Herausgegeben von Dr. Franz Bock | Verlag Wilhelm Schulte | ca. 1890 | 100 Seiten
I. Zur Geschichte Kyllburgs
Wie der Name Kyllburg deutlich besagt, leitet der Ort seine Entstehung von einer Burg her. Und in der That war der Bergkegel, den die Kyll in einem nahezu geschlossenen Kreise umfliesst, zur Anlage einer starken Burgfeste wie geschaffen. Wann und von wem dieser naheliegende Gedanke zuerst verwirklicht wurde, wissen wir nicht; aber im Jahre 800 war die Höhe schon mit einer Burg gekrönt.
Beyer, Urkundenbuch zur Geschichte der mittelrheinischen Territorien, I, S. 17.
Damals schenkten nämlich die Eheleute Elmfried und Doda mehrere Ländereien, welche am Kiliberg gelegen waren, der Abtei Prüm. Vielleicht infolge dieser Schenkung wurde auf dem Berge auch eine Kirche errichtet; sie wird in einem Güterverzeichnisse der genannten Abtei schon im Jahre 893 erwähnt und im Jahre 1222 als Mutterkirche bezeichnet.
Beyer, Urkundenbuch, I, S. 150.
An Stelle des alten Kastells erbaute der Erzbischof Theoderich II. von Trier (1212–1242) im Jahre 1229 eine grössere Burg: Kyllburg befindet sich nämlich später nicht mehr im Prümer Besitz, sondern erscheint stets unter den Ortschaften, deren Eigenthumsrecht den Trierer Erzbischöfen von den Kaisern bestätigt wird. Die Veranlassung zur Erbauung der neuen Kyllburg gaben die Gewaltthätigkeiten des Ritters Rudolf von Malberg. Dieser suchte nämlich einige Güter, die Agnes von Malberg dem nahen Cisterzienserinnen-Kloster St. Thomas geschenkt hatte, nach ihrem Tode an sich zu reissen. Die Klosterfrauen wandten sich an den Erzbischof: doch seinen Aufforderungen, das unrechtmässige Gut herauszugeben, leistete Rudolf keine Folge, und erst nachdem der Erzbischof mit Waffengewalt ihn bezwungen hatte, fügte er sich. Um aber den raublustigen Ritter auch in Zukunft in Schranken zu halten, legte der Erzbischof die neue Burg auf dem Kyllberge an. Zu Burgmannen bestellte er zwei Ritter, von denen einer, wie der Erzbischof 1239 verfügte,
Beyer, Urkundenbuch, III, S. 500.
von den Grafen von Luxemburg bestellt werden sollte. Theodorichs Nachfolger, Arnold II. (1242 bis 1259) umgab im Jahre 1256 die Burg sammt den anliegenden Häusern mit einer festen Mauer.
Noch grössere Bedeutung aber erhielt der Berg durch den nächsten Erzbischof, Heinrich von Vinstingen (1260 bis 1286). Dieser hatte nämlich beschlossen, ein Stift zu Ehren der Mutter Gottes zu gründen; als Ort wählte er den Kyllberg. Ursprünglich soll er freilich, wie die „Sage“ berichtet, einen Berg jenseits der Kyll bei dem Dorfe Wilsecker ausersehen haben: aber die zum Bau dort angefahrenen Steine seien eines Morgens verschwunden gewesen und hätten sich auf dem Kyllberge befunden. Da nun zu gleicher Zeit Kinder auf dem Kyllberge in den Sträuchern ein Muttergottesbild gefunden hätten,
Daher heisst das noch heute vorhandene Gnadenbild im Volksmunde die Stauden-Muttergottes. (Vergl. Schmitz, Sitten und Sagen, II, 110.)
so habe der Erzbischof eine Weisung des Himmels zu erkennen geglaubt und auf dem Kyllberge mit dem Bau von Stift und Kirche begonnen.
Nach zuverlässigen Nachrichten begann dieser Bau im Jahre 1276; Baumeister soll der Cisterziensermönch Heinrich gewesen sein. Das Stift war auf zwölf Kanoniker liebst einem Propste berechnet; da aber die anfänglich zugewiesenen Einkünfte nicht ausreichten, so wurden von den Erzbischöfen Diether und Balduin dem Stifte mehrere Pfarreien (Irsch, Tawern, Leudesdorf, Kyllburg u. a.) incorporirt. Aber auch so war die Zahl der Stiftsherren fast nie vollständig, weshalb der Erzbischof Johann von Schöneberg im Jahre 1597 sie auf neun Kanoniker nebst einem Dechanten beschränkte.
Da die älteren Stifter im 13. Jahrhundert die ursprüngliche Einrichtung, dass die Stiftsherren in klösterlicher Weise zusammenlebten, schon aufgegeben hatten, so könnte angenommen werden, dass die Kanoniker in Kyllburg von Anfang an getrennt und einzeln wohnten, wenn nicht die ausgedehnten Kapitelsgebäulichkeiten dagegen sprächen. Grosse Verluste erlitt das Stift, als Ludwig XIV. von Frankreich mit seinen Heeren Luxemburg besetzte. von wo dies Stift einen bedeutenden Theil seiner Einkünfte bezog. Während im Jahre 1774 das Einkommen eines Kanonikers noch auf 400 Thaler berechnet wird, beträgt es 1789 nach einem zwölfjährigen Durchschnitt nur etwa 250 Thaler.
Von seinem Gründer war dem Stift auch die Pflicht auferlegt worden, eine Schule zu eröffnen: dieselbe brachte es noch im vorigen Jahrhundert zu einer gewissen Blüthe.
Marx, Gesch. d. Erzstift., II, 2, S. 115
Vielleicht schon seit der ersten Erbauung war die Stiftskirche auf dem Kyllberge eine vielbesuchte Wallfahrtsstätte. Besondere Wallfahrtstage waren die Muttergottesfeste und der erste Sonntag in jedem Monat.
de Lorenzi, I, S. 298.
Ueber das auch in künstlerischer Hinsicht werthvolle Gnadenbild U. L. Frau, abgebildet auf dem Titelblatt, werden wir nachher eingehender sprechen.
Wie so viele andere Denkmäler des frommen Sinnes unserer Vorfahren, wurde auch das Stift zu Kyllburg ein Opfer der französischen Revolution: die Kanonikatshäuser wurden zusammen für 3185 Frcs. verkauft und die Stiftskirche der Gemeinde als Pfarrkirche überwiesen.
Der Ort Kyllburg erlangte durch die Burg und das Stift allmählich einige Bedeutung: er wurde der Hauptort eines gleichnamigen trierischen Amtes, zu welchem 16 umliegende Ortschaften gehörten. Die Renten und Gefälle genoss in späterer Zeit das Domkapitel in Pfandschaft; der Domdechant liess das Amt verwalten.
Marx, Gesch. d. Erzstift. Trier, I, 1, S. 244
Im Jahre 1589 erhielt Kyllburg sogar Stadtrechte durch den Erzbischof Johann VII., Grafen von Schönborn.
II. Die verschiedenen Bauperioden der Stiftskirche, der Kreuzgänge und des Kapitelhauses
Die Baumeister des Mittelalters, welche unter dem schlichten Namen „lapicidae magistri operis“ weniger zum eigenen Ruhm als vielmehr zur Ehre des Höchsten ihre monumentalen Bauwerke errichteten, unterliessen es meistens, ihre Namen dem Bauwerk beizufügen. In Frankreich, wo Baugenossenschaften und Innungen im Mittelalter im Lande umherzogen und sich häufig unter der kundigen Führung eines Mönches oder Laienbruders da niederliessen, wo es ein neues Gotteshaus zu erbauen gab, nannte man diese schlichten Bauleute „les logeurs du bon Dieu“, – die Quartiermacher des lieben Herrgottes.
Wie bei den meisten deutschen und französischen Kirchbauten der romanischen und frühgothischen Periode vermisst man auch bei der Kyllburger Stiftskirche den Namen des Erbauers. Wie eine Sage berichtet, soll der Bauriss und die Ausführung der ursprünglichen Anlage, nämlich Chorhaube und die zunächst liegenden beiden Gewölbjoche des Schiffes, von dem Cisterzienser-Mönche Heinrich herrühren. Ob dieser Heinrich als Mönch oder als frater laicus vielleicht der nahen Cisterzienser-Abtei Himerode, wie vermuthet wird, angehört habe, muss bei dem Fehlen archivalischer Nachrichten dahingestellt bleiben. Betrachtet man genauer die zierlichen und schlanken Detailformen des Chores, sowie des ältesten Bauteiles, des Mittelschiffs, so dürfte die Annahme begründet erscheinen, dass der Grund- und Aufriss der alten Stiftskirche, desgleichen auch die Ausführung von einem Meister herrühre, der als geübter und formkundiger Parlier vielleicht der Kölner Bauhütte am Ausgange des 13. Jahrhunderts angehört habe. Auffallender Weise stimmen nämlich die charakteristischen, im Dreipass gestalteten Bekrönungen der lanzetförmig gebildeten Chorfenster mit Einschluss der zwei breit angelegten, anschliessenden Fensterstellungen des Langschiffes, desgleichen das tief profilirte Rippenwerk der Wölbungen mit Einbegriff der Schlusssteine, ebenso die reich gegliederten Pfeilerbündel, welche die Kreuzgewölbe tragen, mit jenen verwandten Formen, wie sie sich stellenweise am Kölner Dome vorfinden, ziemlich genau überein; dieselbe Uebereinstimmung der Einzelformen zeigt sich auch an der fast gleichzeitig erbauten Minoritenkirche in Köln, an der Chorhalle der St. Ursula-Kirche daselbst, an dem Chorbau der Pfarrkirche von Siegburg, desgleichen an dem von M.-Gladbach und an der Sakristei von St. Gereon zu Köln.
Bei vielen Stifts- und Abteikirchen des Mittelalters nahm die Bauperiode einen längern Zeitraum in Anspruch, und nur bei wenigen monumentalen kirchlichen Bauwerken wurden Chor, Langschiff und Thurm in kurzer Aufeinanderfolge von einem und demselben Baumeister fertig gestellt. Dasselbe gilt auch von der Anlage und Vollendung der alten Kyllburger Stiftskirche. Bei aufmerksamer Betrachtung der verschiedenen Bautheile bemerkt auch schon ein weniger kundiger Beobachter, dass unsere Liebfrauenkirche aus drei der Zeit nach verschiedenen Ballperioden bestehen dürfte. Dieselben reichen nach unserm Dafürhalten vom Schlüsse des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Die ursprüngliche Gründung der Kirche fällt in das letzte Viertel des 13. Jahrhunderts, wie eine allerdings wenig begründete Lapidarinschrift des 16. Jahrhunderts meldet, welche sich an dem linken Pfeiler unter dem Triumphbogen des Chores da befindet, wo der Auftritt in denselben beginnt. Diese Inschrift in Kleinbuchstaben lautet: Ad gloriam Dei omnipotentis et in honorem B. V. matris suae omniumque ss. virginum hujus ecciesiae constructio per Rss. D. D. Henricum archiepiscopum Trevirens. ejusdemque illustre capitulum incepta est anno 1276 8. Mai.
Zu Deutsch: Zur Verherrlichung Gottes des Allmächtigen und zu Ehren der allerseligsten Jungfrau und Gottesgebärerin Maria und aller hh. Jungfrauen wurde der Bau dieser Kirche begonnen durch den Hochwürdigsten Herrn Erzbischof Heinrich von Trier und durch das hochangesehene Kapitel desselben im Jahre 1276 den 8. Mai.
Die Annahme dürfte Beifall finden, dass noch vor Schluss des 13. Jahrhunderts der engere Chor, desgleichen auch die beiden nächsten Gewölbjoche nebst den dazu gehörigen zwei Fensterstellungen auf beiden Seiten des Langschiffes vollendet worden seien.
Da das Marienstift anfangs nicht besonders reich begütert war, wie aus dem Vorhergehenden erhellt, nimmt es den Anschein, dass vielleicht aus Mangel an Mitteln der Weiterbau eingestellt wurde: der Stiftsgottesdienst dürfte, nach Aufführung einer abschliessenden westlichen Sperrwand, in diesem ersten hoch und kühn aufgeführten Bautheil abgehalten worden sein, gleichwie auch bekanntlich am Kölner Dom Jahrhunderte hindurch der Chor durch eine solche Sperrwand abgeschlossen gewesen ist. Zur Begründung dieser Annahme sei hingewiesen auf die auf dem Titel unter Fig. 1 in natürlicher Grösse veranschaulichte Abbildung des alten Kyllburger Stadtwappens aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, welches den eben bezeichneten älteren Bautheil der Kirche mit einem einfachen Dachreiter und einem westlichen Abschlussgiebel nebst einer grossen Eingangsthür wiedergiebt.
Taf. II. Fig. 3
Nordseite des Chores und Langschiffes.
Es fehlen heute noch alle nähern Angaben und Dokumente, wann und durch welche Mittel der zweite Bautheil, nämlich das Langschiff einschliesslich der Westfacade, vollendet worden ist. Dass diese zweite Bauperiode erst gegen Schluss des 14. Jahrhunderts eingetreten sein dürfte, dazu dienen als Belege die Fensterbekrönungen und das ungegliederte Stabwerk der schmalen Fenster, die sich am untern Schiff der Kirche nach dem Thurm hin befinden. Auch das Baumaterial stellt sich als ein durchaus verschiedenes am Chor und dem obern Schiffe in Gegensatz zu dem am untern Schiffe verwandten dar. An der äussern Abschlussmauer des altern Chorbaues ersieht man deutlich Bruchsteinmauerwerk, das mit einer Mörtelschicht zum Schütze gegen die Witterung versehen ist. Nur die Widerlagspfeiler am Chorbau sind in massiven Quadern von rothem Sandstein aufgeführt. Der untere Theil des Schiffes nach Westen hin ist jedoch mit Vermeidung von Bruchsteinen durchaus mit wohlgefügten Quadern jenes dauerhaften Sandsteines in dunkelrother Färbung erbaut, wie in so vortrefflicher Qualität das Kyllthal ihn liefert.
In die zweite Periode dürfte auch die Errichtung der beiden Seitenchörchen fallen, die das Schiff der Kirche auf beiden Seiten kapellenförmig erweitern. Dieselben Maasswerkformen in ziemlich derber Skulptur, wie sie am untern Schiff sich bemerklich machen, kommen auch am gradlinigen Abschluss der beiden Chörchen gleichmässig zur Geltung.
Die dritte und letzte Bauperiode, der obere Aufbau des Thurmes nämlich, der den Westgiebel nach Norden flankirt, (vgl. Taf. II, Fig. 3) gehört bereits dem Ausgange der Spitzbogenkunst, nämlich dem Beginn des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts an. Zur Stütze dieser Annahme sei hingewiesen auf das technisch vollendete Mauerwerk und die korrekte Fügung der grossen Quadern, aus welchen, nach unseren Vermuthung, die Steinmetzzunft des Kyllthales diese letzten Bautheile der Stiftskirche errichtet hat. Am deutlichsten markirt sich diese letzte Bauperiode durch das ärmliche Stabwerk ohne Bekrönung der Fenster in den obern Geschossen dieses Thurmbaues, Fensterformen, wie sie am Rhein und seinen Nebenströmen das Erlöschen und den Niedergang der Gothik kennzeichnen.
Bei Feststellung der verschiedenen Bauperioden der Kyllburger Stiftskirche sei noch darauf hingewiesen, dass nach Vollendung und dem Ausbau des ganzen Mittelschiffes auch die Errichtung eines kapellenförmigen Anbaues anzusetzen ist mit vier Kreuzgewölben, die von einer Rundsäule getragen werden, in welche die Gewölbrippen ohne Kapitelle verlaufen. Heute dient dieser zierlich gewölbte quadratische Anbau zu einer zweiten geräumigen Sakristei.
Vgl. den Grundriss der ehemaligen Kapelle im Anhang unter lit. D, desgleichen die perspektivische Innenansicht derselben auf Taf. VII, Fig. 8
Da im Mittelalter die Räume hinter dem Choraltar meist in Weise unserer heutigen Sakristeien zum Anlegen und zur Aufbewahrung der liturgischen Ornate benutzt wurden, da ferner in dem ebengedachten kapellenartigen Anbau unter einem grossen zweitheiligen Fenster sich ein auf vier Steinsockeln ausgekragter Altartisch in primitiver Form erhalten hat, so dürfte die Annahme begründet sein, dass dieser quadratische Hallenbau ursprünglich als Nebenkapelle gedient habe, in welcher vielleicht bei kalter Winterzeit der Stiftsgottesdienst verrichtet werden konnte, und welche zu gleicher Zeit auch zur Abhaltung der Kapitelsitzungen benutzt worden sein dürfte. Nach Errichtung dieser ehemaligen Kapelle, über deren Wölbung sich früher die „Gerkammer“, nach anderer Meinung die alte Bücherei, befand, scheint etwa am Anfange des 15. Jahrhunderts der An- und Ausbau der heute noch erhaltenen ausgedehnten Stiftsgebäulichkeiten mit dem gemeinsamen Speisesaal, dem „Remter“, stattgefunden zu haben.
Wie die an der Fassade befindlichen gothischen Doppelfenster von eigenthümlicher Bildung, desgleichen auch der hoch aufgethürmte Kamin mit Rauchfang, sowie auch die Profilirungen der Fensterlaibungen beweisen, ist dieser merkwürdige Gebäudekomplex, wie schon angedeutet, erst am Anfange des 15. Jahrhunderts errichtet worden; derselbe zeigt auffallende Ärmlichkeit mit den formverwandten Fensterstellungen und architektonischen Einrichtungen des Einganges zum Claustrum an der Ostseite des Trierer Domes, desgleichen mit den Fensterformen von alten Trierer Wohnhäusern ans derselben Bauperiode.
Leider befindet sich heute dieser hochinteressante Bautheil, zu dem in rheinischen Landen kaum noch formverwandte Parallelen sich vorfinden, in einem grossen baulichen Unstand – vergleiche Abbildung Tafel X, Figur 11 – in welchen nicht nur die Unbilden der Witterung, sondern mehr noch der Unverstand der letzten Generationen denselben versetzt haben. Auffallend muss es erscheinen, dass, während ans der Privatschatulle unseres jetzt regierenden allergnädigsten Kaisers Wilhelm II. und mit den Mitteln der Rheinischen Provinzialverwaltung in anerkennnngswerther Weise die unmittelbar an dieses Kapitelhaus anstossenden Kreuzgänge – quadrum – vor drei Jahren stilgemäss wiederhergestellt wurden, man bis heute ganz davon abgesehen hat, die so dringende Restauration auch dem eben gedachten Kapitelhause angedeihen zu lassen.
An diese in arger baulicher Entstellung befindlichen Stiftsgebäulichkeiten schliesst sich an der Bau des Quadrum, – der Kreuzgänge – der den direkten Eintritt in das Kapitelhaus, desgleichen auch in den Hochchor vermittelt. Auch nach Westen und Osten hin führen von den später errichteten Curien der Stiftsherren Einlassthüren in diese Kreuzgänge. Hinsichtlich der Zeitfolge dürfte man nicht fehl gehen, wenn man die Errichtung dieser Kreuz- oder Umgänge in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts versetzt, unmittelbar nachdem der spätere Ausbau des Schiffes nach Westen hin erfolgt war.
