Heimatkalender 1952 | S.91-93 | Von Hans Klotz
Unter den vielen schönen Städtchen des Eifellandes ist kaum eines, das sich einer von der Natur so sehr begünstigten Lage rühmen kann, wie das alte kurtrierische Städtchen Kyllburg. Jeder Fremde, der hier ankommt, sei es mit der Eifelbahn oder auf einer der Straßen, die von den umliegenden Höhen zu Tal führen, ist überrascht, hier ein so schönes Fleckchen Erde zu finden. Ein prächtiges Panorama bietet sich dem Auge des Beschauers dar. Auf schmalen Bergrücken ziehen sich die schmucken Häuserreihen des alten Städtchens, vom Kylltal allmählich ansteigend bis zum altehrwürdigen Stiftsberg. Sie schmiegen sich sanft an den 370 m hohen Bergkegel an, der sich in einen grünen Mantel von schattigen Buchen und Tannen hüllt und im Volksmunde Hahn heißt. Ihn überragt die herrliche Stiftskirche und der Burgturm, geschichtliche Zeugen einer großen Vergangenheit.
Hoch oben auf dem Stiftsberge, nach Norden gelegen, steht der alte Burgturm. Weit schaut er über die Häuser des Städtchens hinüber in das vielgewundene Kylltal. Er hat die Jahrhunderte überdauert und ist neben dem Stallgebäude allein von der einstigen Burg übriggeblieben. Neben der Sicherung der Straße diente er vor allem dem Auge des Wächters, dem von hier nichts zu entgehen schien. Die Straßen und Wege bewachte er bei Tag und Nacht auf Feinde, und durch Hornstöße meldete er Feind und Freund. Vor allem schaute er hinüber zur benachbarten Burg Malberg, deren Raubritter ständig zu Raub und Überfällen auszogen.
Wenige Meter südlich der Kyllburg betritt man den Boden der alten Stiftsherrlichkeit. Die Stiftsfreiheit, die eine Gerichtsbarkeit besaß, hatte einen Durchmesser von ungefähr 320 Schritt und war durch eine Mauer eingefriedet. Inmitten der Stiftsfreiheit stieg die 1276 von Erzbischof Heinrich von Finstingen erbaute Marienkirche. Er gründete im gleichen Jahre hier ein Kollegiatstift. Die Stiftskirche, die an Stelle einer bereits vorhandenen Kirche erbaut wurde, war der Mittelpunkt des Stiftes. Sie gibt uns Zeugnis von der hohen architektonischen Entwicklung und omamentalen Gestaltung der Kunst des Mittelalters und ist ein geschichtliches Zeugnis. Der ehrwürdige Eifeldom, auf dem der Silberschein von beinahe 800 Jahren liegt, der allerseligsten Jungfrau Maria geweiht, erhebt sich auf dem schönsten Punkte der Natur in majestätischer Schönheit und krönt den landschaftlich schönsten Teil Kyllburgs. An die Stiftskirche lehnen sich die Gebäulichkeiten des Stiftes an. Kapitelhaus und Kreuzgang. Die alten Häuser um die Stiftskirche, jedes inmitten eines kleinen Landgutes, waren ehemals Wohnungen der Stiftsherren. Das Kyllburger Kollegiatstift war eine bevorzugte Pflegestätte der Wissenschaft, Kunst und christlichen Sitten, und war während seines Bestehens eines der blühendsten Stifte des Kurstaates Trier. Das Stift löste sich auf Decret Napoleons im August 1802 auf.
Die Stiftskirche ist eine große einschiffige Hallenkirche, die im Jahre 1276 nach den Plänen des Zisterziensermönches Heinrich gebaut wurde. Sie wurde in drei großen Bauperioden errichtet. In die erste Bauperiode, die bis Ende des 13. Jahrhunderts geht, wurde der Chor und die beiden nächsten Gewölbejoche gebaut. Der Stiftsgottesdienst dürfte nach Ausführung einer abschließenden Sperrwand in dem kühn ausgeführten Bauteil abgehalten worden sein. Zur Begründung dieser Annahme weise ich auf das Kyllburger Wappen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts hin, das den eben beschriebenen Bauteil wiedergibt. Die zweite Bauperiode begann Ende des 14. Jahrhunderts. In ihr wurde das Längsschiff mit der Westfassade gebaut. Man verwandte hierbei wohlgefügte Quadern jenes dauerhaften dunkelroten Sandsteines, wie ihn das Kylltal in so vortrefflicher Qualität liefert.
