Heimatkalender 1971 | S.140-144 | Von Dechant Dr. Benedikt Caspar
Ein Kelch aus dem Jahre 1476
Hinter einigen unserer Kelche in der Stiftskirche zu Kyllburg verbirgt sich eine eigene Geschichte. Da fällt sofort der spätgotische Kelch auf (1476), aus weichem, dunklem Gold. Er ist eine Stiftung des Chorherrn Johannes de Wylre (Kyllburgweiler), eines Priesters aus einem unserer alten Bauernhöfe. Auf dem Fuß des Kelches ist sein Name und der seiner nächsten Verwandten graviert. Da heißt es: Tilman Seyner (in der Sprache unserer Gegend = Sener das ist einer der Kirchenschöffen der Stiftskirche) Elisabeth, Petrus, Elisabeth, Tilmann, Wilhelm, Katharina. Möglich, daß es die Namen seiner Brüder und ihrer Angehörigen sind, die ihrem geistlichen Verwandten den Kelch anläßlich eines Priesterjubiläums schenkten. Denn es gereichte einer Familie zur höchsten Ehre, namentlich auf einem Kelch zu stehen, in dem das eucharistische Gedächtnis gefeiert wurde. So sollte die Familie des zelebrierenden Priesters stets gegenwärtig sein. In einem so ehrwürdigen Kelch das heilige Opfer zu feiern, bedeutet gerade heute, im Zeitalter der religiösen Unruhen und Krisen der christlichen Menschheit, in denen auch das Dogma bei manchen ins Wanken geraten ist, höchstes Glück. Dieser Kelch hat fünf Jahrhunderte überdauert, er hat die Glaubensnot der Reformation erlebt, die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, die Sinnesfreude des Barocks, er hat die Französische Revolution auf allen Gebieten des gesellschaftlichen, staatlichen und kirchlichen Lebens, die Plünderung der Kirchen und Klöster überdauert, aber immer noch wurde aus ihm dasselbe heilige Opfer gefeiert, unterdessen sich die Menschheit wandelte und oft geistig und religiös verirrte.
Ein Kelch aus der Zeit der Reformation
Ein zweiter Kelch aus dem Jahre 1540 trägt unter seinem silbernen Fuß die lateinische Gravur: (auf deutsch) Dr. Maximinus Pergener, Exekutor des Testamentes des Gäste-Kanonikus Jakobus (er hatte sich um die Gäste des Stifts zu kümmern). Vielleicht ist er eine Person mit dem Kanonikus Kantor Jakobus (für den Chorgesang der Kanoniker verantwortlich), der auf dem unteren Teil des linken Chorfensters (1534) zusammen mit dem heiligen Antonius, dem Einsiedler, und Bischof Nikolaus dargestellt ist. Maximin Pergener war ein gelehrter Dekan des an der Porta Nigra gelegenen St.-Simeon-Stiftes in Trier, dessen Name in der Geschichte dieses berühmten Stifts für das 16. Jahrhundert sehr bedeutsam war. Noch heute erinnert in der Porta Nigra ein Epitaph (Grab- oder Gedenkstein) mit der Darstellung des Jüngsten Gerichtes an seinen Namen. Es heißt allgemein “Maximin Pergener Epitaph” und gilt als eines der großen Werke der trierischen und rheinischen Renaissance. Bei seinem Tod vermachte der demütige Gelehrte sein ganzes Vermögen den Armen der Stadt Trier. Sein Testament wird in der Handschriftenabteilung der Stadtbibliothek Trier aufbewahrt.
Ein Brautring
Der dritte Kelch aus dem Barock hat eine wehmütige — ernste Geschichte. Sie ist dem Verfasser genauestens bekannt. Der Kelch wurde im 18. Jahrhundert in Süddeutschland für einen Kanonikus in Kyllburg gearbeitet. Eines Tages schenkte eine adlige Familie, das heißt die Freifrau selbst, für den Schaft des Kelsches einen großen, blitzenden Diamanten. Er sollte den Kanonikus bei der heiligen Messe stets an das Edelhaus erinnern. Noch saß der Stein in einem goldenen Ring, den der junge Freiherr seiner Braut vor vielen Jahren geschenkt hatte. Ein Trierer Goldschmied faßte den Diamanten für den Kelch. Aber nur kurze Zeit behielt er dort seinen Platz. Denn ein schweres Mißgeschick hatte das adlige Haus mit dem plötzlichen Tod des Freiherrn um das gesamte Vermögen gebracht. Freifrau Hedwig wurde bald in ein Kloster barmherziger Schwestern aufgenommen. Der Kanonikus, der von dem Unglück der Familie hörte, ließ sofort durch den Goldschmied den Stein wieder vom Kelch abnehmen und an seiner Stelle einen kleinen Rubin setzen. Dann überbrachte er der geprüften Freifrau Ring und Stein. Es war nämlich dem Priester unmöglich, diesen kostbaren Stein auf dem Kelch zu wissen, während Freifrau Hedwig in Armut leben mußte. Aber sie nahm den Ring mit dem Stein nicht an. Unter Weinen und Tränen bat