III. Der innere und äussere Bau der Kirche
Taf. III. Fig. 4
Innere Ansicht des Chores und des Langschiffes
Wie aus dem im Anhange angehefteten Grundriss ersichtlich ist, stellt sich unsere Kirche als eine einschiffige Hallenkirche dar, ohne Kreuz- und Nebenschiffe. Die Chorhaube schliesst in den fünf Seiten eines Achteckes ab. Die Wölbung des Chores liegt tiefer als die hochstrebende Wölbung des Mittelschiffes, welche im Lichten 17,50 Meter misst. Vgl. Taf. III. Da, wo der Triumphbogen des Chores beginnt, zeigt die Chorwölbung nur eine Höhe von 14,50 Meter. Das Langschiff setzt sich durch 5 Gewölbjochen zusammen, die von Kreuzgewölben geschlossen werden. Die energisch protilirten Gurtbögen, welche die Gewölbkappen aufnehmen, werden von einfachen Kapitellen getragen, die auffallender Weise glatt und ohne den üblichen Blätterschmuck, architektonisch ärmlich, gestaltet sind. Das harte, schwer zu verarbeitende Material des Rothsandsteines veranlasste wahrscheinlich die Steinmetzen, von einer reichen Ausbildung- und ornamentalen Entwickelung der Kapitelle Abstand zu nehmen. Diese schmucklosen Säulenhälse ruhen auf schlanken Pfeilerbündeln, wie solche in dieser reichen Gliederung an den Kirchen der früh entwickelten Gothik in den Rheinlanden häufiger vorkommen. Die Sockel, auf welchen diese Pfeilerbündel aufsitzen, sind polygon gestaltet ohne weitere Verzierung. Um den Seitenschub der kühnen und hochstrebenden Wölbung wirksam aufzufangen, hat der Baumeister nach aussen starke Widerlagspfeiler in Quadersteinen angebracht, die sich gleichmässig am Chorkopf und dem Langschiff auf beiden Seiten hin fortsetzen.
Was nun die Fensterstellungen des kühn angelegten Bauwerkes betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass die Fenster des Chores, desgleichen auch die beiden dem Chore zunächst liegenden grossen Fensteröffnungen des Schiffes, sämmtlich der ersten Bauperiode angehörend, reich gegliederte Maasswerkformen zeigen, wie solche für die entwickelte Gothik am Schlusse des 13. Jahrhunderts charakteristisch sind. Die beiden grossen Spitzbogenfenster des Schiffes sind durch zwei Stäbe in drei Felder getheilt, während die spitz, fast lanzetförmig ausmündenden Fenster des Chores durch je einen Stab in zwei Felder getheilt sind. Die Fensterbekrönungen im Langschiff sind aus je drei verbundenen Dreipässen konstuirt, die feine, schön gegliederte Profile zeigen. Vgl. die nördliche Ansicht der Kirche auf Tafel II und die östliche Ansicht der Chorhaube nebst den Fenstern auf Tafel X, Fig. 11.
Auf eine Eigenthümlichkeit, die sonst kaum anderswo anzutreffen ist, sei hier hingewiesen, nämlich auf das Vorkommen von charakteristischen Ornamenten in Form von menschlichen Köpfen, die, fast als Karikaturen, die Hohlkehlen in der Spitze der Fenster ausfüllen. Da diese Köpfe nicht nur im Aeussern, sondern auch im Innern, jedesmal im Schlussstein der grossen Spitzbogenfenster vorkommen, aus denen immer wieder stilisirte Pflanzen hervorwachsen, so mag es vorläufig hier unentschieden sein, ob den originellen phantastischen Sculpturen etwa eine lokale Bedeutung beizumessen, oder ob dieselben nur als Spiel der Phantasie der damals im Kyllthal bereits ausgebreiteten Steinmetzenzunft aufzufassen seien.
Nach Vollendung der Choranlage und Herstellung der beiden nächstliegenden Gewölbsysteme nebst ihren Fensterstellungen, was für die damalige finanzielle Lage des neugegründeten Stifts als eine nicht unbedeutende Leistung zu betrachten war, dürfte eine längere Unterbrechung in dem projektirten Weiterbau der neuen Stiftskirche eingetreten sein, indem eine Abschlussmauer, wie eingangs bereits gesagt, der Stiftskirche ein ziemlich fertiges Aeussere ertheilte, dem auch noch ein Dachreiter, als provisorischer Abschluss des Ganzen, hinzugefügt wurde. Dass diese Bekrönung des primitiven Bauwerkes durch einen kleinen Thurmaufsatz stattgefunden hat, beweist deutlich der dem Titelblatt unter Figur 2 beigefügte Abdruck des grossen Stadtsiegels, das den Anfangs des 14. Jahrhunderts vollendeten Haupttheil der Kyllburger Stiftskirche ziemlich deutlich veranschaulicht, wie derselbe etwa damals schon ausgesehen haben mag, als Kyllburg, vielleicht nach Vollendung seines Mauerringes, vom Trierer Kur- und Landesfürsten Stadtrechte erhielt.
Nachdem der Besitzstand des Marienstiftes durch Schenkungen und Vermächtnisse und durch kluge Verwaltung im 14. Jahrhundert sich gemehrt hatte, fand ein weiterer Ausbau und die Vollendung des Langschiffes durch Hinzufügung von drei weiteren Gewölbsystemen statt. Dass dieser Weiterbau gegen Schluss des 14. Jahrhunderts ausgeführt worden ist, bezeugt auch das veränderte Bausystem, das sich sowohl im Aeussern als auch mehr noch im Innern dadurch deutlich ankündigt, dass ein quadratisch laufendes Gesims über den gedoppelten Eingangsthüren sielt erhebt, dessen Anlage und Bedeutung heute schwerlich zu deuten sein dürfte, zumal auch im Innern neben der Eingangsthür sich ein bis dahin unerklärlicher Ansatz eines reichornamentirten Sockels befindet, dessen Blattwerk mit dem Blätterschmuck durchaus übereinstimmt, der im Aeussern an der grossen Konsole zum Vorschein tritt, auf welcher sich das lebensgrosse Standbild der Madonna erhebt.
Um den neuen Anbau des verlängerten Schiffes mit den gegebenen Bauformen des altern Theils wenigstens im Innern in Einklang zu setzen, hat der kundige Werkmeister, dem der Anbau des um 3 Gewölbejoche verlängerten Kirchenschiffes übertragen war, es nicht unterlassen, in dem Neubau genau die Formen der Gewölbrippen, der Schlusssteine und der tragenden Pfeilerbündel wiederzugeben, wie sich solche an den altern Bautheilen vorfinden. Nur die hohen Sockel, auf welchen die schlanken Pfeilerbündel, die Träger der Kreuzgurten der Gewölbe, aufsitzen, zeigen eine veränderte Konstruktion und Anlage, die von der älteren frühgothischen Form und Beschaffenheit der Basen und Sockel in dem altern Chor- und Langschiffbau bedeutend abweicht. Nach aussen hin ist dieser Meister jedoch selbstständiger verfahren; er hat nämlich nach Norden zwei sehr schmale Fensterstellungen angebracht, deren Maasswerkformen einfach, fast ärmlich, im Stabwerk und den Bekrönungen gestaltet sind, wie solche Fensterformen am Schluss des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts an deutschen Stifts- und Pfarrkirchen häufiger vorkommen. Nach der Südseite, wo die Kreuzgänge angebaut sind, fehlen Fensterstellungen, und so erblickt man hier auffallender Weise glatte Wandflächen. Auch die Widerlagspfeiler an der Süd- wie an der Nordseite sind weniger gegliedert und einfacher gestaltet im Gegensatz zu den Widerlagspfeilern am Chorkopf und zwischen den beiden grossen Fenstern des Langschiffes. Die Widerlager dieser letzten sind mit kleinen Ziergiebeln abgedacht die auf beiden Seiten durch stilisirtes Blätterwerk, in Form von Krabben, ornamentirt sind, im Gegensatz zu den einfach und glatt gehaltenen Abdachungsgiebeln auf beiden Seiten des untern Langschiffes. Wie an den meisten Chorbauten bis zum Ausgange des 14. Jahrhunderts fehlten auch an der Chorapsis und den beiden Widerlagspfeilern des Langschiffes der Kyllburger Stiftskirche nicht jene charakteristischen Wasserspeier in Form von phantastischen Thierunholden, von welchen einige noch theilweise erhalten sind. Reicher ausgestattet als die Südseite des Langschiffes ist die gleichzeitig erbaute Westfassade. Ueberschaut man die architektonische Anlage und die Gliederung der Details an der Westfronte der streng nach Osten gerichteten Kirche, so ergibt sich schon bei oberflächlicher Besichtigung der Einzelformen, dass diese Giebelwand nebst dem an der äussersten Nordwestecke derselben befindlichen Treppenthürmchen der zweiten Bauperiode, nämlich dem Ausbau des untern Langschiffes angehört. Diese Westfassade
Vgl. Die Abbildung der westlichen Giebelfronte auf Tafel IV
welche eine Höhe von 28,50 Meter und eine grösste Breite von 15,55 Meter aufzuweisen hat, mündet in einen einfachen, glatten Spitzgiebel aus, der von einem primitiven, wenig verzierten Kreuz in Stein abgeschlossen ist. Ueber einer untern Schräge erhebt sich in der Mitte der Westfronte ein 7,80 Meter hohes und 2,87 Meter breites Fenster, das durch eine starke Mittelsprosse in zwei kleinere Hälften getheilt wird. Diese beiden Hälften werden ihrerseits wiederum durch je einen kleinern Stab halbirt, so dass diese grosse Fensterspannung der Westfronte in vier gleiche Theile zerlegt wird.
Die Bekrönnug der beiden Fensterhälften besteht aus je einem Dreipass, der von je einem Spitzbogen abgeschlossen wird.
Vgl. Die Abbildung auf Tafel IV, Figur 5.
Ueber diesen Spitzbogen windet sich in grossem Kreise eine fünfblätterige Rose, eine Fensterbekrönung, wie solche am Schlüsse des 13., seltener aber am Schlüsse des 14. Jahrhunderts an rheinischen Kirchenbauten vorkommt. Einen reichern architektonischen Schmuck erblickt man über der Haupteingangsthür nach Westen, die eine Spannung im Lichten von 2,34 Meter bei einer Höhe von 7,80 Meter aufweist. lieber dem gradlinigen, stark profilirten Thürsturz wölbt sich ein Spitzbogen in einer Höhe von 5,40 Meter, der durch Maasswerkformen einer achtblätterigen Rose ausgefüllt wird. Die halbirten Blätter dieser grössern Rose umfassen eine andere zierliche, ebenfalls achtblätterige Rosenbildung. Die Zwickel der grossen Rose werden durch je einen Kreis mit je einem Dreipass ausgefüllt. Diese Maasswerkverzierung über dem Thürsturz findet sich unseres Wissens seltener an Kirchen des Rheinlandes.
Taf. IV. Fig. 5
Westfassade mit dem nachträglich eingesetzten Hauptportal.
Ueberschaut man die glatte Giebelwand nach Westen,Vgl. Taf. IV, Figur 5. so fällt dem Mann vom Fach insbesondere der nachlässig behandelte Stein- und Fugenschnitt derselben auf, der nach den heutigen Gesetzen sehr unregelmässig gebildet und eingetheilt ist. Deswegen stellte ein ausgezeichneter Kenner mittelalterlicher Architekturen, Herr Baurath Brauweiler ans Trier, nach genauer Untersuchung der Bauformen des Westportals die nicht kühne Behauptung auf, dass sowohl der Thürsturz mit den darüber befindlichen Maasswerkformen, desgleichen mit Einschluss der flankirenden, ziemlich unbeholfen skulptirten Fialen und Widerlagen einer ganz späten Bauperiode angehörten und erst nachträglich in die westliche Giebelwand in nachlässig construktiver Weise eingesetzt worden seien, zu einer Zeit, in welcher es wenig geübte Steinmetzen versucht hätten, ohne Verständniss der überlieferten Stilformen und selbst auch ohne Kenntniss der Technik gothische Formen zu imitiren. Auffallender Weise spielen an den beiden vorspringenden Thürpfosten dieses Portals, unmittelbar unter den ausmündenden Fialen, wiederum jene grotesken Köpfe von Mann und Frau, aus deren Mundöffnungen ausgestreckte Zungen mit Blattwerk hervorlangen, eine auffallende Rolle, wie solche wenig ästhetische Gesichtsfratzen auch in den Spitzbogen der Fenster an Chor und Schiff,Vgl. das oben Gesagte desgleichen auch über den Thüren einzelner Kyllburger Privathäuser des 17. und 18. Jahrhunderts immer wieder ersichtlich sind.
Betrachtet man aufmerksamer das Material der grossen Quadersteine, aus welchen diese Westfronte mit dem unmittelbar nach Norden ziemlich unorganisch angebauten Thurm besteht, so muss gesagt werden, dass dieses Baumaterial des rothen Sandsteines aus den Kyllburger Thälern sich als ein durchaus wetterfestes im Laufe von fast fünf Jahrhunderten erwiesen hat. Dasselbe ist nämlich heute noch glatt und ohne Abblätterung und Verwitterung vollständig“ intakt erhalten, obschon die Westseite der Kirche den Stürmen und Unbilden der Witterung schutzlos ausgesetzt ist. Dieses treffliche Material, desgleichen auch die Quadersteine von rothem Sandstein, aus welchen der nebenan befindliche kolossale Wachtthurm – Bergfrit – des ehemaligen Schlosses erbaut ist, darf als Beweis von der Vortrefflichkeit des fast unverwüstlichen Sandsteines betrachtet werden, der sich im ganzen untern Kyllthale von Densborn bis Cordel findet und der heilte in ganz Deutschland unter dem Namen „Kyllburger Stein“ seiner grossen Harte und Dauerhaftigkeit wegen nicht nur als Mühl- und Schleifstein verarbeitet, sondern auch als kleidsames Baumaterial in rother und graugrünlicher Farbe zu monumentalen Bauten allenthalben verwandt wird.
Nach dem erfolgten Ausbau der stattlichen Westfronte, die nach der Nordseite mit einem in den sechs Seiten eines Achteckes angegliederten Treppenthürmchen versehen ist, um den Auftritt zum Gewölbe zu vermitteln, scheint das Bedürfniss vorgewaltet zu haben, einen selbstständigen Thurmbau an der Westseite nach Norden hin anzufügen, um auf diese Weise Kaum für Anbringung eines grössern Geläutes zu gewinnen und durch einen solchen massiven Thurmbau auf Bergeshöhe der erweiterten Stiftskirche ein stattlicheres Aussehen zu verschaffen.
Dieser Ausbau des Thurmes kennzeichnet, wie bereits bemerkt, deutlich die letzte Bauperiode der Kyllburger Stiftskirche, die, nach den Fensterformen der beiden letzten Geschosse zu urtheilen, erst im Beginn des 16. Jahrhunderts erfolgt sein durfte. Das Sprossenwerk der engen Fenster dieses Thurmes, der auf massiver, quadratischer Grundlage nicht nach oben im Sechseck sich verjüngt, sondern ungebrochen im Viereck weiter aufsteigt, zeigt nicht eine zierliche Bekrönung des Stabwerkes, sondern wird höchst dürftig nur von zwei Bogenstellungen unter einem grössern Spitzbogen formirt, ein Sprossenwerk, wie es an den Kirchen des Rheines und der Mosel den Niedergang und das Aufhören der mehr als vierhundertjährigen Spitzbogenkunst, der sogenannten Gothik, hinlänglich kennzeichnet. Ob es bei dem massiven Unterbau der Thurmanlage beabsichtigt war, den Oberbau noch um ein Geschoss, wie es den Anschein nehmen will, zu erhöhen, mag hier nicht weiter untersucht werden. Die heutige Bedachung der Thurmanlage mit einem zu kurz gedrungenen Steinhelm ist erst im Jahre 1863 erneuert und mit einer hochstrebenden Kreuzblume in Stein abgeschlossen und bekrönt worden.
IV. Die Kreuzgänge
Bei der allgemeinen Besprechung der verschiedenen Bautheile der von der Kunst- und Alterthumswissenschaft auffallender Weise seither wenig beachteten ehemaligen Stiftskirche „Unserer Lieben Frau zu Kyllburg“ erübrigt es noch, auf zwei hervorragende Bautheile eingehender hinzuweisen, wie sie in Trierer Landen heute nur selten noch sich vorfinden. Es sind dies die Kreuzgänge, die nach der Südseite an die Kirche angelagert sind, und ferner die ausgedehnten Stiftsgebäulichkeiten mit der Sakristei und dem ehemaligen Refektorium der Kanoniker. Glücklicherweise hat die Kyllburger Stiftskirche mit ihren vielen architektonisch merkwürdigen Anbauten sowohl in den unheilvollen Schwedenkriegen, als auch bei den Raubzügen Ludwigs XIV. verhältnissmässig wenig zu leiden gehabt; selbst bis zur Auflösung des Stifts am Anfang dieses Jahrhunderts hatten sich die Kreuzgänge, desgleichen auch das Kapitelhaus ziemlich intakt erhalten. Nachdem jedoch, nach Aufhebung des alten Marien-Stiftes, das von Nah und Fern früher so sehr besuchte Gotteshaus schutzlos und gleichsam vogelfrei geworden und bis in die dreissiger Jahre dem Kultus entzogen war, traten besonders für die Anbauten der Kirche, die Kreuzgänge und die Kapitelsgebäulichkeiten, traurige Zeiten ein, indem nicht nur die Unbilden der Witterung, sondern mehr noch der Unverstand und die Theilnahmlosigkeit der Menschen den stattlichen Kreuzgang und das Kapitelhaus in einen kaum glaublichen ruinösen Zustand versinken liessen. Als nun in den dreissiger Jahren der Pfarrgottesdienst in die lang verwaiste und im Innern nur nothdürftig wiederhergestellte Stiftskirche wiederum übertragen wurde, setzte sich, bei dem theilweisen Fehlen des Daches an den Kreuzgängen, noch bis in unsere Tage das Zerstörungswerk durch den Einfluss der Witterung ungehindert fort. So ist es denn gekommen, dass das schöne Quadrum noch bis vor wenigen Jahren Fremden und Einheimischen ein Bild arger Zerstörung und Verwüstung darbot.
