und Soldaten und unsere Männer, die mit dem Bau der Panzersperren beschäftigt waren, wurden Abendmessen abgehalten. Auf den Filialen wie auch in der Stiftskirche wurden die Abendgottesdienste feierlich gestaltet. Die Männer des Kreises Altenkirchen gaben durch ihre gute Teilnahme und den regen Sakramentenempfang ein schönes Beispiel. Da auf allen Filialen Sonntags Messe war, mußte von der Trinationserlaubnis Gebrauch gemacht werden. Durch die weiten Entfernungen und die schlechten Wege war dieser vermehrte Sonntagsdienst eine besondere Belastung für die Pfarrgeistlichkeit.

Der 16. Dezember brachte nun für unsere Pfarrei und die gesamte Eifel eine völlig neue Lage. Er brachte den Beginn der Offensive. Eine Zeit der Bedrängnis und der Leiden fing an. Die starke Fliegertätigkeit am Sonntag, den 17.12. über unserem Ort verhieß nicht Gutes für die Zukunft, wenn auch nur geringer Bordwaffenbeschuß erfolgte. In der Kirche der Filiale Orsfeld wurden dadurch leichte Beschädigungen an Tür und Fenstern hervorgerufen. Am Dienstag, den 19.12. – nachmittags 13.15 Uhr – rauschte der erste Bombenteppich über unsere Pfarrei nieder; er war für das Bahnhofsgelände bestimmt. Dort ausgeladenen Soldaten hatten sich trotz Warnung nicht in Deckung begeben. 42 Opfer forderte der Angriff – meist Soldaten. Zwei Pfarrkinder fanden dabei den Tod. Die Priester der Pfarrei halfen sofort nach Kräften am Tatort wie an den Notverbandsplätzen und im Krankenhaus durch Spendung der Sterbesakramente unter den grausig Verstümmelten, durch Gebet, auch mit Andersgläubigen.

Dieser Angriff hatte uns zum ersten Mal die Schrecken des Luftkriegs in einem Ort erleben lassen, der keine ausreichenden Deckungsmöglichkeiten bot, wie sie in den Städten angelegt waren. Am 20. Dezember traf Pater Peus S.J. aus Trier ein, der im Kloster Wohnung nahm. Er stellte sich sofort zur Aushilfe zur Verfügung. Beim Sonntagsdienst haben wir in ihm eine wertvolle Stütze, so daß die Trination unterbleiben kann.

Die Opfer des 19. Dezember mußten mangels eines geeigneten Raumes in der Maximinkirche aufgebahrt werden. Von dort aus wurden sie am Samstag, den 23 Dezember morgens in Reihengräbern beigesetzt. Dieser Tag sollte neues Unheil über uns bringen. Trotz des Protestes des Unterzeichneten waren vor der Stiftskirche in unmittelbarer Nähe des Krankenhauses vier Flakgeschütze aufgestellt worden. Der Marktplatz war zudem fast ohne jede Deckung mit Fahrzeugen übersät. Ihm galt der nächste Angriff, der gegen 11 Uhr morgens über den Ort hereinbrach. Ein großer Teil der Stiftstraße in der Luftlinie nicht weit vom Marktplatz entfernt, wurde weggemäht. 22 Personen, dazu 2 Soldaten, starben. es waren darunter zwei brave Seelsorgehelferinnen – Catharina und Gertrud Hill – die in uneigennütziger Weise, wenn es nur galt, ihre Freizeit für die Pfarrei opferten, dann zwei Meßdiener und vier Angehörige des Herrn Kaplan. Unser Gottesdienst wurde sehr beeinträchtigt, da eine Bombe in der Nähe der Stiftskirche die Chorfenster herausriß und die anderen Fenster schädigte. Die wertvollen Chorfenster waren zum Glück bei Beginn des Krieges herausgenommen worden und durch einfache ersetzt. An eine Abhaltung des Gottesdienstes in der Stiftskirche war nun nicht mehr zu denken. Die Gläubigen wären allen Unbilden der Witterung ausgesetzt gewesen. Ein weiteres Bestehen dieses Zustandes würde schwere bauliche Schäden für die Kirche hervorrufen. Deshalb trat die Pfarrgeistlichkeit an den Herrn Amtsbürgermeister heran mit der Bitte um Hilfe. Es wurde in Aussicht genommen, die Fenster vorläufig mit Brettern zuzunageln. Bis jetzt konnte noch nicht an die Arbeit herangegangen werden, da es an Arbeitern für den Gerüstbau fehlt. Die untere Kirche (Maximinkirche) war nun damit praktisch Pfarrkirche geworden. Ein provisorischer Beichtstuhl wurde heruntergeschafft.

Weihnachten wurde ganz in der Maximinkirche gefeiert. Aber an recht Weihnachtsfreude war nicht zu denken. Zu viel war vorausgegangen. Zudem war die Heilige Nacht erfüllt von dem Geheul zum Schuß abstürzender Jabos, ihrem Bordwaffengeknatter und dem dumpfen Lärm der Bomben. Unter den Trümmern der getroffenen Häuser wurde noch nach Verschütteten gegraben. So gab Weihnachten keine volle Freude, wohl aber der Trost der Begegnung mit dem in seiner Güte und Menschenfreundlichkeit sichtbar gewordenen Gott.