sie den Priester, er möge Ring und Stein für ihren jüngsten Sohn Michael bewahren, der auf dem Weg zum Priestertum war. Bei seiner Priesterweihe möge der Kanonikus aus dem Erlös von Ring und Stein einen Kelch anfertigen lassen, der Michael gehören sollte. Damit war der Stiftsherr einverstanden. Ein Verwandter der Familie erhielt jedoch Kenntnis vom Dasein des Steines und Ringes in fremder Hand und — ohne mit der Freifrau vorher gesprochen zu haben, forderte er in schroffem Schreiben Ring und Stein zurück. Ohne Zögern gab der Kanonikus nach und schickte den Ring dem Verwandten, guten Glaubens, Freifrau Hedwig habe alles nachträglich so angeordnet. Dem war aber nicht so. Als der Kanonikus der Freifrau über die Herausgabe von Ring und Stein schrieb, war sie empört über das Ansinnen ihres Verwandten. Sie verlangte von ihm unverzüglich Stein und Ring und ließ beide durch Michael dem Kyllburger Kanonikus zurückbringen. So war der Ring wieder in Kyllburg gelandet. Kriegerische Wirren indessen zwangen den jungen Studenten unter Waffen zu treten. Seine Mutter verstarb, ebenso der Verwandte. Das letzte Wort, das Freifrau Hedwig mit ihrem Sohn sprach, ging um Ring und Stein und seinen Kelch. Kurze Zeit danach fiel der junge Edelmann, in dessen Seele der Gedanke an das Priestertum nicht erloschen war, bei der Verteidigung einer der rheinischen Burgen. Was wurde nun aus Ring und Stein? Es dauerte nicht lange, und ein anderer Verwandter erhob Rechtsanspruch auf beides. Strenggenommen gehörten Ring und Stein wieder der Familie, nachdem der Sohn Michael gefallen war. Aber hätten die Verwandten nicht dem Kanonikus Ring und Stein überlassen sollen, und zwar für einen kostbaren Kelch zum Gedächtnis ihrer Familie? Was wäre der ursprünglichen Zweckbestimmung durch Freifrau Hedwig entsprechender gewesen? Der Kanonikus jedoch wollte sich nicht in eine unwürdige Auseinandersetzung mit den Verwandten einlassen. Er sandte Ring und Stein zum drittenmal ab. Erschüttert durch die Habgier der Verwandten, schrieb er ihnen folgenden Brief: “Dieser Ring ist etwas Heiliges. Sein Diamant sollte ursprünglich auf meinem Kelch eine Erinnerung an Ihre Durchlauchte Familie werden. Dann, nach dem Mißgeschick Ihrer Familie, gab ich unaufgefordert Ring und Stein Freifrau Hedwig zurück, die ihn aber nicht mehr annahm. Sie bestimmte: es solle ein Kelch für den Sohn bei seiner Priesterweihe angefertigt werden. Nun fiel Michael. Ring und Stein sind wieder frei, aber bedenken Sie, beides war Gott geweiht. Sie dürfen sie nie zu profanen Zwecken mißbrauchen.” Was die Verwandten taten, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber ich glaube sehr, daß der Ring mit dem Stein noch irgendwo in der Welt existiert. Ob die Trägerin damit glücklich wurde?
Der Kelch von Prälat Dr. Schwickerath
Ein vierter Kelch stammt aus der neueren Geschichte. Es ist der Kelch des in Kyllburg (1898) geborenen, 1953 verstorbenen Prälaten Dr. Wilhelm Schwickerath, zuletzt Domvikar an der Hohen Domkirche zu Trier. Seine Geschwister vermachten nach dem Tod ihres Bruders den Kelch unserer Stiftskirche, wo er zur Zeit bei der Feier der heiligen Messe in der Hauptschule gebraucht wird. Dr. Schwickerath war bis 1931 Kaplan in Püttlingen (Saar), wo sein Name immer verbunden bleibt mit der von ihm erbauten Marienkapelle. Um die Kapelle möglichst mit wenigen Unkosten erstellen zu können, haben 1927 Püttlinger Männer und Jungmänner die in die Geschichte des Dorfes eingegangene sogenannte Backsteinprozession gehalten, in der jeder Teilnehmer einen oder mehrere Backsteine den Marienberg hinauftrug. So lag mit einemmal das gesamte Steinmaterial oben. Die ganze Diözese Trier sprach damals von dieser originellen Prozession. Bald stand die Kapelle, viele halfen kostenlos. Nur kurze Zeit (1929) später und die Kapelle war für den Besucherstrom zu klein. Sie mußte vergrößert werden und wurde nun zu einem religiösen Mittelpunkt für stille Beter aus dem ganzen Püttlinger Land. Bis heute knien dort immer gläubige Menschen, um der Gottesmutter ihre Anliegen anzuvertrauen. Vor einigen Jahren wurde eine bronzene Tafel am Eingang der Kapelle angebracht, die auf die Geschichte des kleinen Heiligtums hinweist: Erbaut im Jahre 1927/1929 von dem Kaplan in Püttlingen, später Domvikar und Ordinariatsrat in Trier, Msgr. Dr. Wilhelm Schwickerath, † 27. 