Glücklicherweise aber wurden Ende der achtziger Jahre durch den jetzigen hochverdienten Pfarrer von Kyllburg, Definitor Christ. Müller, die Wege angebahnt, dass dem gänzlichen Verfalle der Kreuzgänge vorgebeugt wurde. Es wurden nämlich durch den eben gedachten Pfarrer, unter Beihilfe des damaligen Landtagsabgeordneten Ed. Nels von Prüm, in seiner Eigenschaft als Mitglied des rheinischen Provinzial-Landtages, Schritte eingeleitet, um von den hohen Provinziallandständen die Mittel zur Wiederherstellung des den völligen Untergang drohenden Bauwerkes zu erlangen. Dem grossen Interesse der rheinischen Landstände für die Erhaltung der monumentalen Bauwerke ist es zu verdanken, dass in der 33. Plenarsitzung vom 17. Februar 1888 in entgegenkommender Weise die Mittel im Betrage von 9000 M. bewilligt wurden, um das bauschöne Quadrum der ehemaligen Stiftskirche vor gänzlichem Einsturz zu bewahren. Aber erst durch ein huldvolles Gnadengeschenk von 4500 Mark aus der Privatschatulle Seiner Majestät unseres allergnädigsten Königs und Kaisers Wilhelm II., ertheilt durch Kabinetsordre vom 19. Februar 1890, wurde es möglich, die Wiederherstellung der Kreuzgänge in ihrer Ganzheit zu beginnen und durchzuführen. Bereits im Jahre 1890 konnten die Vorarbeiten zur Wiederherstellung des umfangreichen Bauwerkes ihren Anfang nehmen: dieselben wurden unter Oberleitung des kürzlich verstorbenen Regierungs- und Bauraths Heldberg zu Trier begonnen und durchgeführt. Die Baupläne und Kostenanschläge sind von dem jetzigen Dombaumeister Wirtz in Trier entworfen und ist, die technische Ausführung dein Maurermeister Jakob Kronibus aus Kyllburg übertragen worden mit der Bestimmung, dass sämmtliche Wiederherstellungsarbeiten aus dem Kyllburger rothen Sandstein entnommen würden, aus welchem auch die alte Stiftskirche mit ihren sämmtlichen Anbauten errichtet worden sei. Die Restaurationsarbeiten wurden dadurch nicht wenig gefördert, dass auf dem Stiftsberge, nicht weit von der Kirche, ein alter Steinbruch wieder eröffnet werden konnte, aus welchem vor mehreren Jahrhunderten das alte Baumaterial entnommen worden war. Aus demselben Steinbruch ist auch wieder das unverwüstliche Material hervorgeholt worden, mit welchem die Wiederherstellung und der Ausbau des alten Kreuzganges vollendet wurde. So ist es ermöglicht worden, dass bei angestrengter Arbeit des Maurermeisters mit den wackern Kyllburger Gesellen die nicht leichten Wiederherstellungsarbeiten schon im Herbste 1892 zur Zufriedenheit der Bauleitung vollendet werden konnten. Heute stellt nun der wieder verjüngte Kreuzgang in seiner ursprünglichen Schönheit und Reinheit der Formen da, als ein Unikum der Eifellande; die alte Stiftskirche mit ihren kunstgeschichtlichen Anbauten in dem anmuthigen Kyllburg ist ein anziehender Sammelpunkt geworden für Touristen, Alterthumsfreunde und Kunstkenner von Nah und Fern.
Unter Hinweis auf den Grundriss des Quadrum im Anhange und die perspektivische Wiedergabe des Aeussern, auf Tafel V, Fig. 6, und des Innern, Tafel VI, Fig. 7, werden wenige Worte genügen, um auch Fernstehenden die, Ausdehnung und Beschaffenheit der Kyllburger wiederhergestellten Kreuzgänge anschaulich zu machen.
Bei Errichtung von Stifts- und Klosterkirchen wurde im Mittelalter immer auf Anlage von Kreuzgängen Bedacht genommen, welche nicht, nur liturgischen Zwecken dienten, sondern die auch als Begräbnissstätten und als Wandelgänge die Verbindung der Kirche mit den Wohnungen der Geistlichkeit herstellten. Obgleich in Folge der Aufhebung von Jahrhunderte hindurch blühenden Abteien und Stiften zu Anfang dieses Jahrhunderts eine grosse Zahl von bauprächtigen Klosterumgängen zerstört worden sind, so haben sich dennoch vornehmlich in den Landen der ehemaligen drei geistlichen Kurfürstenthümer eine Anzahl von solchen Kreuzgängen sowohl romanischen als auch gotischen Stils erhalten, die einen Schluss ziehen lassen auf Anlage, Gestaltung und Bestimmung jener ähnlichen monumentalen Bauwerke, welche der Zerstörungs- und Neuerungssucht moderner „Stadt- und Landesverschönerer“ zu Anfang des aufgeklärten 19. Jahrhunderts zum Opfer gefallen sind.
Taf. V. Fig. 6
Innerer Lichthof der Kreuzgänge.
Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass das Quadrum, was seine Ausdehnung und die Entwickelung seiner Architekturformen betrifft, gleichsam als Höhenmesser für das Ansehen, die Bedeutung und den Wohlstand der betreffenden Abtei oder des jedesmaligen Stiftes zu betrachten ist. Wendet man das eben Gesagte auf den Umfang und die architektonische Einrichtung der Kreuzgänge des Kyllburger Marienstifts an, so findet man sich zu dem Eingeständniss veranlasst, dass der Güterbesitz des oft gedachten Stiftes an der Kyll, auch noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, nur ein mässiger gewesen sein muss. Deswegen begnügte man sich, auch im Hinblick auf den schlichten, einschiffigen Kirchenbau ohne Neben- und Kreuzschiffe, mit einem einfachen Quadrum, einem hallenförmigen Unterbau ohne den sonst üblichen Oberstock über den Wölbungen. Im Gegensatz zu den zweigeschossigen, grossartiger angelegten Kreuzgängen des ehemaligen Krönungsstiftes zu Aachen und der reichen Stiftskirchen St. Victor zu Xanten, St. Servatius und Liebfrauen zu Maestricht, die heute noch durch stattliche Oberbauten über der Wölbung der untern Hallen sich auszeichnen, entstand an der Südseite des Marienstiftes zu Kyllburg ein einstöckiger, offener Hallenbau als Quadrum, ähnlich wie an den heute noch erhaltenen Kreuzgängen der Minoritenkirche zu Köln, der ehemaligen Stiftskirche St. Severin ebendaselbst und der ehemaligen Stiftskirche zu Carden an der Mosel.
Taf. VI. Fig. 7
Innere Ansicht des Kreuzganges.
Das Kyllburger Quadrum bildet, wie auch seine lateinische Benennung es andeutet, in. seinen vier Gängen ein vollständiges Quadrat. Jeder der vier Flügel hat, im Lichten gemessen, eine Länge von 30 Meter, bei einer Breite von nur 3,50 Meter. Die Lichtenhöhe vom Fussboden bis zum Gewölbescheitel beträgt 4,60 Meter. Der innere Lichthof, den ältere Autoren anderwärts auch „impluvium“ oder „Paradiesgärtchen“ zu nennen pflegen, hat einen Flächeninhalt von 470,89 Quadratmeter. Jeder der vier Wandelgänge wird von je acht Kreuzgewölben überspannt. Mit diesen Gewölbkompartimenten korrespondiren auf jeder Seite des Lichthofes 7 grosse Spitzbogenfenster in einer Höhe von 2,85 Meter bei einer grössten Breite von 1,85 Meter, welche von je zwei profilirten Steinsprossen jedesmal in drei Felder getheilt werden. In den Bekrönungen dieser Fensterstäbe zeigt sich keine Abwechselung der gothischen Maasswerkformen (vgl. Abbildung auf Tafel V, Fig. 6): in allen 28 Fensterstellungen kehrt dasselbe Couronnement wieder, nämlich je eine Vierpassrose, welche jedesmal drei Spitzbogenstellungen überragt. Die Spitzen dieser Vierpässe wie auch die sogenannten Nasen der drei Spitzbogen, die in den Fenstern durch je zwei Steinsprossen getragen werden, münden jedesmal in stark ausgeprägte Formen von fleurs de lis aus. Dieses immer wiederkehrende gothische Lilienornament ist als Hinweis auf „Unsere Liebe Frau“, die Patronin des Stiftes und der Kirche, zu betrachten. Um den Seitenschub der zusammenhängenden Kreuzgewölbe zum Lichthofe hin aufzufangen, sind, wie die Abbildung des Aeusseren der Kreuzgänge unter Fig. 6 zeigt, zwischen jeder Fensterstellung starke Widerlagspfeiler angebracht, die sieh nach oben verjüngen. Das tief profilirte Rippenwerk der Kreuzgewölbe ist birnförmig gestaltet und wird von runden Schlusssteinen abgeschlossen, die theils mit Pflanzen-, theils mit Thierbildungen verziert sind. Sowohl diese plastischen Ornamente an den vielen Schlusssteinen als auch an den Kapitellen über den Pfeilerbündeln, welche die Gewölbgurten der Kreuzgänge stützen und tragen,
Vgl. das Innere des östlichen Flügels auf Tafel VI, Figur 7
sind wegen der Härte des Rothsandsteines nur wenig ausgebildet und entwickelt. Sämmtliche Thier- und Pflanzen-Ornamente in dem Kreuzflügel, der sich au die Kirche zunächst anlehnt, sind alt und ursprünglich, da dieser Theil des Quadrum durch Zerstörungen im Innern am wenigsten gelitten hatte; dagegen sind die Kapitelle nebst Schlusssteinen in den übrigen Wandelgängen durch Kyllburger Steinmetzen theilweise nach älteren Motiven neu ergänzt worden. Diese ornamentalen Ergänzungen und Erneuerungen würden eine grössere Beweglichkeit und Frische und ein tieferes Stilverständniss der traditionellen Formbildungen verrathen, als dies jetzt der Fall ist, wenn von staatlicher Seite schon früher eine kunstgewerbliche Fachschule in Kyllburg für die zahlreich im Kyllthale blühenden Steinmetzgewerkschaften errichtet worden wäre, die von vielen dortigen Industriellen heute noch immer vergeblich ersehnt wird.
Schon oben wurde angedeutet, dass für die Bewohner des Stiftsberges zwei Eingangsthüren zu den Kreuzgängen führen und zwar je eine von der Ost- und der Westseite. Durch diese Thüröffnungen können die Anwohner zu dem Paradiesgärtchen, dem innern Lichthofe, gelangen, der bei dem gänzlichen Fehlen des Quellwassers auf dem 80 Meter hohen Stiftsberge im Mittelalter und auch heute noch den nöthigen Wasserbedarf in einer geräumigen unterirdischen Cisterne ansammelte. Dieses gemauerte Wasserbassin befindet sich grade in der Mitte des Lichthofes und ist heute mit einer einfachen Pumpe versehen. Der Stiftsgeistlichkeit standen ferner drei Thüreingänge offen, nämlich zwei Thüren zum Eintritt in den Chor und eine zweite in die Kirche, ferner auch eine dritte Thür zum Eingang in das Konventshaus. Die ältere, Hauptthüre, die von den Stiftsherren zum Eintritt zunächst in den Chor zur Verrichtung der kanonischen Tagszeiten, von den Kreuzgängen aus, benutzt wurde, ist in unserer Grundrisszeichnung unter E angedeutet. Diese reicher im Spitzbogen verzierte Thüre am Choreingang ist leider heute ganz vermauert und durch einen Altarbau der Renaissance fast vollständig verdeckt; der zweite Thüreingang eröffnete ebenfalls den Stiftsbewohnern den Eintritt in den unteren, Jüngern Ausbau des Kirchenschiffes. Die dritte Thüre mit drei ausgerundeten Treppenstufen diente der Geistlichkeit zunächst zum Eintritt in den östlichen Flügel der Kreuzgänge, direkt von den Konventsgebäulichkeiten aus; so gelangte man auf dem kürzesten Wege durch den Kreuzgang zum Eintritt in den Stiftschor vermittels der jetzt vermauerten Treppe. Das Vorfinden von 5 Eingangsthüren, welche sowohl von aussen den Eintritt in das Quadrum als auch, von demselben aus, den Zugang zum Chor, zur Kirche und zum Kapitelhaus vermittelten, dürfte zum Beweise dienen, dass ehemals unsere Kreuzgänge sowohl zu kirchlichen, wie auch zu profanen Zwecken stark benutzt, wurden ; auch das Paradiesgärtchen oder „impluvium“ wird sich zweifelsohne ehemals einer besonderen Gebrauchnahme und Pflege zu erfreuen gehabt haben. Heute sieht dieses Gärtchen, was Anlage und Pflege betrifft, nicht eben paradiesisch ans, wie auch die schönen Kreuzgänge seither wenig benutzt werden. Und doch eignen sich dieselben vortrefflich zur Abhaltung von theophorischen Prozessionen am Frohnleichnamstag und am Kirchweihfeste; auch bei Wallfahrten und Bittgängen und in der Charwoche würden dieselben kirchlich wieder zweckmässig in Gebrauch zu nehmen sein. Bei Gelegenheit der kürzlich erfolgten trefflichen Wiederherstellung des Quadrums hat man in geeigneter Weise darauf Bedacht genommen, die kahlen Wandflächen des südlichen Flügels mit einer grösseren Zahl von figuralisch reich skulptirten Epitaphien längst verstorbenen Kapitulare des Stiftes zu bekleiden und diese Denksteine so vor weiteren Beschädigungen zu schützen. Dringend wäre es zu wünschen, dass bei der bevorstehenden stilgemässen Bemalung der Kirche auch jene plastisch verzierten Leichensteine, die heute noch unter den Kirchenbänken verborgen liegen und fortwährender Beschädigung ausgesetzt sind, an den Wänden der leeren anderen Flügel des Kreuzganges passende Aufstellung fänden. Auch die historisch merkwürdigen alten Epitaphien, die noch in diesem Jahrhundert höchst unzweckmässig an die südliche Wandfläche der Kirche angelehnt worden sind, verdienen eine ehrenvolle Aufstellung und Aufbewahrung in einem der Flügel der Kreuzgänge. In diesen figuralen Leichensteinen ist ein gutes Theil der Geschichte des alten Kyllburger Stiftes enthalten; bald dürften auch die Zeiten kommen, wo diese vielen hochmerkwürdigen Epitaphien von kundiger Hand abgezeichnet und zugleich mit den Inschriften der Oeffentlichkeit übergeben werden, wie dies bereits in der nahen ehemaligen Stiftskirche von St. Thomas eingeleitet worden ist.
V. Das ehemalige Kapitelhaus
Von den ehemaligen Stiftsgebäulichkeiten hat sich das Kapitelhaus heute nur noch in seinen äusseren Umfangmauern erhalten. Besonders bieten die Ost- und Südseite dieses alten Konventsgebäudes, die hier auf Tafel VIII und IX bildlich wiedergegeben sind, der Kunst- und Alterthumswissenschaft schon deswegen ein erhöhtes Interesse, weil unseres Wissens diese alten Kyllburger Stiftswohnungen, fast einzig in ihrer Art im westlichen Deutschland, sich aus jenen Tagen erhalten haben, als noch theilweise eine vita communis von den Kanonikern verschiedener niederrheinischen Stifter, aus Rücksichten der Oekonomie, beibehalten und fortgeführt wurde. Da noch im 14. und 15. Jahrhundert die Zahl der Kyllburger Stiftsherren mit Einschluss des Scholasters und des Dechanten eine geringe war, so dürfte vielleicht die Annahme Beifall finden, dass in der angegebenen Zeit noch nicht der Bau der verschiedenen Einzelwohnungen – Curien – stattfand, vielmehr die abgebildeten Stiftsgebäulichkeiten als gemeinsame Wohnung der Kanoniker so lange benutzt wurden, bis erst im 16. Jahrhundert, bei dem Wachsen der Stiftsrevenüen, man zum Baue der einzelnen Stiftscurien zu schreiten in der Lage war. Dieselben sind heute theilweise noch vorhanden. Für diese letzte Annahme spricht auch der grosse Umfang der alterthümlichen Konventswohnung und die Anlage der beiden hohen Kamine, die weit über die Bedachung hinausragen. Der eben gedachten Annahme zufolge könnte man alsdann zu der Annahme, sich berechtigt sehen, dass in den unteren Räumen zu ebener Erde sich Vorrathskammern und die Küche, desgleichen auch der „Remter“, der gemeinsame Speisesaal – refectorium, – sich befunden habe, wohingegen in den oberen Räumen die Wohn- und Schlafgemächer – dormitorium, „Demeter“, – ihre Stelle hatten. Leider ist es dem Unverstand und dem Eigennutz Einzelner zuzuschreiben, dass die ausgedehnten oberen Räumlichkeiten, wo sich nach der vorhergehenden Annahme ehemals der grosse „Demeter“ vielleicht auch mit der Wohnung des Dechanten befand, heute gänzlich kahl und öde sind; nur noch zwei Kamine deuten an, dass früher hier ausgedehnte Wohnräume bestanden haben. Wie uns mitgetheilt wurde, soll in dem oberen Raum über dem Erdgeschoss sich noch ein kleines, heute nur schwer zugängliches Gemach befinden, das auf weissen Wandflächen spätgothische (?) Pflanzen-Ornamente erkennen lässt, abwechselnd mit Wappenschildern (?). Wenn auch das obere Geschoss heute fast ganz ausgeleert ist, so haben sich in dem unteren Stock zur ebenen Erde noch einige Grundmauern und Wohngelasse erhalten, die aus der Stiftszeit herrühren dürften. Dahin ist zu rechnen jener quadratisch abgetheilte Raum (Grundriss unter q), der heute als kleinere Sakristei dient und der in den Tagen des Stiftes wahrscheinlich zu andern Zwecken benutzt wurde. Unmittelbar neben der heutigen Sakristei ersieht man jenen kapellenförmigen Raum (Lit. D des Grundrisses), der vielleicht erst im vorigen Jahrhundert als Sakristei eingerichtet worden ist. Die architektonisch reiche Anlage (vgl. Fig. 8) des Inneren scheint jedoch der Annahme das Wort zu reden, dass dieser zierlich gewölbte Raum, dessen vier Kreuzgewölbe von einer mittleren Säule gestützt und getragen werden, ursprünglich als Kapelle kirchlich in Gebrauch war und wahrscheinlich bei kalter Winterzeit vorübergehend zur Abhaltung des Chordienstes benutzt worden ist. Dafür scheint auch der alte Altarstein zu sprechen, der sich in der Fensternische (bei a des Grundrisses) befindet, welcher vorspringt und auf drei Kragsteinen heute noch mit den liturgisch vorgeschriebenen Consecrations-Kreuzen versehen ist.
Taf. VII. Fig. 8
Innenansicht der früheren Kapelle, der heutigen grossen Sakristei.