In der dritten und und letzten Bauperiode, die in das erste Viertel des 16. Jahrhunderts fällt, wurde der Stiftsdom erbaut. Unser Blick fällt an der inneren Wandfläche der Nordseite auf ein großes Triumphkreuz, das wohl aus der Bauzeit der Kirche herrührt. Diese Kreuz war im Mittelalter schwebend unter dem Triumphbogen am Choranfang angebracht. Rechts, unmittelbar unter der Kanzel, sind eine Reihe von Leichensteinen aufgestellt, die ehemals den Fußboden der Kirche bedeckten. Auf ihnen lesen wir die Namen edler Stiftsherren und tapferer Burgmänner. Beiderseits der Kommunionbank befindet sich ein weiteres Utensil der Kirche, das alte, aus Eichenholz geschnitzte Chorgestühl, deren Entstehung ins frühe Mittelalter zurückgeht. Der Hochaltar inmitten des Chores ist im architektonischen Aufbau und in der dekorativen Fassung mit den edlen Formen des monumentalen Bauwerkes übereinstimmend. Die Glasmalereien der drei Chorfenster zählen mit zu den wertvollsten und interessantesten Teilen des Gotteshauses. Kunstsinnige Stiftsherren von Kyllburg haben die Mittel gespendet, damit die drei Hauptfenster des Chorschlusses mit vortrefflichen, teppichartigen Glasmalereien verziert werden konnten. Die Geschenkgeber waren adelige und reichbegüterte Stiftsherren. In dem mittleren Fenster ist die Kreuzigung des Herrn mit der Passionsgruppe bildlich verankert. In dem Fenster zur Evangelienseite erblickt man die Geburt des Herrn in einem figurenreich komponierten Glasmosaik. In dem Fenster zur Epistelseite erblickt man die Grablegung des Herrn, wie diese in Szenen auf mittelalterlichen Bildern immer wieder anzutreffen ist. Im Chore selbst befindet sich noch eine Doppelpiscine, die Sedilien, und ein spätgotisches Sakramentshäuschen. Die alte Stiftskirche zu Kyllburg ist ein erhebendes Bauwerk des Mittelalters und zählt wohl zu den schönsten Bauwerken des Eifellandes.
Außer dem Kapitelhaus, Kreuzgang und den Häusern der Stiftsherren ziert die alte Stiftsfreiheit noch die Gerichtsstätte unter den vier kraftvollen Linden im sogenannten Kreuzgärtchen. Der Blick fällt auf eine Jahreszahl auf einem verwitterten, moosüberzogenen Kreuz, 1607. Lange, lange Jahre vor 1607 war dieser Platz eine vielbesuchte Stätte. Haben doch unsere Vorfahren die Linde als heiligen Baum verehrt. Unter der Linde wurde Recht gesprochen und gerichtet. Unter ihrem weitausladenden Blätterdache sammelte sich die frohe Jugend zum lieblichen Spiel und Tanz, und das müde Alter suchte hier Ruhe und Erquickung. Frommer Sinn hatte im Mittelalter auf hoher Steinsäule ein Kreuz errichtet. Der verwitterte Rest einer Steinbank zeugt davon, daß an dieser frommen Stätte die glaubensstarken Stiftsherren des Kollegiatstiftes gern geweilt und gebetet haben. Hier diskutierten in wohlgesetzter lateinischer Rede die gelehrten Scholaster der Stiftsschule, bis das Glöcklein im Dachreiter der nebenan liegenden Stiftskirche die frommen Herren zum Chorgebet rief. Aber auch mancher tapfere Ritter der Kyllburg mag hier vor dem Kreuz unter den Linden dankbar seine Knie gebeugt haben, wenn er siegreich aus blutiger Fehde zurückgekehrt war. Und mancher arme Sünder, der mit letzter Kraft und brechenden Knien die Stiftsfreiheit erreicht und so der kurtrierischen Gerichtsbarkeit und den Verfolgern entzogen war, warf sich in reuevollem Dankgebet vor dem Kreuze darnieder. So war es noch, als das Kreuz 1786 renoviert wurde, als längst der letzte Ritter der Kyllburg zur ewigen Ruhe in den heiligen Boden der Stiftskirche oder des Kreuzganges gebettet war. Durch Napoleon wurde die Stiftsherrlichkeit aufgehoben. Aber die vier wackeren Linden trotzten allem Sturm und Ungewitter. Aus der althistorischen Stätte ist ein Gedächtnishain geworden für die teueren Toten der beiden Weltkriege.
Der heilige Boden des Kyllburger Stiftes ist uraltes Kulturland unserer Heimat. Möge das Stift zu Kyllburg mit den großen Wahrzeichen des Mittelalters der altehrwürdigen Stiftskirche, den Gebäulichkeiten des Kollegiatstiftes, der Gerichtsstätte und der Kyllburg für ewige Zeiten, für das heutige und die kommenden Geschlechter ein Heiligtum sein und bleiben.