9. 1953. Domvikar Dr. Schwickerath war eine originelle Priestergestalt unseres Bistums. Als er 1931 immer noch in Püttlingen Kaplan war (während sein Weihejahrgang längst in Pfarrstellen aufgerückt war), wurde er unruhig. Es quälte ihn, daß er nicht Pfarrer wurde. So fuhr er nach Trier, um sich bei seiner bischöflichen Behörde danach zu erkundigen. Der verstorbene Generalvikar Tilmann erwiderte ihm auf seine Frage: “Ja, Herr Kaplan, wir haben mit Ihnen etwas Besonderes vor.” “Etwas Besonderes”, entgegnete Schwickerath, “das dauert aber lang, eines Tages bin ich tot, dann wird man an meinem Grab sagen: Wir hatten eigentlich etwas Besonderes mit ihm vor.” Der gütige Generalvikar lächelte. Bald danach wurde Kaplan Schwickerath zum Domvikar ernannt. Als Dr. Schwickerath Abschied von Püttlingen nahm (1931), schenkten ihm die Jungmänner den Kelch. Auf ihm stehen die Worte: “Gewidmet vom Katholischen Jugend- und Jungmännerverein der Pfarrei St. Sebastian Püttlingen 1922—31.5. 1931.” Domvikar Dr. Schwickerath hat nicht nur in der Verwaltung der Bistumskasse für unsere Diözese Außergewöhnliches geleistet, er war auch der große Förderer der Aufgaben des Bonifatiuswerkes, zeigte bei der Ausstellung des Heiligen Rockes 1933 sein Talent als Organisator, begleitete jahrelang die Weihbischöfe bei ihren Firmungsreisen durch die Diözese und besorgte sofort nach dem Krieg 1945 für viele hungernde Trierer Lebensmittel (siehe Heimatkalender des Kreises Bitburg 1970 meinen Artikel “25 Jahre nach dem Krieg”), indem er besonders durch Predigten in den Eifelkirchen auf die Not der Stadt hinwies. Lastwagen um Lastwagen, gefüllt mit Lebensmitteln, brachte er so nach der Bischofsstadt. Dr. Schwickerath war es auch, der den Wiederaufbau von St. Maximin in Kyllburg (1945 total durch Bomben zerstört) zusammen mit Dechant Wirth in die Wege leitete. Vor zwei Jahren wurde an der Westfront der neuerbauten Kirche eine Steintafel enthüllt, die diese Tatsache für die Zukunft festhält. In Dankbarkeit erinnert sich Kyllburg seines großen Sohnes, den es zusammen mit dem Namen des ebenfalls aus Kyllburg stammenden, verstorbenen Generalvikars Dr. Weins immer nennen wird. Und wenn die Priester unserer Hauptschule den Kelch Dr. Schwickeraths über Kinder und Lehrer erheben, mögen alle immer daran denken, daß Domvikar Dr. Schwickerath aus Kyllburg hervorging und sich um die trierische Kirche verdient gemacht hat.
Zwei historische Monstranzen
Es bleiben noch die beiden Monstranzen zu beschreiben, die sich im Besitz der Stiftskirche befinden: eine kostbare barocke (circa 1750) und die andere aus der Zeit des Empire (1810–1835). Die barocke Monstranz, zierlich und reich geschmückt im Genre des Barocks, mit künstlerisch wertvoller Goldgravur, war sicher das Werk eines bedeutenden Meisters der Barockzeit. Daß sie uns erhalten blieb, wo doch sonst so viele Mobilien der Stiftskirche bei der Auflösung der Klöster und Stifte geraubt wurden, verdankt Kyllburg der Tatsache, daß außer der Stiftskirche in Kyllburg die St.-Maximin-Kirche bestand. Während die Stiftskirche mit ihrem Besitz genau wie die Klöster aufgelöst wurde, blieb St. Maximin als alte Pfarrkirche mit ihrem Vermögen bestehen. Daher retteten die Stiftsherren alles, was irgendwie weggenommen werden konnte, in die St.-Maximin-Kirche. Auf diese Weise blieben uns in Kyllburg alle historischen Meßgewänder, Kultgeräte und Statuen der Stiftskirche erhalten, während der Hochaltar, viele Orgelpfeifen und das Chorgestühl der Stiftskirche verschwanden.
Die Monstranz aus dem Empire wurde unter dem ersten Pfarrer Schiltgen in der napoleonischen Zeit für die staatsrechtlich neuerrichtete Kantonalkirche (die rechtlich untergegangene Stiftskirche) von einem hervorragenden Goldschmied gearbeitet. Sie ist ein typisches Werk des Empire, einer Kunstrichtung, die unter Anlehnung an klassische Formen der Renaissance bis etwa 1830 andauerte. In erster Line verkündet sie den Herrschaftsstil der napoleonischen Ära, bekam aber im kirchlichen Raum einen neuen Sinn im Hinblick auf die göttliche Königsherrschaft Jesu Christi. Auch heute noch spricht diese Monstranz den anbetenden Menschen sehr an.