Zur linken Seite, unmittelbar neben dem Altar in der Fensternische, hat sich auch die primitive Piscine (unter Lit. L des Grundrisses), von einem Spitzbogen überwölbt, noch erhalten, die zur Handwaschung beim Offertorium und vor und nach der h. Messe diente, zugleich auch zur Aufstellung der Messkännchen bestimmt war. Dass diese Kapelle, wie vorhin bemerkt, erst seit dem vorigen Jahrhundert als Sakristei benutzt worden ist, geht auch daraus hervor, dass das reich gegliederte Rippenwerk, welches die Kreuzgurten der Gewölbe trägt, an vier verschiedenen Stellen in unverzeihlicher Weise ausgehauen und zerstört worden war, damit, an der so abgeglätteten Wandfläche vorbei, kolossal grosse Ankleide- und Gewandschränke in den Formen des abgelebten Zopfstils bequem Platz finden konnten. Durch diese mächtig grossen Schränke, die in jüngsten Zeiten nur dazu dienten, ausser Gebrauch gekommene Utensilien aufzubewahren, wurde der schöne Kapellenraum ohne Noth allzusehr entstellt und verdeckt. Erst durch die Mittel des im Sommer 1894 gegründeten Liebfrauenvereins konnten diese verdeckenden Geschränke entfernt und alsdann durch einen geübten Kyllburger Steinmetzmeister das fehlende Rippenwerk in einer Weise an sämmtlichen Stellen so wieder eingesetzt und ergänzt werden, dass die früheren Zerstörungen und Zerstückelungen an diesen wesentlichen Architekturtheilen heute kaum noch bemerkbar sind. Als ein weiteres Verdienst ist es dem Liebfrauen-Verein Kyllburgs anzurechnen, dass an der Westwand der in Rede stellenden Kapelle ein Thüreinlass eröffnet (vgl. Grundriss unter b) und in dem dahinter befindlichen leeren Zwischenraum eine bequeme Treppe eingelegt worden ist, vermittelst welcher man in den seither vollständig unbenutzten Raum über der Wölbung der jetzigen Vorsakristei und der ehemaligen Kapelle, gelangen kann. Diese grosse Räumlichkeit soll in Stiftszeiten als Bücherei gedient haben. Vom Innern der Kirche erstieg man auf einer an der südlichen Kirchenwand heute noch ausgekragten Steintreppe (vgl. O im Grundriss) diesen ausgedehnten oberen Raum. Auch dieser Saalbau über der Wölbung der Kapelle ist, wie es scheint, noch in den vierziger Jahren vollständig ausgeräumt und unwohnbar gemacht worden, so zwar, dass weder Spuren der Decke noch selbst, des Bretterbodens mehr zu ersehen waren: nur der offene Thüreinlass an der südlichen Wand, der ehemals in den Demeter führte, und das in seiner Steineinfassung quadratisch veränderte Fenster (vgl. Taf. VIII, Lit. B) bestand noch. Da es bis zum Sommer des Jahres 1894 an einem durchaus trockenen Raume zur Aufbewahrung der vielen, meist werthvollen und alterthümlichen Paramente und kirchlichen Gebrauchsgegenstände fehlte, die seither in der ziemlich feuchten unteren Kapelle nur ein nothdürftiges Unterkommen gefunden hatten, so muss es als ein glückliches Unternehmen bezeichnet werden, dass man mit den Erträgnissen des Liebfrauen-Vereins diesen oberen Raum, gleichsam als Kleinodienkammer, zur durchaus trockenen Aufbewahrung der Paramente und der sonstigen Kirchenzier
Im Mittelalter führten solche Schatz- und Gewandkammern häufig die Bezeichnung: gazophylacia, zu deutsch auch: Tress- oder Gerkammern.
zweckmässig hergestellt, und zuerst am 15. August 1894 bei der 1. General-Versammlung des oft gedachten Restaurations-Vereins eröffnet und wieder in Gebrauch genommen hat. Dass der Anbau der früheren Kapelle mit der alten Bücherei über der Wölbung derselben viel später als der Chorbau nebst Langschiff, wahrscheinlich erst in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erfolgt ist, dafür dient heute noch zum Beweise das ziemlich erhaltene Sprossenwerk des ersten grossen Fensters an der Südseite des Kirchenschiffes (Tafel X, Fig. 11), welches ursprünglich offen war, aber durch den neuen Anbau verdeckt und theilweise zugemauert worden ist. Diese Vermauerung ist noch deutlich auf der jetzigen neuhergestellten Gerkammer zu erkennen. Noch sei bemerkt, dass unter dem Kapitelshause und theilweise auch unter dem daranstossenden ältesten Flügel des Kreuzganges sich ausgedehnte Keller mit festen Tonnengewölben befinden. Dieselben werden heute nicht mehr benutzt und könnten sich vielleicht vortheilhaft im Interesse der inneren Wiederherstellung der Kirche vermiethen lassen.
Taf. VIII. Fig. 9
Ostfassade der ehemaligen Kapitelswohnungen.
Da der Liebfrauen-Verein die umfangreiche Wiederherstellung des Innern der Kirche und zugleich auch die stilvolle Bemalung derselben thatkräftig in die Hand genommen hat, so dürfte es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass der hohe Provinzial-Landtag, in Anerkennung der opferwilligen Leistungen der Kyllburger Pfarrgemeinde, auch die Mittel zur Wiederherstellung der baulich hochinteressanten Stiftsgebäulichkeiten entgegenkommend bewilligen werde, zumal ja auch die Kreuzgänge, die mit diesen alten Stiftswohnungen in unmittelbarer Verbindung stehen und gleichsam als integrirende Theile der letzteren zu betrachten sind, durch die Zuwendungen der Landstände der Rheinprovinz vor gänzlichem Zerfall gerettet worden sind. Für den Architekten, der mit den Restaurationsarbeiten dieser ältesten gothischen Curien Kyllburgs betraut werden wird, durfte es keine leichte Aufgabe sein, das Innere des jetzt vollständig ausgeleerten Stiftsgebäudes, im Hinblick auf verschiedene noch vorhandene Grund- und Zwischenmauern, so wieder herzustellen, wie ursprünglich die inneren Wohnräume eingetheilt und beschaffen waren. In unserm Grundriss unter Lit. c, x, y sind noch Grundmauern zur ebenen Erde angedeutet, die auf ihre Ursprünglichkeit näher untersucht werden müssen. Eine nicht leichte Aufgabe hat derselbe Architekt auch bei gründlicher Wiederherstellung der Süd- und Ostfronte der alterthümlichen Stiftswohnungen zu lösen, zumal die letztere durch die Unbilden der Jahrhunderte arge Veränderungen und Zerstörungen erlitten hat. Glücklicher Weise haben sich trotz mannigfacher Verwüstungen und Verbalhornisirungen der letzten Jahrhunderte noch schätzbare Ueberreste an der ausgedehnten östlichen Façade erhalten, die einem stilkundigen Architekten Anhaltspunkte an die Hand geben werden, um die ihm gestellte Aufgabe zur Zufriedenheit der Fachmänner und Alterthumskundigen lösen zu können. In welchen baulichen Unstand besonders die Ostfronte der früheren Wohnung der Stiftsherren heute gerathen ist, zeigt die Abbildung derselben unter Figur 11, die zugleich auch den Chorabschluss und den Anbau der südlichen Nebenkapelle zwischen Chor und Langschiff deutlich erkennen lässt. Architekt C. Walter aus Trier hat es nach vorläufigen Studien mit Glück versucht, in einer grösseren Aufrisszeichnung die Ostfronte. die in verkleinertem Maassstabe unter Figur 9 veranschaulicht ist, so wiederherzustellen, wie sie einestheils ursprünglich beschaffen gewesen sein dürfte und wie sie anderntheils dem heutigen praktischen Gebrauche entspräche. Zur Erläuterung dieser skizzirten Vorlage für eine eventuelle bauliche Wiederherstellung der langgestreckten Ostfronte sei hier ergänzend hinzugefügt, dass das zweitheilige Fenster unter Lit. A auf Figur 9 der vorhin besprochenen Kapelle, der heutigen Vorsakristei (Grundriss im Anhang unter Lit. D), das nöthige Licht, zuführt und in seiner Form und Anlage sich als ursprünglich erweist. Das unmittelbar darüber befindliche Fenster unter Lit. B. hatte zweifelsohne jene primitive Form und Beschaffenheit, wie die darunter befindliche Fensterstellung unter Lit. A; um jedoch der ehemaligen Bücherei mehr Licht und Luft zuzuführen, scheint erst in einem der beiden letzten Jahrhunderte das unförmlich grosse Fenster im Viereck (Fig. 11) nachträglich eingesetzt worden zu sein. Sowohl die Thür, die von aussen her zur heutigen Sakristei führt, als auch das unmittelbar anstossende Fenster (Fig. 11) sind offenbar jüngeren Datums. Da sie an dieser Stelle unmöglich heute in Wegfall kommen dürfen, hat der Architekt in unserer Aufrisszeichnung dieselben mit den übrigen gegebenen Architekturformen stilistisch in Einklang zu setzen gewusst. Auch die Thüre, bezeichnet mit Lit. E des eventuellen Wiederherstellungsplanes unter Fig. 9 ist als eine Hinzufügung zu betrachten, um in das untere Stockwerk zu gelangen, in welchem, nach unserer Vermuthung, sich ehemals das Refektorium des Stiftes, der „Remter“ befunden habe. Ob die beiden Fenster, bezeichnet, auf Taf. VIII. mit F und G, hier ursprünglich und in dieser Gestaltung zu erkennen waren, soll nicht weiter untersucht werden, zumal an dem projektirten Fenster unter G sich Ueberreste, von Spitzbogen mit, gothischem Nasenwerk befinden, die auf eine andere Lösung hinzudeuten scheinen. Glücklicher Weise haben sich in dem weit ausgedehnten oberen Geschoss, wo man vielleicht die ehemaligen Wohnräume des Dechanten und das dormitorium der Stiftsherrn, den „Demeter“ zu suchen hat, noch deutlich die Ueberreste zweier Doppelfenster erhalten, die in unserem Restaurationsplan auf Tafel VIII unter Lit. K und H, mit entsprechender Verlängerung genau wiedergegeben worden sind. Bei Fig. 11, welche die Ostfronte in ihrer heutigen Entstellung und Zerstörung nach photographischer Aufnahme veranschaulicht, zeigen sich neben dem Schornstein offenbar später eingefügte grosse Fensterlaibungen, die heute vermauert sind. An Stelle dieses grossen Durchbruchs hat der Architekt die Fensterstellung unter J bei Figur 9 ergänzend hinzugefügt, die durchaus mit dem gleich zur Seite befindlichen primitiven Fenster unter II übereinstimmt. Ungeachtet gewaltsamer Veränderung, die unsere Fassade nach Verlauf von mehr als 400 Jahren erlitten hat, ist der über die Bedachung hinausragende hohe Schornstein ziemlich unverletzt geblichen, wie die Abbildung unter L zeigt, dank der unverwüstlichen Quadersteine von rothem Kyllburger Sandstein, aus welchem derselbe, sowie auch die ganze Ostfronte, errichtet ist, Architekt C. Walter, dessen freundlichem Entgegenkommen die provisorischen Restaurationsentwürfe auf Tafel VIII und IX desgleichen auch die Anfertigung des Grundrisses im Anhang zu danken sind, war nicht, in der Lage, vor Anfertigung der Zeichnungen im Innern sowie an mehreren Stellen der Ost- und Südfassade Aufbrechungen und eingreifende bauliche Untersuchungen vornehmen zu lassen, im Falle derselbe mit der Anfertigung der Wiederherstellungs-Entwürfe betraut werden wird, dürften, was Anordnung, Form der Fenster und Thüreingänge betrifft, noch einzelne Abänderungen sich ergeben.
Taf. IX. Fig. 10
Südfronte des Kapitelhauses
Das zuletzt Bemerkte muss auch betreffs der inneren Einrichtung und zugleich auch mit Bezug auf Anbringung und Form der Fenster an der schmalen Südfronte des Kapitelhauses hervorgehoben werden, die bei Fig. 10 wiedergegeben ist. Wie an mehreren mittelalterlichen Wohnhäusern Triers tritt an dieser Kopfseite abermals ein Rauchfang nach aussen hin stark hervor. Nach trier’schen Vorbildern ist derselbe nur auf zwei stark profilirten Konsolen herausgekragt, über welchen sich ein Spitzbogen wölbt, der jedoch nicht mit gothischen Maasswerkformen verziert ist. Die Giebelspitze dieser Südfronte wird durch ein kräftig profilirtes Dachgesims in Haustein abgeschlossen und mündet auf der Spitze mit einer Kreuzblume aus.
VI. Innere Ausstattung und liturgische Gebrauchsgegenstände der Kirche
A. Das Triumphkreuz und die Chorstühle
Nachdem im Vorhergehenden die Architektur der Kyllburger Stiftskirche und ihre mittelalterlichen Anbauten in allgemeinen Zügen besprochen und durch Abbildungen veranschaulicht worden sind, erübrigt es noch, im Folgenden auf die innere Einrichtung und Ausstattung der Kirche hinzuweisen, insofern diese Mobilar- und liturgischen Gebrauchsgegenstände aus der Erbauungszeit des Chors und des Langschiffes herrühren.
Bereits unter der Herrschaft des Rococo und der Allongeperücke hat die Kyllburger Stiftskirche bei der seichten französisirenden Geschmacksrichtung jener Zeiten manche hervorragende Zierden des Mittelalters eingebüsst. Grösser jedoch waren die unersetzlichen Verluste, die unsere Marienkirche in Folge der französischen Staatsumwälzung bei Aufhebung des Stiftes erlitten hat. Als nun in der säkularisirten Stiftskirche, die inzwischen zur Pfarrkirche erhoben worden war, der Gottesdienst weder eingerichtet wurde, bot dieselbe ein klägliches Bild der Verödung dar, deren Spuren, was die innere dekorative Einrichtung betrifft, heute noch nicht, verwischt sind. Um nun die verletzende Leere der hochgewölbten Hallenkirche einigermassen auszufüllen, suchte man aus säkularisirten Stifts- und Abteikirchen der Nachbarschaft einzelne Mobilar- und Kultgegenstände zu erwerben, die meistens der geist- und formlosen Rococoperiode angehörten und mit den vornehmen Bauformen der alten Kyllburger Stiftskirche in grellstem Kontraste, standen. So ist es denn gekommen, dass bis auf den heutigen Tag verschiedene Heiligenfiguren von fast erschreckender Grösse, und Naturalistik in den Formen des unkirchlichen Zopfstils die Kyllburger Kirche und die dortigen Kreuzgänge verunstalten, die, wie verlautet, aus der benachbarten ehemaligen Cisterzienser-Abtei Himmerode herrühren sollen. So ist ferner eine erstaunlich nüchterne und formlose Kommunionbank anscheinend anderswoher beschafft worden, deren Sprossen und Stäbe kaum als Treppengeländer heute in einem bürgerlichen Hause geduldet werden dürften. Aus einer aufgehobenen Franziskanerkirche scheint die kleine, unschön in weisser Lackfarbe überstrichene Kanzel herzustammen, die gleich einem Vogelneste und überdies noch allzu hoch an die Südwand des Langschiffes unmotivirt angefügt worden ist. Dieselbe würde in ihren überladenen Schnitzarbeiten in einer Nonnenkirche in den Formen des Baroquestils vielleicht an richtiger Stelle sein; in der monumentalen Stiftskirche Kyllburgs macht dieselbe jedoch, zum mindesten gesagt, einen sehr befremdlichen Eindruck und stört in auffallender Weise die erhebende Wirkung der Architektur, zumal auch noch die unschöne Treppe sich zur Seite allzubreit macht und man ihretwegen die grosse Ritterfigur eines althistorischen Grabsteins des 14. Jahrhunderts zur Hälfte fortgemeisselt und zerstört hat, um zur Anfügung dieser Kanzelstiege Raum zu gewinnen.
Taf. X. Fig. 11
Heutige baufällige Ostronte der Kapitelswohnungen nebst östlicher Choransicht
Von Geräthschaften und Utensilien, die aus der Bauzeit der Kirche herrühren und mit den Architekturformen derselben in Einklang stellen, sind bei dieser Aufzählung besonders hervorzuheben das grosse Krucifix, heute an unrichtiger Stelle, hoch an der inneren Wandfläche der Nordseite, unmittelbar über den Eingangsthüren befestigt, und das alterthümliche Chorgestühl, das derb in Eichenholz geschnitzt ist. Was zunächst dieses merkwürdige, heute stark mit Oelfarbe überschmierte und verletzte Krucifix betrifft, so muss es der Lokalforschung vorläufig überlassen bleiben, nachzuweisen, ob dasselbe ebenfalls von einer anderen Kirche, etwa von der alten, in der Nähe befindlichen Cisterzienserinnen-Abteikirche St. Thomas, nach Kyllburg übertragen worden ist, oder ob dasselbe sich seit alter Zeit in der Stiftskirche daselbst befunden habe. Das aber dürfte als feststehend anzunehmen sein, dass dieses auffallend grosse Kreuz mit Christusfigur ehemals als sogenanntes Triumphkreuz unter einem hochgespannten Spitzbogen sich befunden habe, der den Eintritt in den Hochchor vermittelte und der deswegen nach dem dort befindlichen Triumphkreuz auch Triumphbogen genannt wurde. Ob ehemals auch in der Marienkirche zu Kyllburg unter dem dortigen hochgespannten Triumphbogen sich Chorschranken (Lettner, lectorium,
In französischen Kirchen führte dieser „ambo“, identisch mit der ikonostasis der griechischen Kirche, die Bezeichnung Jubé, wahrscheinlich deswegen, weil die Lektionen in den kirchlichen Tageszeiten darauf abgelesen wurden, welche jedesmal beginnen mit der Anrufung „iube Domine benedicere“.
auch Apostelgang genannt) befunden haben, lässt sich heute nicht mehr nachweisen, da alle und jede Anhaltspunkte dafür fehlen. Ueber diesen Sperrungsschranken zwischen dem für sich abgeschlossenen Stiftschor und der Volkskirche im Mittel- und den Nebenschiffen befand sich in den alten Stifts- und Kathedralkirchen der Kreuzaltar, sogenannt nach dem grossen Krucifix, das entweder von dem Triumphbogen herniederschwebte oder unmittelbar auf dem gewölbten Lettner, also unmittelbar über dem darunter befindlichen Altar, errichtet war. Die Möglichkeit bleibt also nicht ausgeschlossen, dass das heute an unwürdiger Stelle befindliche Triumphkreuz Kyllburgs ehemals unter dem Triumphbogen am Choranlange schwebend befestigt war und dass auch unter demselben, wie überall, ein Kreuzaltar sich befunden habe. Mit Grund stellt zu hoffen, dass das altehrwürdige Triumphkreuz von Künstlerhand wiederhergestellt und polychromirt bei der demnächstigen Bemalung der Kirche die ihm gebührende Ehrenstelle unter dem hohen Chorbogen wieder einnehmen werde. Fast aus gleicher Zeit, wie das eben besprochene Kyllburger Triumphkreuz, rührt auch das alterthümliche Krucifix in der ehemaligen Stiftskirche zu Carden a. d. Mosel her, das heute, ungeachtet und ungeehrt, den Unbilden der Witterung in einem offenen Flügel des dortigen Kreuzganges ausgesetzt ist. Zur Seite des alten Cardener Triumphkreuzes ersieht man auch noch die selten fehlende Passionsgruppe: Johannes und Maria. Diese beiden Standbilder fehlen heute in Kyllburg, könnten aber bei der beabsichtigten Ausmalung der Kirche entweder plastisch oder in Malerei auf den breiten Seitenflächen zweckmässig ergänzt werden, die sich zu beiden Seiten des Triumphbogens befinden.
Ueber das vorhin erwähnte alte Chorgestühl ist zu bemerken, dass eine, unverbürgte mündliche Ueberlieferung angibt, dieses „stallum“ stamme aus der ehemaligen Cisterzienserinnen-Kirche St. Thomas. Diese Tradition gewinnt aber schon deswegen an Wahrscheinlichkeit, weil es einestheils zu dem Raume nicht passend erscheint, den es heute einnimmt, anderntheils viel zu gross befunden wird für das frühere Stiftskapitel von Kyllburg, dass in seiner Blüthezeit nicht mehr als sechs Kapitulare mit einem Dechanten zählte. Das aus zwei Reihen, auf jeder Seite zu je 7 Sitzen, bestellende Chorgestühl ist aus Eichenholz geschnitzt und heute mit einer dunkelbraunen Oelfarbe überstrichen, die es leider verhindert, dass die schöne Maserung des Holzes zum Vorschein tritt. Die charakteristischen Architekturformen, mit welchen die abschliessenden Wangenstücke dieser „stalla“ in erhabener Arbeit verziert sind, dienen zum Belege, dass dieselben in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ihre Entstehung fanden, nicht viel später als auch die prachtvoll skulptirten Chorstühle des Kölner Domes von Meisterhand hergestellt worden sind. „Während indessen das berühmte Kölner Vorbild, ein unerreichtes Unicum der rheinischen Holz-Skulptur, den kunstgeübten Meissel eines hervorragenden Bildschnitzers der erzbischöflichen Metropole deutlich zur Schau trägt, verräth die ziemlich derbe Bildhauerarbeit an den originellen Chorstühlen zu Kyllburg die weniger geübte Hand eines schlichten ländlichen Meisters, der dem harten und wenig gefügigen Material wohl im Allgemeinen das uns heute, noch imponirende Gepräge seiner selbstbewussten Zeit zu geben wusste, der es jedoch weniger verstand, den verschiedenen Ornamenten des Chorgestühls jenen leichten, gefälligen Schwung und jenen individuellen, lebensfrischen Ausdruck zu verleihen, welchen man an den fast gleichzeitigen Holzskulpturen der rheinischen Schule bewundert, wie solche unter anderen an den Chorstühlen in St. Gereon zu Köln, in Cornelimünster und an Ueberresten eines prächtigen Chorgestühls im Central-Kunstgewerbe-Museum zu Düsseldorf ersichtlich sind. Auch plastische Ornamentschnitzereien an den vorspringenden Sitztheilen der Klappstühle, den sogenannten „misericordiae“ an welchen besonders am Ausgang des Mittelalters eine oft allzu drastische Satire ihr loses Spiel trieb, kommen an unseren Chorstühlen nicht zur Geltung. Auch fehlen an den Kyllburger „stalla“ die sonst häufig vorkommenden Rückwände mit zierlichen Holzskulpturen, an welchen an Festtagen meist reichgewirkte Stoffbekleidungen befestigt wurden. Zwar behauptet eine mündliche Ueberlieferung, für deren Wahrscheinlichkeit viele Gründe sprechen, dass noch bis vor einigen Jahrzehnten solche ziemlich reich verzierten Rückwände – dorsalia – auch an den in Rede stehenden Chorstühlen sich vorgefunden hätten, die aber aus heute unbekannten Gründen abgebrochen und veräussert worden sein sollen.