In der Filiale Orsfeld stand über Weihnachten der Sarg mit den sterblichen Überresten des bei den Straßenkämpfen in Echternach am 16. Dezember gefallenen Abiturienten Peter Salzburger. Er gehörte dem Konvikt in Trier an und wollte Priester werden. Durch seinen Tod war der Pfarrei in diesem Krieg zum dritten mal die Hoffnung auf einen Neupriester aus ihrer Mitte genommen worden.

Das Begräbnis der Opfer des 23, Dezember fand am Freitag, den 29. Dezember in einer kurzen einfachen Feier statt. Särge waren nicht zu beschaffen. So hatte man die Bretter der Badeanstalt genommen, um daraus rohe Kisten zu fertigen. Im Verhältnis zu der großen Trauer , die über der Pfarrei lag, waren nur Wenige zur Begräbnisfeier erschienen, wohl aus Furcht vor einem neuen Angriff.

Am Sonntag, den 31. Dezember erfolgte gegen Mittag ein kleiner Jaboangriff, der zwei Todesopfer auf dem Bahngelände erforderte. Drei Bomben fielen auch unmittelbar vor ein Haus, ohne den dort anwesenden acht Personen Schaden zuzufügen.
Das neue Jahr wurde so von der Bevölkerung der Pfarrei nicht in lauter Festesfreude erwartet, wohl aber in der stillen Hoffnung, daß es den Frieden bringen möchte.

Aber der 2. Januar 1945, ein Dienstag, sollte schon neues großes Unheil über unsere Pfarrei bringen. In kurzen Abständen fielen drei Bombenteppiche nieder. Der Angriff galt vor allem der Durchgangsstraße; von der Oberkailerstraße bis zum Malbergerweg wurden viele Häuser zerstört. Das Hotel zum Stern und ein großes Haus an Bahngelände brannten dabei aus. Der Friedhof wurde von mehreren Bomben getroffen. Die Begräbnisstätte der Schwestern wurde dabei zerstört. Für die Pfarrseelsorge am schlimmsten war aber der Totalverlust der altehrwürdigen Maximinkirche. Sie wurde vollständig vom Erdboden hinweggefegt. Nachweislich wurde an dieser Stelle wenigstens seit dem Jahre 800 das hl. Opfer gefeiert. Am 2. Januar morgens war es nun zum letzten Male dargebracht worden. Einzig unversehrt stand über den Trümmern aufrecht ohne Beschädigung der Tabernakel mit dem Allerheiligsten. Ohne weiteres konnte er geöffnet werden und wurde einstweilen in einem würdig ausgestatteten Keller in der Nachbarschaft untergebracht. Regelmäßig halten die Anwohner dort abends Andacht vor dem Allerheiligsten. Der unversehrte Tabernakel war uns allen Symbol für den Sieg Christi über allen Menschenhaß und alle Zerstörung.

Bei dem Angriff hatte es im Vergleich zu den Gebäudeschäden weniger Menschenverluste gegeben. Trotzdem wurden wieder 14 Personen aus unserer Pfarrei tödlich getroffen, dazu mehrere Fremdarbeiter. Sieben Mitglieder einer gut katholischen Familie lagen allein unter den Trümmern. Nur teilweise konnten die Getöteten geborgen werden. Nun war für die Pfarrei die große Not da. Es gab keine Kirche mehr, in der Gottesdienst abgehalten werden konnte. Die Klosterkapelle wurde von den Insassen des Hauses selbst ganz ausgenutzt. Zudem waren wir in der Abhaltung der Sonntagsmesse wegen der Luftgefahr nur auf wenige Stunden beschränkt. Die Mehrzahl der Bevölkerung hielt sich dabei in den beiden Tunnels auf. So blieb nichts anderes übrig, als in die Armut und Not der Tunnels herabzusteigen. im großen und kleinen Tunnel wurde Sonntags je eine hl. Messe gefeiert – insgesamt 16 mal. Das erste Opfer wurde an einem Herz-Jesu-Freitag, den 5. Januar im großen Tunnel dargebracht. Wochentags wurde nur einmal im Tunnel Gottesdienst gehalten und zwar ein Gedenkgottesdienst für die Gefallenen der Fliegerangriffe. Nicht nur von der Bevölkerung, auch von anderen Stellen wurde es anerkannt, daß wir so mit dem lebendigen Gott zu den Menschen in ihrer Not herabkamen. Der Tunnelgottesdienst sollte aber nur Ausnahmefall bleiben. So ergriff der Unterzeichnete sofort die Gelegenheit, als der große Kapitelsaal von Einquartierung frei wurde, ihn als Notkirche in Beschlag zu belegen. Unter der Mithilfe einiger rühriger Kräfte konnte er in würdiger Weise hergerichtet werden. Am Sonntag, den 28. Januar, 18 Uhr konnte dort zum ersten Male das hl. Opfer gefeiert werden. 200-300 Personen können in diesem Raum der hl. Handlung stehend beiwohnen.
Nun ist dem Herrgott in Kyllburg wenigstens eine ihm für diese Notzeit einigermaßen würdige Wohnung eingerichtet. Dadurch ist seit den Ereignissen des 16. Dezember für die Pfarrei ein entscheidender Einschnitt gekommen.
Das Grollen der Front rückt näher. Hoffentlich bleiben nun Gläubige und die altehrwürdige Stiftskirche mit der neuen Kirche im großen Kapitelsaal in Gottes Schutz.

Albert Wirth
Dechant

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