B. Der Choraltar in den verschiedenen Jahrhunderten
Ein bei weitem grösseres Interesse beansprucht die Beantwortung der Frage: wie war der ursprüngliche Hochaltar in der alten Stiftskirche beschaffen, und sind heute noch einzelne Ueberreste desselben vorhanden?
Nach unserem unmassgeblichen Dafürhalten dürfte der jetzige Hochaltar in den Formen der modernen Gothik als der vierte Altaraufbau zu betrachten sein, der im Laufe von fast 500 Jahren in dem niedrig gewölbten Chor der Liebfrauenkirche zu Kyllburg errichtet worden ist. Wie der ursprüngliche Altartisch in Stein – mensa – und der obere Aufbau desselben – retabulum – ehemals beschaffen gewesen ist, darüber lassen stell heute, bei dem Fehlen aller geschichtlichen Nachrichten, nur allgemeine Vermutungen aufstellen. Wahrscheinlich hatte der Altartisch eine formverwandte Einrichtung und Beschaffenheit, wie die um hundert Jahre ältere Altarmensa der nahe gelegenen Cisterzienserinnen-Abteikirche St. Thomas. Dieser hochinteressante Altartisch zeigt heute noch die entwickelten Formen des spätromanischen Stils und zeichnet sich aus durch Zwergsäulchen auf beiden Langseiten der Mensa, welche die Bestimmung haben, den grossen Monolith, die Altarplatte, zu stützen und zu tragen, Bei dem Reichthum der umliegenden Berge an bildsamem Material liegt die Vermuthung nahe, dass auch der Hauptaltar der Kyllburger Stiftskirche ganz aus Stein errichtet wurde, vielleicht in ähnlicher Anordnung, wie eine solche an dem eben bezeichneten Vorbilde zu St. Thomas wahrnehmbar ist. Und in der That fanden sich hinter dem jetzigen Altartisch bei der kürzlich erfolgten Anlage des neuen Fussbodenbelags drei stark vorspringende, flache Steine, welche eine Länge von 0,36 Meter bei einer Breite von 0,26 Meter aufweisen. Diese heute noch aus dem Fussboden ein wenig hervorragenden Sockel dienten anscheinend als Basis zur Aufstellung von Zwergsäulchen auf der hinteren Seite des Altartisches. Wie die vordere Seite – frontale – des Altars beschaffen war, entzieht sich heute unserer Kenntniss. Bei Errichtung des jetzigen gothisirenden Altaraufsatzes im Jahre 1877 scheint auffallender Weise der alte primitive Altartisch keine Berücksichtigung mehr gefunden zu haben; obschon Kyllburg einen vortrefflichen, äusserst dauerhaften weissen Sandstein mit einem Stich in’s Grünliche an Ort und Stelle besitzt, liess man aus Belgien mit Reliefs verzierte französische Savonnière-Steine kommen und bekleidete mit diesen Steinplatten die vordere Langseite und die beiden Kopf- oder Schmalseiten des neuen Hochaltars. Es ist uns nicht bekannt, ob man aus Pietät den alten Unterbau der Altarmensa – truncus, stipes – aus der Erbauungszeit der Kirche mit dem „loculus“ zur Aufnahme der Reliquien unberührt gelassen hat und die neuen, wenig haltbaren Altarplatten
Wie wenig haltbar dieser französische Savonnière-Stein ist, geht auch schon daraus hervor, dass derselbe heute schon, sogar im Innern der Kirche, sich zu schälen und abzublättern beginnt.
unmittelbar vor dem ursprünglichen Altartische aufstellte und befestigte, oder ob man sofort tabula rasa machte, den primitiven Altartisch mit sammt dem alten sepulchrum niederlegte und mit den aus Belgien bezogenen Steinplatten einen ganz neuen Altarunterbau errichtete. im Pfarrarchiv sucht man vergeblich nach schriftlichen Angaben, die über den Abbruch der alten Altarmensa und die etwa ertheilte bischöfliche Erlaubniss hierzu Bericht erstatten; auch sind keinerlei Angaben daselbst vorfindlich, ob und welche Reliquien in dem sepulchrum der alten Altarmensa sich versiegelt vorgefunden haben.
Es ist dieser gänzliche Mangel an geschichtlichen Aufzeichnungen in dem Pfarrarchiv bei dem wahrscheinlichen Abbruch des ursprünglichen Altartisches um so mehr zu bedauern, da zweifelsohne in einer quadratischen Aushöhlung unter der grossen Altarplatte oder unmittelbar vertieft in derselben, wie bei den meisten Hochaltären des frühen Mittelalters, ein kleiner versiegelter Behälter in Metall oder Glas sich vorgefunden hat, der Reliquien verschiedener Heiligen, zugleich mit einer Pergamenturkunde enthielt, welche die nähere Bezeichnung derselben und zugleich auch den Namen des bischöflichen Consecrators nebst der Jahreszahl authentisch feststellte, wann die Consecration des Altars sowie auch die Einweihung der Kirche vorgenommen worden war. Ebensowenig finden sich schriftliche Angaben vor, welche berichten, wie der ältere Altaraufsatz – retabulum – beschaffen und verziert war, der in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nicht für die Stiftskirche in Kyllburg, sondern wahrscheinlich für eine in der Nähe befindliche Cisterzienser-Abteikirche hergestellt worden ist, wie sich dies auch aus den Heiligenstatuen ergiebt, mit welchen dieser in Wegfall gekommene Altar ausgestattet war. Augenzeugen, die beim Abbruch dieses Hochaltars zugegen waren, berichten über Form und Ausdehnung desselben Folgendes:
„Der ehemalige Hochaltar nahm die ganze Breite des Chores ein. Zwei mit Bildwerken geschnitzte Thüren vermittelten den Zutritt zu der Kehrseite des Altars. Der Aufbau desselben war ganz in Eichenholz ausgeführt und so hoch gehalten, dass er das mittlere Fenster des Chores und die Glasmalereien desselben fast ganz verdeckte. Die Spitze desselben bestand aus einem aus Holz geschnitzten Blumenkorb. Ein Kyllburger Bildhauer hat eine getreue Copie dieser obern Ausmündung des Altares in Stein angefertigt, welche sich jetzt über einem Fenster am Postgebäude befindet. In der Mitte des Altars ersah man das alte Gnadenbild Kyllburgs in Stein, das später auf einen Nebenaltar versetzt, wurde. Ferner war der frühere Altar mit, Engelfiguren verziert und mit den grösseren Statuen des hl. Benediktus, Bernardus, Antonius von Padua und Johannes von Nepomuk. Nur diese Figuren zeichneten sich durch Bemalung aus; das übrige Schnitzwerk des Altaraufsatzes hatte man in der Farbe des Eichenholzes belassen. Die Deckplatte des Altartisches hatte eine auffallend grosse Ausdehnung; dieselbe war ungefähr 8 Fuss (2,58 m) lang, 4 Fuss (1,29 m) breit und beinahe 1 Fuss (0,32) dick. in der Mitte dieser Deckplatte befand sich oben eine Oeffnung, ungefähr 1 Fuss (0,32) im Quadrat gross und 5 Zoll (0,13 m) tief. Ob in dieser Vertiefung ein Reliquienbehalter sich befunden habe, konnte nicht mehr in Erfahrung gebracht werden. Die auffallend grosse Deckplatte des Altartisches bestand aus einem rothen Kyllburger Sandstein. Dieselbe ist leider zerschlagen und zu Deckplatten für den Kreuzgang verarbeitet worden. Die Skulpturen des Altars mit Ausnahme der Heiligenfiguren sind hierhin und dorthin gerathen; das Genauere hierüber weiss keiner anzugeben. Die beiden Thüren befinden sieh heute noch bei einem Althändler in Trier.“ Soweit unser Berichterstatter über Form und Beschaffenheit des Altares.
Da es nach dem zuletzt Gesagten feststellt, dass der im Jahre 1877 entfernte Altaraufsatz in seinen über Gebühr die Höhe anstrebenden Formen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts angehört habe, so entstellt die Frage, wie der primitive Altar bei Einweihung der Stiftskirche gegen Ausgang des 13. Jahrhunderts beschaffen gewesen sein möge. Dass dieser erste Altar in seinem konstruktiven und ornamentalen Aufbau über dem Altartisch – retabulum, retrofrontale – der architektonischen Zierde nicht entbehrt habe, lässt sich mit Sicherheit entnehmen aus der formellen Beschaffenheit und reichen Entwickelung zweier kirchlichen Gebrauchsgegenstände, in Stein gemeisselt, die sich glücklicher Weise vor den gewaltsamen Zerstörungen und Zertrümmerungen vergangener Zeiten heute noch in ursprünglicher Gestalt, wenn auch von moderner Polychromie überkleistert, ziemlich unverletzt erhalten haben. Es sind dies die Piscine und die Sedilien, beide an der Epistelseite des Hochchores befindlich. Wenige Worte werden genügen, um Form und Gebrauchnahme dieser beiden heute nur seltener noch anderswo vorkommenden kirchlichen Utensilien nachzuweisen, zumal die auf Tafel XI, Figur 12 veranschaulichten Abbildungen in Autotypie ein klares Bild dieser beiden reich entwickelten Architekturen vor Augen führen. Figur A giebt in verkleinertem Maassstabe bildlich wieder eine zierliche Doppelpiscine, nämlich eine 0,47 Meter vertiefte Nische, welche von zwei auf schlanken Säulchen ruhenden Spitzbogen in zwei gleiche Hälften getheilt wird. Diese gedoppelten Spitzbogen werden von einem Vierpass überragt. Ein stark profilirter grosser Bogen schliesst das Sprossenwerk der Wandnische ab, der seinerseits von einem Ziergiebel in Form eines von Krabben verzierten „Wimpergs“ überragt und abgeschlossen wird. Diese zierlich gestaltete Doppelpiscine, die heute nicht mehr einem liturgischen Gebrauche dient, benutzte man im Mittelalter einestheils für die Handwaschung beim Offertorium und anderntheils für die zweite „ablutio calicis“ nach der Kommunion des Priesters. Es war. nämlich in der einen Hälfte der vertieften Nische ein kupferner Wasserbehälter – aquamanile – schwebend aufgehängt und befestigt. Diese alten Handwaschgefässe zeigen die verschiedenartigsten phantastischen Thierformen. Der Hohlguss dieser Wasserbehälter, die vom 12. bis zum Schluss des 14. Jahrhunderts häufig vorkommen, hatte nämlich die Gestalt von Löwen, Pferden, Greifen, Vögeln; auch männliche und weibliche Brustbilder, hohlgegossen, kommen um diese Zeit als Wassergefässe in den Piscinen der Kirche häufiger zur Anwendung. Das aquamanile der Kyllburger Stiftskirche scheint schon frühzeitig abhanden gekommen zu sein. An der Piscine der Sakristei der ehemaligen Stiftskirche zu Oberwesel sahen wir noch vor wenigen Jahren ein solches aquamanile in Form eines grotesken männlichen Brustbildes. Die zweite Hälfte der Kyllburger Piscine hatte ehemals den Zweck, in eine runde, beckenartige Vertiefung mit Abflusskanal die zweite Kelchspülung nach der Kommunion des Priesters, die heute von demselben, gleich der ersten, consumirt wird, aufzunehmen und in den Boden der Kirche zu leiten. Unmittelbar neben der Piscine in der folgenden Wandfläche des Chores sind die Sedilien, die Sitzplätze für den Celebrans und die beiden Diakonen zum Gebrauch bei feierlichen Hochämtern, in Form einer dreitheiligen tiefen Wandnische angebracht. Vgl. Abbildung unter Lit. B, Tafel XI, Figur 12. Auf einer Sitzbank von Stein in der mittleren Spitzbogennische nahm während des Absingens von „Gloria“ und „Credo“ der Celebrans Platz, während der Diakon in der Nische rechts „ad sedes“ schritt und links der Subdiakon.
In der ehemaligen Stifts- und heutigen Pfarrkirche von Kempen am Niederrhein befinden sich heute ebenfalls im Chor reiche in Eichenholz geschnitzte Sedilien; der Sitz für den Celebran in der Mitte ragt über die beiden andern hervor, während der Diakon rechts einen etwas niedrigern Sitz einnimmt, noch niedriger dagegen ist die Sitzbank für den Subdiakon.
Taf. XI. Fig. 12
A. Die Piscine.
B. Die Sedilien.
Ueber den steinernen Sitzbänken, die im Mittelalter mit reich gestickten Kissen – pulvinaria, culcitra – belegt waren, wölben sich in der 0,53 Meter tiefen Mauernische 2 Meter hohe Spitzbogen, die ihrerseits wieder, wie die Abbildung auf Tafel XI, Figur 12 unter Lit. B zeigt, von drei horizontal liegenden Vierpassrosen überragt werden. Man dürfte in der Annahme nicht fehl gehen, dass ursprünglich das zierliche Stabwerk der Kyllburger Sedilien, dessgleichen auch die Tiefgründe der drei grossen Vierpassrosen mit polychromen Malereien verziert waren. Wenn nun diese beiden doch mehr untergeordneten Architekturen des Chores aus der Erbauungszeit der Stiftskirche Unserer Lieben Frau solche für den Schluss des 13. Jahrhunderts äusserst zierlich gestaltete Detailformen zur Schau tragen, wie muss dann erst der architektonisch reich konstruirte Aufbau des Altars beschaffen gewesen sein, in dessen Mitte das damals schon hoch verehrte Gnadenbild thronte, das auf dem Titelblatt Tafel I, Figur 1 bildlich wiedergegeben ist! Da die um mehr als 100 Jahre jüngere, lebensgrosse Statue der Mutter Gottes, welche an dem Zwischenpfeiler der 3,20 Meter hohen Eingangsthüre an der Nordseite des Langschiffes eine hervorragende Stelle gefunden hat, von einem reich konstruirten Baldachin in Stein überragt ist, so dürfte gewiss auch die Annahme gestattet sein, dass die auf dem Titelblatt abgebildete 1,50 Meter hohe polychrome Statue in Stein von einem reichgegliederten, wahrscheinlich auf freistellenden Säulchen ruhenden Baldachin überragt war, der die Spitze und Bekrönung des ursprünglichen Hochaltars in Stein bildete. Um ein genaueres Bild zu gewinnen, wie der primitive Hochaltar der Kyllburger Liebfrauenkirche in seinen dekorativen Einzelheiten beschaffen gewesen sein dürfte, empfiehlt es sich, in dem bahnbrechenden Werk von Viollet-le-Duc
Vgl. Viollet-le-Duc, Dictionaire raisonné de L’Architecture française du XI-XVI siècle vol. II, pag. 29-39.
Umschau nach Form und Einrichtung jener Altäre aus der letzten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu halten, die, meistens aus Stein konstruirt, reich illuminirt und vergoldet waren. Zum Glück hat sich die hervorragendste Hauptzierde des primitiven Hochaltars, das Votivbild Unserer Lieben Frau von Kyllburg, ziemlich unverletzt erhalten. (Vgl. Titelblatt, Taf. I, Figur 1.) Was Haltung, Ausdruck der Gesichtszüge und edlen Faltenwurf der Gewandung dieses altehrwürdigen Bildwerkes betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass es gleichsam als Typus jener vielen Marien-Statuen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu betrachten ist, die sich heute noch ziemlich zahlreich in den Kirchen des Rheines und der Trierer Lande erhalten haben. Es war dies die Blüthezeit der niederdeutschen figuralen Skulptur, in welcher auch die nordfranzösischen Innungen der „ymagiers“, insbesondere die von Abbeville und Paris, die formverwandten Elfenbeinschnitzereien der heute noch zahlreich vorfindlichen Klappaltärchen – diptycha und triptycha – für den Welthandel herzustellen begannen.
Hält man Umschau, wo heute noch aus dieser Glanzperiode der niederdeutschen Bildschnitzerei, namentlich in der Diöcese Trier, sich formverwandte Marienstatuen vorfinden, so ist zunächst auf die fast gleichzeitige Statue hinzuweisen, die heute an sehr unpassender Stelle über einem modernen Thoreingang zu der ehemaligen Cisterzienserinnen Abtei St. Thomas bei Kyllburg sich befindet, auf die formschöne Statue in demselben Stilgepräge in der ehemaligen Stifts- und jetzigen Pfarrkirche zu Münstermaifeld,
Vgl. die Abbildung dieser grossartigen Statue in unserem Werke „Rheinlands Baudenkmale des Mittelalters“. III. Band, Fig. VII, Seite 15.
ferner auf das merkwürdige, sitzende Bildwerk der Madonna auf einem Altar in der Schloss- und Pfarrkirche zu Malberg bei Kyllburg und endlich auf jene Statue an der Ecke des Regierungsgebäudes am Markt zu Trier, Eingangs zu der Sternstrasse.
Noch sei hier hinzugefügt, dass das aus einem feinkörnigen Sandstein gemeisselte Votivbild Kyllburgs, das am 8. Juli 1894 durch den hochwürdigsten Bischof von Trier Dr. Korum aus einer Nebenkapelle feierlich wieder auf den Hochaltar übertragen wurde, anscheinend am Schluss des 15. Jahrhunderts mit einer äusserst zierlich gearbeiteten und mit reichem Steinschmuck verzierten Krone in stark vergoldetem Silber geschmückt worden ist, die zweifelsohne von einem sehr geschickten Trierer Goldschmied herrührt. Dieselbe ist heute einer gründlichen Restauration von befähigter Meisterhand dringend bedürftig. Aeltere Leute Kyllburgs erinnern sich noch, dass auch das Jesuskind mit einem gleichen Diadem bekrönt war. Diese kleinere Krone, desgleichen auch das Scepter in der Rechten des Votivbildes, scheinen schon vor mehreren Jahren, vielleicht aus Unkenntniss, wenn nicht aus Eigennutz, in Verlust gerathen zu sein. Es dürfte ein Leichtes sein, in Kyllburg einen kunstsinnigen Geschenkgeber zu finden, der die Mittel bewilligte, damit das fehlende zierliche Krönchen und das Scepter in ursprünglicher kunstvoller Gestaltung von Meisterhand wieder angefertigt werde. Hinsichtlich der Fassung und Bemalung des auf dem Titelblatt abgebildeten Votivbildes sei noch bemerkt, dass im Laufe von fast 500 Jahren das Bildwerk zu vier verschiedenen Malen übermalt worden ist. Die anscheinend letzte, unschöne und stilwidrige Fassung wurde noch in den siebenziger Jahren von unkundiger Hand vorgenommen. Bevor bischöflicherseits, wie vorhin bemerkt, die Inauguration und Uebertragung des althistorischen Votivbildes von wenig geeigneter Stelle auf den dazu besonders hergerichteten Hauptaltar stattfand, nahm man darauf Bedacht, von der stilkundigen Hand des Dekorationsmalers W. Schumacher aus Aachen eine neue künstlerische Fassung nach den Farbgesetzen und Verzierungen des 14. Jahrhunderts vornehmen zu lassen. Zu diesem Zwecke wurden vorher durch ätzende Mittel die verdeckenden Farbanstriche der früheren Zeiten sorgfältig entfernt; es ergab sich alsdann die unmittelbar auf dem feinkörnigen Sandstein sitzende ursprüngliche Bemalung des 14. Jahrhunderts in einem äusserst harten Farbenmaterial. Dieses stellenweise Vorfinden der ursprünglichen, wenn auch äusserst beschädigten Polychromie hatte als leitende Vorlage für die neue Fassung auch noch den Vortheil, dass in dem äussern breiten Goldsaume des Obergewandes sich einzelne Bruchstücke von lateinischen Grossbuchstaben vorfanden, deren Sinn und Zusammenhang sich allerdings leider nicht mehr feststellen liess. Aus diesen zerstreut noch vorfindlichen Buchstabenresten und dem verstümmelten Worte „frater“ könnte man vielleicht die Vermuthung herleiten, dass diese wenigen Grossbuchstaben Reste einer Widmungsinschrift bildeten, welche etwa Namen und Stand jenes Laienmeisters enthalten habe, von dem, wenn nicht das skulptirte Bildwerk selbst, dann doch die kunstreiche Fassung und Bemalung herrührte, die in einzelnen farbigen Ueberresten jetzt wieder klar zu Tage trat.
Noch auf eine Besonderheit unseres auch in den Steinformen wenig beschädigten Bildwerkes, das im Volksmunde heute noch den Namen die „Stauden-Muttergottes“ führt, sei hier im Vorbeigehen hingewiesen. Bei Fortnahme der Verdeckenden Farbauflagen trat in der Hand des mit einer langen Tunika bekleideten Jesusknaben die Gestalt eines kleinen Vogels zum Vorschein, der mit spitzem Schnabel übermüthig in den Zeigefinger des göttlichen „bambino“ zu beissen sich erkühnte. Wir glauben nicht annehmen zu sollen, dass dem Vorfinden des Vogels in der Linken des Jesusknaben eine symbolische Bedeutung beizumessen sei, zumal anderwärts auch in der Hand desselben ein Buch, ein Apfel, eine Birne, eine Blume, oder auch eine Weltkugel, ein Scepter sich vorfindet; wir neigen vielmehr der Annahme zu, dass in der Darstellung des Vogels ein Spiel der naiven Phantasie des mittelalterlichen Bildschnitzers zu erkennen sei. Vielleicht werden sich bei einigem Nachforschen von demselben „ymagier“, der dies gefeierte Wallfahrtsbild in Kyllburg angefertigt hat, noch andere ähnliche Skulpturen in den Trierischen Landen vorfinden, die ebenfalls durch die Marke des kleinen Vogels gekennzeichnet sein dürften.
Taf. XII. Fig. 13
Nordportal, ehemals mit einer offenen Vorhalle überbaut
Bevor im Folgenden die Frage besprochen werden soll, wann der erste frühgothische Altar in Wegfall gekommen und vielleicht durch einen spätgothischen Flügelalter mit figuralen Schnitzereien ersetzt worden sein dürfte, sei es gestattet, im Anschluss an das eben beschriebene Votivbild Unserer Lieben Frau von Kyllburg auf eine zweite, 1,63 Meter grosse Muttergottes-Statue hinzuweisen, die nach aussen hin an dem mittleren Pfosten der beiden nördlichen Eingangsthüren seit dem Mittelalter eine solche hervorragende Aufstellung gefunden hat, dass sie die obere Fläche des Kyllberges theilweise beherrscht. Während die traditionelle „höfische“ Haltung und Bewegung des als Titelbild veranschaulichten Votivbildes, auch hinsichtlich des gradlinigen Faltenwurfs des Untergewandes, noch Anklänge an die formverwandten Skulpturen der romanischen Kunstepoche verräth, lässt die Auffassung, der naturalistich derbe Gesichtsausdruck, desgleichen der Faltenwurf der Gewänder des lebensgrossen Standbildes an der nördlichen Doppelthüre den vollen Durchbruch der gothischen Stilformen gegen Schluss des 14. Jahrhunderts deutlich erkennen. (Vgl. Tafel XII, Figur 13.) Wenn wir die mehr künstlerisch entwickelte Konception und Ausführung des fast um 100 Jahre älteren Titelbildes einem Meister der Trierer Bildschnitzer-Innung zuzuschreiben geneigt sind, so würden wir kein Bedenken tragen, diese 1,63 Meter grosse Madonnen-Skulptur an den nördlichen Eingängen einem schlichten Kyllburger Meister zuzusprechen, der aus 4 grossen, zusammengesetzten Rothsandstein-Quadern diese Marienstatue an Ort und Stelle mitsammt Sockel und Baldachin ausgearbeitet hat, als eben zu Schluss des 14. Jahrhunderts der Ausbau des Langschiffes der Kyllburger Stiftskirche erfolgte. Nach der Angabe älterer Kyllburger Bürger war über dem eben beschriebenen Standbilde am Thürpfosten eine Bedachung in Holz, einem kapellenförmigen Vorbau ähnlich, konstruirt, durch welche einestheils die ursprünglich bemalte Marienstatue vor den Unbilden der Witterung hinlänglich geschützt und anderntheils Einheimischen und fremden Pilgern ein trockener Vorplatz gesichert wurde, wenn bei ihrem Eintreffen auf dem Berge die Wallfahrtskirche nicht geöffnet war.
Zum Beweise, dass hier, wie die Ueberlieferung berichtet, eine schutzgewährende Vorhalle in Holz errichtet war, sei hier auf verschiedene Maueröffnungen hingewiesen, die unter ändern namentlich zu beiden Seiten des gradlinigen Thürsturzes auf unserer Abbildung, auf Tafel XII, Figur 13 sich als hellweisse Stellen deutlich zu erkennen geben. Uebereinstimmend mit der quadratisch vorspringenden Schräge als Einfassung und Umrahmung unseres Nordportals (vgl. Tafel XII) nach Aussen ist auch an derselben Stelle im Innern der Kirche ein solches profilirtes Sims als Einfassung ersichtlich, dessen Zweck hier nicht deutlich zu erkennen ist. Es liegt die Vermuthung nahe, dass auf dem vorspringenden, abgeschrägten Sims nach Aussen, das Figur 13 erkennen lässt, die oberen Balkenlagen der Vorhalle ruhten, wie dies die dort befindlichen Mauerlöcher anzudeuten scheinen. Auf der grossen Mauerfläche – Tympanon – unmittelbar über dem gradlinigen Thürsturz der beiden Eingänge, die von einem 3 Meter hohen Spitzbogen mit kräftigen Profilen eingefasst und abgeschlossen wird, wölben sich zwei kleinere Spitzbogen mit stark ausladendem Nasenwerk. Diese beiden letzteren Bogen sind durch eine Kreisrundung gegenseitig in Verbindung gesetzt, welche mit einer Dreipassform ausgefüllt wird. In dieser Dreipassrose tritt als Relief die Figur des Agnus Dei deutlich zum Vorschein (vgl. die Abbildung dieses Tympanons auf Tafel XII, Figur 13), das die Siegesfahne als Symbol der Auferstehung trägt. In dem engen Zwickel, gebildet durch die zusammenstossenden Schenkel der beiden Spitzbogen und durch die kreisförmig umschlossene Dreipassrose, ersieht man als kleines Relief Christus am Kreuz und in den zur Seite befindlichen Zwickeln der gothischen Spitznasen die plastischen, kreisförmigen Typen von Sonne und Mond. Auf den beiden grossen Wandflächen unterhalb der grossen Spitzbogen, die sich über den beiden Thüreingängen wölben, sind heute noch ziemlich deutlich die Spuren von farbigen Darstellungen der Passionsgruppe Johannes und Maria zu erkennen. Diese polychromen Ueberreste lassen mit Sicherheit die nicht gewagte Folgerung ziehen, dass nicht nur die grosse Statue der Muttergottes mit Einschluss des reich konstruirten Baldachins über derselben, sondern auch die ganze Wandfläche unter der Vorhalle ursprünglich, wie es das Mittelalter liebte, bemalt war.
Eine wenig kundige Hand hatte vor einigen Jahren das grosse Standbild an dem Thürpfosten zwischen den beiden Eingangsthüren mit unhaltbaren Farben zu fassen versucht, die in letzter Zeit zerronnen und durchaus verbleicht waren. Als nun im Sommer 1894 das alte, auf unserm Titelblatte abgebildete Votivbild Unserer Lieben Frau, behufs der feierlichen Uebertragung auf den Hochaltar, von Künstlerhand nach mittelalterlichen Farbgesetzen aufs neue gefasst und illuminirt worden war, machte sich allgemein der Wunsch geltend, dass auch die lebensgrosse Statue der Himmelskönigin an der nördlichen Doppelthüre vielfarbig wieder gefasst und erneuert werde. Dem Dekorationsmaler Schumacher, dem auch diese nicht leichte Aufgabe übertragen wurde, war es wohl bewusst, dass das nach mittelalterlichen Farb- und Verzierungsgesetzen wiederhergestellte Standbild in reichem Farbschmuck auf dem eintönigen und farblosen Hintergrund des jetzigen Portals ganz bedeutend abstechen und einen fühlbaren Kontrast bieten würde. In der Voraussetzung jedoch, dass bei der nächsten Wiederherstellung des Aeussern der Kirche und der Wiedererrichtung der ehemaligen schützenden Vorhalle, mit Einschluss der erneuerten dekorativen Bemalung der hinteren Wandflächen, der jetzige Kontrast sich sofort heben würde, nahm der Künstler keinen Anstand, das grosse Standbild so zu fassen und vielfarbig auszustatten, wie es nach Errichtung desselben von Meisterhand polychromirt worden war. Noch ein anderer Grund bestimmte den gedachten stilkundigen Meister, das Portalbild in ursprünglicher Farbenfrische genau so wiederherzustellen, wie es gegen Schluss des 14. Jahrhunderts bemalt worden war. Auf der Höhe des Kyllberges ist nämlich das an der Nordseite der Kirche errichtete Bildwerk den Stürmen der Witterung fast zu allen Jahreszeiten schutzlos ausgesetzt. Unter dem steten Einfluss und dem Wechsel der Witterung wird schon nach wenigen Jahren der von Einigen bemängelte Farbenglanz so gedämpft und gemildert werden, dass alsdann die gewünschte Abtönung und Harmonie der Farben sich von selbst ergeben wird.
Noch erübrigt es, hier auf die auf Seite 17 gestellte Frage zurückzukommen, wann der in Stein errichtete primitive Altar in Wegfall gekommen sei, der mit dem auf dem Titelblatt abgebildeten Votivbilde nach Weise der formverwandten Altäre des 13. Jahrhunderts bekrönt war, und wie der neu errichtete zweite Altaraufbau beschatten gewesen sein dürfte. Als Antwort auf die zuletzt gestellte Frage diene Folgendes. Mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts scheinen im Chor der Stiftskirche zu Kyllburg nicht unbedeutende Neuerungen vorgenommen worden zu sein. Vorerst wurde in der Wandfläche an der Evangelienseite des Chores den auf Seite 18 besprochenen Sedilien gegenüber ein spätgothisches Sakramentshäuschen errichtet, dessen wenig gegliederte architektonische Formen bereits deutlich den Niedergang der altdeutschen Spitzbogenkunst bekunden. Ferner wurden im Jahre 1535 die Abschlussfenster des Chores mit drei vortrefflichen figuralen Glasmalereien geschmückt, die noch näher besprochen werden sollen. Unsere nicht gewagte Vermuthung geht nun dahin, dass entweder am Schluss des 15. oder im Anfang des 16. Jahrhunderts, in Folge der Errichtung des Sakramentshäuschens, auch ein neuer Hochaltar, vielleicht als Stiftung eines der damaligen Kanoniker, errichtet worden sei. Dieser zweite Altaraufbau – retable, retrofrontale – über dem ursprünglichen, unverändert belassenen Altartisch dürfte etwa in den damals allgemein üblichen Formen der verschliessbaren Flügel- und Skulpturaltäre errichtet worden sein, wie solche am Niederrhein und in Süddeutschland, desgleichen auch in der Eifel noch zahlreich, aus dem Schluss des 15. Jahrhunderts stammend, sich vorfinden. Jedenfalls nahm auf diesem, der Zeitfolge nach zweiten Hochaltar das Votivbild Unserer Lieben Frau über den Leuchterbänken die mittlere Hauptstelle ein und neben dieser Statue, Standbilder oder Gruppen verschiedener Heiligen. Die Möglichkeit bleibt indessen nicht ausgeschlossen, dass dieser zweite Altaraufsatz vielleicht erst nach Fertigstellung der Fenstermalereien, selbst in den Stilformen der beginnenden Renaissance errichtet worden ist. Diese letzte Vermuthung gründet sich nämlich auf das Vorfinden eines Renaissance-Altares, der unzweckmässig im Schiff der Kirche, in der Nähe der Rococo-Kanzel, da provisorisch aufgestellt worden ist, wo er den jetzt vermauerten alten Eingang von dem Kreuzgange zum Chor theilweise verdeckt. Bei einer näheren Untersuchung dieses in einem feinkörnigen Steine skulptirten Altars ergab sich nämlich die auffallende Thatsache, dass die hintere Seite dieses Altaraufbaues mit verschiedenen kleinen Heiligenfiguren bemalt ist, die, wenn auch stark beschädigt, in den Stilformen und dem Charakter ans dein Beginn des 14. Jahrhunderts gemalt sind.
Wie nun, wenn in diesem seither wenig beachteten Altarbau der Kern und die Grundform des primitiven Hochaltars der Kyllburger Stiftskirche zu suchen und nur der äussere Aufbau im 16. Jahrhundert in den Formen des neu aufgekommenen wälschen Stils umgeändert worden wäre? Immerhin sind als archäologische Fragezeichen diese bemalten frühgothischen Heiligenfiguren zu betrachten, die darauf hinzudeuten scheinen, dass entweder in dem einen Falle die jetzige Kehrseite ehemals die vordere Seite des Hochaltars war, oder dass im anderen Falle diese kleinen Heiligenfiguren zur Verzierung der hinteren Fronte des Hochaltars ursprünglich gemalt worden sind, da man ja solche Verzierungen der Rückwand von Altären im Mittelalter häufiger antrifft, zumal wenn, wie dies im Kyllburger Chor der Fall ist, der Raum hinter dem primitiven Altar ziemlich umfangreich war und derselbe früher für liturgische Zwecke benutzt worden sein dürfte. Es ist zu bedauern, dass das alte Archiv des Marienstiftes bei Aufhebung desselben, zu Anfang dieses Jahrhunderts, in Verlust gerathen ist;
Ob vielleicht noch Bruchstücke desselben im Provinzial-Archiv zu Düsseldorf oder zu Coblenz sich vorfinden?
man würde sonst archivalische Angaben finden, die besagten, wann der in Frage stellende zweite Altar der Kirche neu errichtet oder der ältere Altar so umgestaltet worden sei, wie man solche Veränderung und Umgestaltung im Charakter der Renaissance an der vorderen Seite des heutigen Nebenaltars deutlich wahrnimmt. Diesem präsumtiven zweiten Aufbau des Hochaltars dürfte in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts der im Jahre 1877 in Wegfall gekommene Hochaltar in überschwenglichen Rococoformen gefolgt sein, der, wie ans der Beschreibung desselben auf Seite 17 hervorgeht, nicht für den niedrigen Chorbau der Kyllburger Kirche, sondern wahrscheinlich für die im Anfang des 18. Jahrhunderts umgebaute Cisterzienser-Abteikirche Himmerode oder für die Kirche gleichen Ordens zu St. Thomas angefertigt worden ist. Zur Begründung dieser Annahme sei hingewiesen auf das Vorfinden von Figuren der beiden Ordensstifter, des h. Benedictus und des h. Bernardus, die in einer derben, fast schreckhaften Naturalistik ehemals, wie auch anderswo, über den Thüreingängen zu beiden Seiten des letztgedachten Hochaltars errichtet waren und die heute, wahrlich nicht zur Zierde der schönen Kirche, als misslungene Ueberbleibsel der Zopfzeit auf Holzpostamenten am Boden zu beiden Seiten des Chores gewiss die längste Zeit hier auf Posten gestanden haben.
Was nun den heutigen Hochaltar vom Jahre 1877 betrifft, der in der Reihenfolge als vierter zu betrachten sein dürfte, so ist derselbe im architektonischen Aufbau und der dekorativen Fassung nicht als gelungen und gar nicht mit den edlen Architekturformen des monumentalen Bauwerkes übereinstimmend zu bezeichnen. Nachdem die konstruktiven Gesetze der Gothik fast 300 Jahre hindurch in Vergessenheit und ausser Uebung gerathen waren, hatte die Zeit der siebenziger Jahre noch nicht die Meister zur Ausbildung und Reife gelangen lassen, die es schon damals verstanden hätten, mit den gegebenen Bauformen des Mittelalters auch die entsprechenden kirchlichen Mobilargegenstände in Holz stilistisch in Einklang zu setzen. In dieser Zeit der häufig missverstandenen Gothik wurde, wie vielfach auch heute noch, der Entwurf von Altären, Kanzeln, Beichtstühlen einem Architekten übertragen, der in der Regel seine liebgewonnenen, zuweilen stereotypen Formen und Bildungen des Steins, oft noch ohne Kenntniss der liturgischen Vorschriften, unvermittelt auf das bildsamere, im Mittelalter eigenartig behandelte Material des Holzes übertrug. In dieser Sturm- und Drangperiode der eben zu neuem Schaffen wieder erwachten Gothik wurde einem damals noch jüngeren, aber talentvollen Bildhauer aus einer benachbarten Gemeinde Kyllburgs die Aufgabe übertragen, einen neuen Altar für die alte Stiftskirche Unserer Lieben Frau zu entwerfen und auszuführen. Fürwahr, eine nicht leichte Aufgabe, noch dazu für einen angehenden Bildhauer, welche zu der angegebenen Zeit ein schon geschulter Fachmann und Architekt nach frühgothischen Principien zu lösen kaum in der Lage gewesen wäre. Nachdem heute der bescheidene Bildhauer der siebenziger Jahre Matthias Zens als gereifter Meister die Höhe der Kunst erstiegen und in Gent eine blühende Werkstätte für mittelalterliche kirchliche Skulpturen ins Leben gerufen hat, dürfte derselbe jetzt gewiss der Erste sein, der über seine Jugend-Leistung zu Kyllburg den Stab zu brechen keinen Anstand nehmen wird. Zu dieser Annahme wurden wir verleitet, als wir kürzlich Gelegenheit hatten, in dem freundlichen Oberkail, nicht fern von Kyllburg, einen vortrefflichen Altarbau im frühgothischen Stil näher in Augenschein zu nehmen, der in letzten Jahren von demselben belgischen Künstler ausgeführt worden ist, der in dem früh von ihm erbauten Kyllburger Altar seine Meisterschaft zu erproben noch nicht in der Lage war.
Neben den beiden in jüngster Zeit in Trier neu errichteten, stilstrengen Altarbauten in der Liebfrauenkirche (St. Laurentius), entworfen und ausgeführt von dem Kölner Altmeister Wilh. Mengelberg in Utrecht in den vollendeten Formen der Frühgothik, und dem vortrefflichen spätgothischen Flügel- und Skulpturaltar der Pfarrkirche von St. Antonius ebendaselbst, hervorgegangen aus der Meisterwerkstätte Caspar Weis, eines Trierer Bildhauers und Malers, heute in Frankfurt wohnhaft, kann der neue Hochaltar in Oberkail, ausgeführt von dem oftgedachten Genfer Meister im Spitzbogenstil des 14. Jahrhunderts, mit Bezug auf seine reichen, holzgemässen Architekturformen und gelungenen plastischen Bildwerke, als ein durchaus vollendetes Meisterwerk der wieder zu neuem Leben erwachten Gothik bezeichnet werden. Hier sei noch im Vorbeigehen bemerkt, wie sehr es zu wünschen wäre, wenn in einer nicht zu fernen Zeit mit dem schönen von dem Genfer Meister kürzlich neu errichteten Hochaltar zu Oberkail auch die dortige kleine und unansehnliche Pfarrkirche, ein ärmliches Kirchlein des vorigen Jahrhunderts mit einem Scheingewölbe in flacher Spannung, durch einen würdigen Neubau ersetzt würde, der mit dem durch die Beiträge der opferwilligen Gemeinde errichteten Hauptaltar auch stilistisch in Einklang stände.
C. Der neue Nebenaltar und der Taufstein
Gleichwie der 1877 in Fortfall gekommene Hochaltar in den Formen des Zopfstils den Abschluss des Chores und die dortigen gemalten Fenster zu sehr verdeckte, so nahm auch, den Berichten von Augenzeugen zufolge, der Nebenaltar in dem Chörchen zur Evangelienseite des Hauptaltars einen ungebührlichen Anlauf zur Höhe, sodass dadurch das hintere kleine Fenster fast vollständig unsichtbar wurde. Der neue, im Jahre 1877 daselbst errichtete Nebenaltar ist sowohl in Bezug auf Composition als auch hinsichtlich der technischen Ausführung als durchaus gelungen zu bezeichnen. Derselbe wurde in dem farbschönen, grünlichweissen Sandstein Kyllburgs von dem dortigen talentvollen Bildhauer Peter Quirin nach einem stilvollen Entwurf meisterhaft ausgeführt. Dieser Nebenaltar liefert durch die in den Leuchterbänken – predellae – trefflich gemeisselten Halbbilder von Heiligenfiguren, den Patronen der Geschenkgeber, den augenscheinlichen Beweis, dass das Kyllburger Steinmaterial sich auch für Ausführung von feineren, figuralen Bildwerken ausgezeichnet eignet. Wie verlautet, hat der Jünglings-Verein von Kyllburg, welcher von dem dortigen Kaplan geleitet wird, den lobenswerthen Beschluss gefasst, in der gegenüberstellenden Nebenkapelle zur Epistelseite des Altars einen dem eben besprochenen ähnlichen Altaraufsatz mit dem Standbilde des h. Joseph von dortigen Steinmetzen an Stelle des jetzigen, höchst provisorischen Altars errichten zu lassen. Bei Erwähnung dieser Nebenkapelle, unmittelbar am Eingange zur grösseren Sakristei, sei hier noch nachträglich bemerkt, dass daselbst an der Evangelienseite, in der platten Wandfläche vertieft eingemeisselt, eine Grabinschrift sich vorfindet, die, von alter Tünche und moderner, missverstandener Polychromie überkleistert, schwer zu entziffern war. Dieselbe ist in lateinischen Majuskelschriften gehalten und hat ohne die gebräuchlichen Abkürzungen folgenden Wortlaut: Anno Domini MCCCCCXXIII, more Treverensi, die Priscae virginis obiit venerabilis Dominus Matthias Wilhelm, Canonicus hujus ecciesiae et pastor in Sinsfelt. In deutscher Uebersetzung: Im Jahre des Herrn 1523 nach Trierer Zeitrechnung, am Tage der h. Jungfrau Prisca (18. Januar), starb der ehrwürdige Herr Matthias Wilhelm, Kanonikus dieser Kirche und Pfarrer in Sinsfelt.
Das heutige Seinsfeld, ein Pfarrdorf ¾ Stunde von Kyllburg entfernt.
Auch der neue Taufstein, der erst im Jahre 1887 ebenfalls vom Bildhauer Peter Quirin angefertigt wurde, ist in Form und Ausführung durchaus als gelungen und mustergültig zu bezeichnen. Der Entwurf zu diesem in seinen architektonischen Einzelheiten äusserst zierlich gestalteten „fons baptismalis“ rührt von einem englischen Vorbilde, befindlich in der Christ’s Church– Christuskirche – zu Oxford, aus der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts her. Dem schönen Taufstein fehlt jedoch zur Zeit noch ein reich durchbrochener Helmaufsatz in Eichenholz, der als verschiebbarer Deckel das Ganze abschliessen und so bekrönen soll, wie solche architektonisch durchbrochenen Helmaufsätze noch an Taufsteinen älterer Kirchen angetroffen werden.
Was nun den alten Taufstein betrifft, der stark verletzt und beschädigt sich heute noch vorfindet, so scheint derselbe anderswoher entnommen und hierher versetzt worden zu sein, da ja die ehemalige Stiftskirche wohl schwerlich das Taufrecht besessen hat, dieses vielmehr höchst wahrscheinlich nur der Pfarrkirche des h. Maximin zu Kyllburg zustand. Dieser alte Taufstein ist für die rheinische Kunstgeschichte insofern von besonderem Interesse, als derselbe in der vorliegenden Gestalt und Verzierungsweise seltener anzutreffen ist, wie auch an der obern Kuppe, dem Behälter für das Taufwasser, Wappenschilder in der älteren Form des 14. Jahrhunderts anderswo kaum mehr vorkommen dürften. Es wird Heraldikern von Fach nicht schwer fallen, aus der „Blasonirung“ der Wappenschilder nachzuweisen, welchem Dynastengeschlecht der Eifel oder welcher Abtei die Herstellung dieses merkwürdigen Taufsteins zuzuschreiben ist. Jedenfalls aber verdient derselbe mit seinen noch nicht nachgewiesenen heraldischen Abzeichen eine sorgfältige Aufbewahrung in einem der Flügel der geräumigen Kreuzgänge. Wie in einem kirchlichen Museum würde dieser merkwürdige Taufbrunnen nebst jenen vielen anderen hochinteressanten und werthvollen Ueberresten von Altären der besseren Renaissance mit figürlichen Bildwerken in Stein, welche sich heute wenig beachtet in dem Kapitelshause vorfinden, in die leeren Wandflächen des östlichen Flügels der Kreuzgänge so einzufügen sein, wie bereits ein Theil der alterthümlichen Epitaphien der Kirche in dem südlichen Flügel ein ehrenvolles Unterkommen für fernere Zeiten gefunden haben. Auch für die Fachschule, die hoffentlich bald mit staatlicher Beihülfe in Kyllburg zur Hebung der zahlreichen Steinmetzbetriebe des industriellen Kyllthales zu Stande kommen wird, würde sich eine solche Ansammlung und Aufstellung von älteren Skulpturwerken an den heute kahlen Wandflächen der Kreuzgänge als Lehrmittel und Vorbilder in mehr als einer Beziehung bestens empfehlen.
D. Die Glasmalereien der drei Chorfenster
Im Mittelalter reichten, wie es scheint, die Einnahmen des Marienstiftes nicht aus, um die Chor- und Schifffenster mit den damals üblichen figuralen Glasmosaiken ausstatten zu lassen. Erst beim Beginn der neuen „wälschen“ Kunstweise, der sogenannten Renaissance, haben kunstsinnige Stiftsherren von Kyllburg opferwillig die Mittel gespendet, damit von einem wahrscheinlich Trierer Glasmaler die drei Hauptfenster des Chorschlusses mit vortrefflichen, teppichartigen Glasmalereien verziert werden konnten. Zwei dieser Glaswirkereien sind in verkleinertem Maassstabe auf Tafel XIII, Figur 14 abgebildet.
Lit. A.Lit. B.
Taf. XIII. Fig. 14
Glasmalereien der Chorfenster von 1535
In dem mittleren dieser zweitheiligen Chorfenster, unmittelbar über dem Hochaltar, ist, wie die Abbildung Lit. A zeigt, die Kreuzigung des Herrn mit der Passionsgruppe, Johannes und Maria, bildlich veranschaulicht. Ueber dieser Leidensgruppe erblickt man in dem grossen Vierpass der Fensterbekrönung die Darstellung der hh. Dreifaltigkeit. In der untersten Hälfte ist das Bild des knieenden Donators ersichtlich, wie derselbe U. L. F. seine Gabe unter dem Beistande des h. Apostels Matthias darbringt. Die Widmungsinschrift lautet in lateinischen Buchstaben mit Hinweglassung der vielen Abkürzungen, wie folgt: D. Bernardus Kilburg, Decanus ruralis et hujus Ecciesiae Dominae virginis Mariae in Kilburg, 1533. Zu Deutsch: Herr Bernard Kilburg, Landdechant und Dechant dieser Kirche der Herrin und Jungfrau Maria in Kilburg, 1533. Kyllburg war seit alter Zeit Sitz und Hauptort eines Landdechanten, dem 27 Pfarreien unterstellt waren.Vgl. Marx, I, 1, Seite 228 Da die Pfarrei Kyllburg dem Stifte inkorporirt war, so trat zuweilen der Fall ein, dass der Dechant des Stiftes auch zugleich Dechant des Landkapitels war. In den Urkunden wird ein Bernardus I de Kilburch als Stiftsdechant von 1477–1481 bezeichnet und von 1526–1533 ein Bernardus II. Dieser zweite Bernard, vielleicht ein Verwandter des Ersten, scheint also der Stifter der vorhin bezeichneten Fenstermalerei gewesen zu sein.
Vgl. Eiflia sacra von Schorn III, Seite 719
In dem ersten Chorfenster, nach der Evangelienseite hin, erblickt man in der Mitte als Hauptdarstellung (vgl. Lit. B unserer Abbildung auf Tafel XIII) die Geburt des Herrn in einem figurenreich komponirten Glasmosaik; in der grossen Vierpassrose der oberen Fensterbekrönung ist der Beginn des Erlösungswerkes, die Verkündigung, bildlich dargestellt. In der untersten Abtheilung kniet der Stifter des gemalten Fensters vor dem Bilde eines h. Bischofs; die darunter befindliche Widmungsinschrift hat folgenden Wortlaut: Jacobus Kilburg, Canonicus et Cantor hujus Ecciesiae, Frater Decani. Die Uebersetzung gibt folgende Lesung: Jacob Kilburg, Kanonikus und Vorsänger dieser Kirche, Bruder des Dechanten. Die beiden adligen und, wie es scheint, begüterten Geschenkgeber waren also Brüder. Die Figur des Schutzheiligen hinter dem knieenden Donator stellt nach Tracht und Haltung den h. Einsiedler Antonius dar, der in herkömmlicher Weise gekennzeichnet ist durch den in seiner Linken befindlichen Stab mit dem griechischen Tau, an welchem sich 2 Glöckchen befinden; das gleiche griechische T ist auf seinem Eremitenkleid ersichtlich. Die Darstellung des Bischofs, dem knieenden Geschenkgeber gegenüber, der dem lahmen Bettler ein Almosen reicht (vgl. die Abbildung auf Taf. XIII, Lit. B), ist entweder die des h. Nicolaus oder des h. Martinus, der zuweilen als Bischof von Tours und Almosenspender dargestellt wird.
In dem dritten Fenster, an der Epistelseite, das in seinen Glasmalereien in den Abbildungen auf Taf. XIII nicht verschaulicht ist, ersieht man als Hauptdarstellung in der Mitte die Grablegung des Herrn, wie diese figurenreiche Scene auf mittelalterlichen Bildern immer wieder anzutreffen ist. In der grossen Vierpassrose der oberen Fensterbekrönung ist die Auferstehung des Heilandes bildlich wiedergegeben, wohingegen in dem untersten Theil, unmittelbar über der Brüstungsmauer des Fensters, rechts vom Beschauer, das Bild des h. Laurentius in mittelalterlicher Diakonentracht mit seinem Marterwerkzeug, dem Eisenrost, dargestellt ist, während links die Figur des h. Rochus vielfarbig wiedergegeben ist. In dem Sockel unterhalb dieser beiden Bildwerke in Glasmosaik liest man die moderne Inschrift: D. Bernardus dedit 1834
Jedenfalls ein starker Verstoss des Glasmalers statt der Jahreszahl 1534. Diese Jahreszahl 1534 ist noch erhalten in der Spitze des Fensters über der Vierpassrose.
hanc fencstram, quam Theodor et Gertrud Polch conjuges Kyllburgenses reparaverunt anno Jubilaei 1875 Pio IX Papa et Eberhard Episcopo. Diese Glasmalerei scheint von einer wenig kundigen Hand in ungünstiger Zeit eine nicht glückliche Restauration erfahren zu haben. Ob und welche Widmung sich ursprünglich an Stelle der neuen, in einem schülerhaften Latein verfassten Inschrift befunden habe, ist heute nicht mehr nachweisbar. Auch bleibt es zweifelhaft, ob die alte Inschrift die Worte „D. Bernardus dedit 1834“ in dieser Wortfolge wirklich enthalten habe.
Durch die Ungunst der Zeiten und den Einfluss der Witterung waren diese drei Chorfenster in ihren figuralen und ornamentalen Theilen, namentlich seit dem Anfang dieses Jahrhunderts, vielfach beschädigt und an einzelnen Stellen zerstört worden. Nachdem bereits im Jahre 1875, der vorhin citirten Inschrift zufolge, eine verfrühte Wiederherstellung in unwissenschaftlicher Weise an dem am meisten beschädigten dritten Fenster stattgefunden hatte, gelang es erst im Jahre 1887 dem jetzigen Pfarrer von Kyllburg, die Mittel zu gewinnen, um durch die bewährte Firma Binsfeld & Jansen in Trier eine solche ängstlich getreue Wiederherstellung der fehlenden Theile der beiden anderen unter A und B auf Taf. XIII abgebildeten Fenstermalereien vornehmen zu lassen, dass auch ein geübtes Auge die ergänzten Theile kaum von den älteren zu unterscheiden im Stande sein dürfte.
Für die Feststellung der chronologischen Entwickelung der Glasmalerei in den Rheinlanden ist es von Werth, dass in den trefflichen Kyllburger Glasmosaiken die Jahreszahlen und die Namen der Stifter sich ziemlich unverletzt erhalten haben. Nur fehlen leider Name und Wohnort des bescheidenen Künstlers, von dem die Komposition und technische Ausführung dieser ausgezeichneten Glasmalereien herrühren, welche in der Auffassung, Haltung der Figuren und dem Faltenwurf der Gewänder noch das leise Ausklingen des Mittelalters, in der äusserst zierlichen Architektur jedoch schon den vollen Eintritt der neuen italienisch-französischen Stilformen erkennen lassen. Fragt man, wo in Trierer Landen sich heute noch formverwandte Gegenstücke zu den berühmten Kyllburger Glaswirkereien befinden, so ist hinzuweisen auf den mittleren Theil des Chorfensters in der ehemaligen Abteikirche St. Matthias zu Trier, welches einer Inschrift zufolge vom Jahre 1518 herrührt, also kaum zwei Jahrzehnte älter ist als die drei Kyllburger Glasmalereien. Die grosse Darstellung Christus am Kreuz in St. Matthias ist noch durchaus mittelalterlich gehalten, ohne Anklänge an die schon länger in Italien und Frankreich zum Durchbruch gekommene Renaissance. Betrachtet man aufmerksamer Entwurf und Farbstimmung der Kyllburger Fenstermosaiken, deren Entwurf nicht nach Dürer’schen Vorbildern, wie die obenerwähnten zu St. Matthias, gehalten ist, vergleicht man dieselben mit der langen Reihe der herrlichen Glasmalereien in der Kirche zu Gouda in Holland und denen in der St. Gudula-Kirche zu Brüssel und der Kathedrale zu Antwerpen, so könnte man fast zu der Annahme hinneigen, dass der Kyllburger Glasmaler aus der blühenden Schule der flandrischen Glasmaler hervorgegangen sei, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihre grossartigen Triumphe feierte. Dem modernen Glasmaler, der die Glasgemälde in den beiden kleinen Fenstern der Nebenchörchen im Jahre 1875 angefertigt hat, ist es nicht gelungen, seine neuen Schöpfungen mit den schönen alten Vorbildern im Hochchor, weder was stilvolle Composition, noch was harmonische Wiedergabe der Farben betrifft, in Einklang zu setzen. Hoffentlich wird es den Wiederherstellern der beiden alten Chorfenster, den Herren Binsfeld & Jansen, ein Leichtes sein, die beiden heute noch mit monotonem, weissem Küchenglas versehenen Chorfenster mit farbigen Glasmosaiken so auszustatten, dass dieselben mit den drei alten dort befindlichen Glaswirkereien harmonisch übereinstimmen. Wo aber finden sich heute Geschenkgeber, die dem anregenden Vorgange der alten Kyllburger Donatoren zur Herstellung der fehlenden Glasmalereien Folge leisten werden?
Anhang
Kyllburg, heute der bevorzugte Luftkurort der Eifel
Noch vor einigen Jahrzehnten war die Eitel von Touristen als unwirthliches Land gemieden, und nur wenige wagten es, von den Schönheiten der Eifelberge zu sprechen, obschon die waldigen Höhen derselben ein vielgesuchtes Eldorado bereits zu Römerzeiten waren, wie es die Ueberreste von zahlreichen römischen Villen, Wasserleitungen, Heerstrassen und Befestigungsbauten allenthalben heute noch deutlich bekunden. Dass auch unsere Vorfahren noch im „romantischen“ Mittelalter die Vorzüge der von der Natur so sehr begünstigten Gelände der vulkanischen Eitel zu schätzen wussten, beweisen die vielen Dynasten-Sitze, Ritterburgen, Stifte und Abteien, die heute, wenn auch meist nur noch als malerische Ruinen, so zahlreich der Eifel, wie kaum einem ändern deutschen Gau, zur hervorragenden Zierde gereichen. Erst in den letzten Jahrzehnten hat man wieder schätzen gelernt, was in den Kriegsläufen der letzten Jahrhunderte der Vergessenheit anheimgefallen war. In Folge davon werden heute die Eifelgebirge mit ihren sonnigen Thälern nicht mehr als sibirische Landstrecken in Verruf erklärt, sondern gleichsam als rheinische Schweiz von zahlreichen Erholungsbedürftigen aufgesucht, die hier in der Sommerfrische als „Luftkurgäste“, fern von dem Staube und dem aufregenden Treiben der Städte, ein nervenstärkendes Dasein zu führen beginnen. Wenn auch in den letzten Jahren fast jedes anmuthig gelegene Eifeldorf sich als Luftkurort den Stadtmüden anpreisen lässt, so ragen unter diesen Kurorten doch nur verhältnissmässig wenige Eifelstädtchen hervor, die durch Natur und Kunst in Verbindung mit wohnlich eingerichteten Gasthöfen besonders jenen Erholungsbedürftigen zu empfehlen sind, die früher zur Abspannung und Nervenstärkung die meist schon blasirten Kurorte am Meeresstrand für theures Geld aufzusuchen pflegten. Unter diesen Eifelstädtchen, die in den letzten Jahren einer bevorzugten Frequenz sich zu erfreuen hatten, zeichnet sich Kyllburg im gleichnamigen schönen Thale besonders aus.
Die Geschichte Kyllburgs, sein Entstehen, die Gründung des Liebfrauenstiftes auf dem Killiberg und das Erlöschen dieses Stiftes am Ende des vorigen Jahrhunderts ist in Kürze auf Seite 1-2 angedeutet worden.
Seit der gewaltsamen Aufhebung der Stifte und Abteien unter der Fremdherrschaft Napoleons I. im Jahre 1802 sank auch die Bedeutung und der Vorrang des ehemals blühenden Städtchens, und Kyllburg fristete bis in die neueste Zeit nur ein bescheidenes Dasein in der Erinnerung an eine schönere Vergangenheit. Als jedoch durch den Bau der grossen Eifelbahn die Verbindung von Aachen und Köln, über Euskirchen und Kyllburg, nach Trier und den Reichslanden hergestellt worden war, wurde auch dem alten Eifelstädtchen in dem herrlichen Kyllthale wieder ein erhöhter Aufschwung gegeben. Dass die Bedeutung und der Wohlstand Kyllburgs in den letzten zwanzig Jahren auffallend gewachsen ist, verdankt das aufblühende Städtchen besonders auch dem Umstände, dass der vortreffliche rothe und weisse Sandstein, der seiner Härte und Dauerhaftigkeit wegen kaum seines Gleichen in deutschen Landen findet, seit dem Ausbau der Eifelbahn von allen Seiten gesucht ist und vermittelst der Bahn überallhin versandt werden kann. Das Vorfinden des farbschönen Rothsandsteines zu beiden Seiten der malerischen Bergabhänge des Kyllthales war auch Ursache, dass schon in den siebenziger Jahren fast sämmtliche Stationsgebäude von Euskirchen bis Trier als Quaderbauten von der kunstgeübten Hand des damaligen stadtkölnischen Baumeisters Raschdorf in gothischem Stil entworfen und in solider Weise so errichtet wurden, wie ähnliche Stationshäuser sich auf keiner Strecke der rheinischen Bahnen mehr vorfinden. Besonders ragt unter diesen Bauwerken das Stationsgebäude zu Kyllburg, dem industriellen Mittelpunkt der zahlreichen Steinmetzhütten des gleichnamigen Thales, durch Grosse und stiltreue Formen seiner Spitzbogen-Architektur hervor. Leider entbehrt das gewerbreiche Kyllthal mit dem Reichthum eines unvergleichlichen Steinmaterials noch immer einer staatlichen Fachschule für Ausbildung der Steinmetzkunst, wie solche Fachschulen für künstliche Steingutgefässe zu Höhr auf dem Westerwald, für Korbflechtereien zu Heinsberg, für Drahtwirkereien zu Neroth und für Holz- und Drechsel-Arbeiten zu Heimbach in neuester Zeit mit staatlicher oder landständischer Unterstützung errichtet worden sind. Das angeborene Talent der wackeren Steinmetzgesellen des Kyllthals verkümmert und kann für Hebung und Entwickelung der rheinischen Baukunst nicht allseitig verwerthet werden, weil den fleissigen Steinmetzen, deren Zahl schon heute mehr als 2000 beträgt, eine Fachschule fehlt, in welcher jüngere Kräfte das Zeichnen, Modelliren und „des Zirkels Maass und Gerechtigkeit“ so wieder erlernen, wie solche Künste in den alten Bauhütten und Werkstätten der Steinmetz-Innungen den Gesellen praktisch gelehrt werden. Hoffentlich wird den zahlreichen Steinmetzen der Kyll zur Hebung ihres Kunsthandwerkes in nächster Zeit endlich das geboten werden, was die hohe Staatsregierung und die Provinziallandstände der Rheinprovinz lange schon anderen Gewerkschaften entgegenkommend zu Theil werden Hessen.
Ein fernerer Grund des raschen Aufblühens des oft genannten Eifelstädtchens ist auch darin zu suchen, dass hier zahlreiche Gasthöfe und Privatquartiere zur Aufnahme von Sommerfrischlern errichtet worden sind, die den Besuchern mit den Vorzügen und Annehmlichkeiten des Landaufenthaltes zugleich auch die Bequemlichkeiten der Stadt bieten. Unter diesen Gasthöfen zeichnet sich besonders der Eifelerhof (Inhaber Edm. Corneli) vortheilhaft aus. An dem Abhange des Stiftsberges äusserst malerisch gelegen, eröffnet derselbe von seinen Terrassen aus eine überraschende Aussicht in das anmuthige Thal der Kyll, das von dem alterthümlichen Schlosse Malberg und dem gleichnamigen Pfarrdorfe abgeschlossen wird. Zur Rechten des Beschauers, von der oberen Terrasse aus gesellen, erhebt sich der früher von Reben bepflanzte Rosenberg, der von einer stattlichen Mariensäule überragt wird. Dieselbe ist aus Beiträgen der Bürgerschaft von Kyllburger Steinmetzen kunstgerecht im Jahre 1886 errichtet worden. Dem Fusse des Rosenberges ist die kleinere Pfarrkirche angelagert, ein Bauwerk aus neuerer Zeit mit einem Chorschluss der Spätgothik. Unmittelbar neben den geräumigen Terrassen des Eifelerhofes befindet sich der grosse Speisesaal, dessen Tafeln in Sommerzeiten mit mehr als 80 Kurgästen besetzt sind. Die Küche des Eifelerhofes wird von in- und ausländischen Besuchern als eine vortreffliche bezeichnet; besonders aber rühmen rheinische Gäste die Reinheit und Vorzüglichkeit der Weine. Neben dem Eifelerhofe verdienen noch hervorgehoben zu werden der Gasthof zum Stern und das Hotel-Restaurant von Geronne-Surges, ferner der Gasthof zum Anker und das Gasthaus zum Bahnhof. Ausserdem finden fremde Kurgäste in zahlreichen Privatquartieren ein behagliches Unterkommen. Zwei Aerzte haben hier ihren ständigen Wohnsitz, Dr. Balduwein und Dr. Neu, deren ausgedehnte Praxis bis über Trier hinausreicht. Dr. Neu, der längere Zeit in Wörishofen an der Seite von Mgr. Kneipp behufs eingehender Studien thätig war, leitet in Kyllburg seit mehreren Jahren eine Kaltwasser-Heilanstalt nach Kneipp’scher Methode mit grossem Erfolg, die nicht wenig dazu beigetragen hat, den Ruf Kyllburgs als Kuranstalt in weiten Kreisen zu lieben. Auch eine vortrefflich geführte Apotheke rühmt sich Kyllburg zu besitzen. Die photographische Anstalt von Jos. Quirin daselbst hat das Verdienst, in letzten Jahren gelungene Aufnahmen sowohl der hervorragendsten landschaftlichen Partieen der Eifel als auch der Bauwerke aus der Römerzeit und dem Mittelalter veranstaltet zu haben. Auch die Photographieen zu den Autotypieen der vorliegenden Schrift sind in dem Institut von Jos. Quirin hergestellt worden.
Ferner ist hier vor wenigen Jahren eine Niederlassung der Franziskanerinnen von Waldbreitbach errichtet worden, nachdem ein jetzt verstorbener Wohlthäter der hiesigen Pfarrkirche einen kleinen Grundbesitz mit einer früheren Stiftskurie zu diesem Zwecke letztwillig vermacht hatte. Diese Schwestern des hl. Franziskus widmen sich der Pflege von Kranken und Gebrechlichen nicht nur der Pfarrei, sondern auch der benachbarten Filialen; dieselben nehmen auch Kranke und auswärtige Erholungsbedürftige in einem als Hospital eingerichteten Theile der Anstalt auf. Besonders kunstgeübte Schwestern haben begonnen, für Kirchen der benachbarten Dekanate mustergültige Weisszeugarbeiten und Stickereien anzufertigen. Um den Unterhalt der Armen und Kranken besser bestreiten zu können, haben diese Schwestern in jüngster Zeit mit Erfolg den Anfang gemacht, für Pfarr- und Annexkirchen der Diözese Paramente von echten Seidenstoffen in haltbarer Färbung, mit mustergültigen Stickereien verziert, anzufertigen, deren Stoffe nicht, wie anderwärts, ans Frankreich, sondern von den namhaftesten Kirchenstoff-Fabrikanten Krefelds kunstgerecht und gediegen hergestellt werden.
Taf. XIV. Fig. 16
Gesammtansicht von Kyllburg mit dem Eifelerhof.
Zur besonderen Zierde aber gereicht dem aufstrebenden Kurstädtchen die monumentale frühere Stiftskirche nebst den neu wieder hergestellten Kreuzgängen und dem alterthümlichen Kapitelhause, hervorragende Bauwerke des Mittelalters, die jährlich eine grosse Zahl von Architekten und Alterthumskundigen behufs eingehender Studien anziehen. Da diese kirchlichen Bauwerke von den Raubzügen der Schweden und später der Franzosen unter dem herrschsüchtigen Ludwig XIV. theilweise verschont geblieben sind, so hatten sie sich noch bis zu Anfang dieses Jahrhunderts ziemlich unverletzt erhalten. Als jedoch nach Auflösung des Stiftes im Jahre 1802 die verwaiste Stiftskirche nur Sonntags in Gebrauch genommen wurde, waren die baulich merkwürdigen Anbauten den Unbilden der Witterung und der eigennützigen Zerstörungssuchte Einzelner schutzlos preisgegeben. Diesem Umstande war es auch zuzuschreiben, dass in den achtziger Jahren die hochinteressanten Kreuzgänge theilweise ohne Bedachung dem Einsturz und dem gänzlichen Verfall preisgegeben waren. Die hohen Provinzial-Landstände, die in den letzten Jahren die Mittel zur stilgerechten Restauration zahlreicher rheinischer Baudenkmale entgegenkommend bewilligten, haben auch, wie bereits auf Seite 9 bemerkt, schon im Jahre 1887 die Initiative zur Wiederherstellung der Kyllburger Kreuzgänge ergriffen. Nachdem auch Seine Majestät Kaiser Wilhelm II. im Jahre 1890 zur Wiederherstellung des Quadrums aus der Königlichen Privatschatulle einen namhaften Geldbeitrag allergnädigst zu spenden geruht hatte, nahmen die umfangreichen Erneuerungsarbeiten unter kundiger Bauleitung einen solchen Fortgang, dass die baulich merkwürdigen Kreuzgänge und das innere Paradiesgärtchen in ursprünglicher Schönheit im Jahre 1892 so vollendet werden konnten, wie dieselben gegen Mitte des 15. Jahrhunderts von kunstverständigen Steinmetzen des Kyllthales errichtet wurden. Um auch das Innere des hehren Gotteshauses stilgerecht wieder herzustellen und das zopfige Mobilar aus der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durch ein solches ersetzen zu können, welches mit den Bauformen der Kirche harmonisch im Einklang stehe, ist kürzlich in Kyllburg ein Liebfrauen-Verein gegründet worden, der sich die lohnende Aufgabe gestellt hat, durch Einsammlung von wöchentlichen kleineren Beiträgen von Seiten der Theilnehmer und Mitglieder des Vereins im Laufe weniger Jahre die Mittel zu gewinnen, damit nicht nur die Mobilargegenstände wieder erneuert, sondern auch das Innere der Kirche von berufener Künstlerhand vielfarbig so ausgemalt werden könne, dass es mit den alten figuralen Glasmalereien des Chores, hervorragenden Werken der Glasmalerei vom Schlüsse des Mittelalters, stilvoll übereinstimme.
Ueberschaut man noch die Ursachen, weswegen Kyllburg vor den übrigen Kurorten der Eifel in jüngster Zeit einen so lieben Rang errungen hat und sich heute eines grossen Aufschwunges erfreut, wie dies im Vorhergehenden angedeutet wurde, so ist besonders darauf hinzuweisen, dass der oft genannte Kurort ungeachtet seiner hohen Lage – 330 Meter über dem Meeresspiegel – ein so vortreffliches Klima aufzuweisen hat. Kyllburg ist nämlich von allen Seiten von Bergeshöhen eingeschlossen, ähnlich wie Meran in Tyrol, und daher vor rauhen Winden zu allen Jahreszeiten gleichmässig geschützt. Dazu kommt noch, dass die Ortschaft nach drei Seiten von einem Waldgürtel eingefriedigt wird, um welchen die an Forellen und anderen Fischarten reiche Kyll im Kreise sich herumschlängelt. Dieser Buchenwald, der die Abhänge des Stiftsberges fast vollständig umgiebt und bis zur Kyll sich herabzieht, ist von schattigen Wegen und wohlgepflegten Spaziergängen durchzogen. Der Gemeindevorstand, der es sich auch hat angelegen sein lassen, die Landstrassen und Wege um Kyllburg herum mit Obstbäumen zu bepflanzen, hat es auch nicht unterlassen, den Verschönerungs-Verein Kyllburg mit Geldmitteln zu unterstützen, so dass derselbe diesen schönen Waldgürtel, der im Volksmund „im Hahn“ genannt wird, allerorts mit Bänken und Ruheplätzen für Kurgäste und Fremde, desgleichen auch mit einer kleinen Tonhalle für musikalische Aufführungen versehen konnte. Auch die nächste Umgebung des vielbesuchten Kurortes ladet einheimische und fremde Besucher zu zahlreichen Spaziergängen und Ausflügen ein, wie solche kaum in einer anderen Ortschaft der Eifel gefunden werden. So führt ein bequemer Fusspfad diesseits der Kyll zu der schönen Mariensäule auf das Plateau des Rosenberges. Vermittelst einer Steintreppe in dein thurmförmigen Unterbau dieser Säule gelangt man auf die von Zinnen bekrönte Plattfläche, auf welcher man eine prächtige Aussicht auf den Stiftsberg mit seinen kirchlichen und profanen Bauwerken und auf das an dem schmalen Sattel des Stiftsberges anlagernde Kyllburg gewinnt.
Eine besonders schöne Partie eröffnet sich dem Fussgänger nach der sogenannten „Wilsecker Linde“, einem vereinzelt stellenden, bereits alternden Baum auf der den Stiftsberg nach Süden hin abgrenzenden Hohe. Die Aussicht von der Linde ist überraschend grossartig und lohnt reichlich die kleine Mühe des Bergsteigens nach Ueberschreitung der festen Kyllbrücke. Zieht man eine Fusstour ebenen Weges in dem Thale der Kyll dein Bergsteigen vor, so gelangt man in kaum zwanzig Minuten von Kyllburg nach dem freundlichen Dorfe Malberg, dessen Höhen von zwei stattlichen Schlössern bekrönt werden. Die ältere Burgfeste, mit Mauern von fast zwei Meter Stärke, rührt noch aus dem Mittelalter her; jedoch sind sämmtliche Fenstereinfassungen in jener Zeit umgestaltet worden, als auch der moderne Schlossbau gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts im Stile der kurfürstlich Trierischen Residenzen errichtet wurde. Nicht leicht dürfte man in den Rheinlanden einen so umfangreichen Schlossbau antreffen, dessen Aeusseres und Inneres den Charakter der Bauzeit, den Typus des Barockstils, so rein bewahrt hat, wie dies an dem Malberger Schlosse der Fall ist. Entgegenkommend hat man uns Gelegenheit geboten, die kunstgerecht hergestellten Säle und Gemächer des Prachtbaues der Besitzung des erst kürzlich verstorbenen Herrn Geheimraths Schmitz von München-Gladbach eingehend besichtigen zu können. In ihrer heutigen effektvollen Wiederherstellung legen dieselben beredtes Zeugniss ab von dem Kunstsinn des Kölner Suffragan-Bischofs Werner von Veyder, des Erbauers des gedachten Schlosses. In dem früheren, heute wieder hergestellten Festsaale desselben verdienen besondere Beachtung die inneren grossen Fensterverschläge, Vertäfelungen in vielfarbiger, eingelegter Marqueterie-Arbeit, die von derselben Meisterhand herrühren dürften, die auch die ähnlichen eingelegten Arbeiten an den Chorstühlen des Trierer Domes angefertigt hat.
Ein weiterer Ausflug führt durch einen herrlichen Buchenwald auf kürzlich neu angelegtem Fahrwege zu dem ehemaligen adeligen Cisterzienserinnen-Stift St. Thomas. Die Kirche dieses alten Frauenstiftes, die einer theilweisen Wiederherstellung bald entgegengehen dürfte, gehört zu den hervorragendsten spätromanischen Bauwerken der Trierer Diözese. Besonders merkwürdig ist Anlage und Ausführung des ursprünglichen Altartisches. Unter den wenigen mittelalterlichen Skulpturen der Kirche verdient namentlich eine fast lebensgrosse Marienstatue in Stein, der Mitte des 14. Jahrhunderts angehörend, hervorgehoben zu werden. Dieses Bildwerk gereichte zweifelsohne dem alten Hauptaltar zur besonderen Zierde. Heute jedoch hat dasselbe über einem Thorbogen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ein ärmliches unterkommen gefunden und harrt der Zeit entgegen, in welcher dasselbe, nach richtigen polychromen Gesetzen wiederhergestellt, den verdienten Ehrenplatz in der Kirche wieder einnehmen wird.
Wer kleinere Streifzüge in die Nachbarschaft Kyllburgs zu Wagen oder mit der Bahn unternehmen will, versäume nicht, das nahe Mürlenbach mit seiner Burgruine und ebenfalls Fliessem mit seinen römischen Antiquitäten zu besuchen. In dem alten Mürlenbach besassen schon die Karolinger ausgedehnte Hofgüter. Die Substruktionen der dortigen Burgfeste, die, wie so viele andere Burgen der schönen Eifel, dem „furor gallicus“ zum Opfer gefallen sind, sollen noch von der ersten Erbauerin, der Bertrada, herrühren, angeblich einer Grosstante Karls des Grossen. In Fliessem, das mit der Bann von Kyllburg über Erdorf in einer Stunde zu erreichen ist, finden sich zahlreiche Alterthümer, die zum Belege dienen, dass hier zu Römerzeiten ausgedehnte Niederlassungen und Villen sich befanden. Besonders interessant sind daselbst die noch wohlerhaltenen Fussböden in Mosaik.
Im Vorhergehenden sind kurz die Gründe angedeutet, weswegen der Kurort im Thale der Kyll, nur wenige Stunden von Trier entfernt, eine solche Bedeutung nicht nur als Mittelpunkt einer im steten Aufschwung befindlichen Industrie, sondern auch vornehmlich als Kurort gewonnen hat. Natur und Kunst haben dieses bevorzugte Eifelstädtchen in Frühlings- und Sommerzeiten zum gernbesuchten Stelldichein von Turn- und Gesangvereinen, von archäologisch-wissenschaftlichen Gesellschaften und militärischen Korporationen gemacht. Auch hochstehende Personen, unter andern auch Se. Königliche Hoheit der Kronprinz von Italien mit hohem Gefolge, Se. Excellenz von Loë, Gouverneur von Berlin, Se. Excellenz Nebe-Pflugstaed, Unterstaatssekretair im Justiz-Ministerium, und Se. Excellenz Nasse, Oberpräsident der Rheinprovinz, beehrten Kyllburg in jüngster Zeit mit einem Besuche und nahmen sämmtlich Absteigequartier im Eifelerhof.