Heimatkalender 1971 | S.140-144 | Von Josef Brück, Kyllburg
Unter diesem Titel hat Dechant Dr. Benedikt Caspar uns im Heimatkalender für den Kreis Bitburg 1969 die lange Geschichte dieses ehrwürdigen Gotteshauses in kurzen Abrissen vor Augen geführt. Im letzten Abschnitt dieses Berichtes lesen wir zum ersten Male von einer Begräbnisstätte der Herren von Malberg im Innern dieser Kirche. Hierzu heißt es da: “Wie hoch St. Maximin im ganzen Mittelalter in Ehren stand, ersieht man auch aus der Tatsache, daß die verschiedenen Dynasten Geschlechter von Malberg (Herren von Aaren, von Vinstingen, von Bürresheim, von Manderscheid und von Veyder) ihr Erbbegräbnis in St. Maximin hatten. Eine jüngst (bei Abbruch eines barocken Bürgerhauses zutage geförderte Steinplatte bestätigte uns die bisherige Vermutung). Es handelt sich um das Viertel einer Grabplatte (die ganze ca. 180×70) wohl aus dem 12./13. Jahrhundert. Diese wurde vermutlich bei der Barockisierung der St. Maximinkirche im 18. Jahrhundert beseitigt, weil sie irgendwie störte.”
Im Einvernehmen und in enger Zusammenarbeit mit Herrn Dechant hat der Verfasser des nun folgenden Artikels dieses für uns sehr wertvolle Grabsteinfragment kurz nach Bergung in sichere Obhut und pflegliche Behandlung genommen. Zunächst ging es darum, den mit Blindwerk gezierten Stein, der über 200 Jahre mit dem Gesicht nach unten im Kellerboden als Belag diente, einer gründlichen Reinigung zu unterziehen. In mühsamer und sorgfältiger Arbeit wurden die mit zementharter Lehmkruste überdeckten und zuvor nur erahnten Buchstaben der Randschrift wieder lesbar gemacht; desgleichen mußten die Konturen der Ornamentik wieder schärfer herausgearbeitet werden. Nun konnte festgestellt werden, daß diese Platte einem Epitaph zugehörte, das zwar nicht für ein Einzelgrab, sondern für eine Familiengruft bestimmt war, die unter dem Schutz des Erzengels Michael hergerichtet worden war. Was lag näher als diese Grabstätte in St. Maximin zu suchen. Ein glückliche Umstand sollte diese Ansicht bald bestätigen:
Zu Beginn des Wiederaufbaus der im Jahre 1945 durch Bombenabwurf total zerstörten Kirche hat der aus Malberg stammende Heini Jüster eine in diesem Sinne sehr wertvolle Entdeckung gemacht. Auf dem vom Trümmerschutt weitgehend befreiten Boden bemerkte er zwischen den vier Pfeilerstümpfen des Mittelschiffes mehrere Grablöcher minderer Größe, sowie rings herum zerstreut liegende Bruchstücke ehemaliger Grabsteine. Jüster hat diese Relikte zeichnerisch festgehalten und unserm Dechant Dr. Benedikt Caspar auf drei Skitzenblättern Mitteilung hierüber gemacht.
Zu Blatt 1:
Es zeigt die Anordnung von 16 Gräbern zu je vier Reihen. Die Durchschnittliche Tiefe unter dem Erdboden beträgt etwa 60-80 cm. Über die Größe der Platten ist nichts vermerkt, sie läßt sich in etwa ermitteln aus dem mit 4,50 m angegebenen Abstand von zwei seitlichen Pfeilerstümpfen und einem weiter unten angegebenen Breitenmaß von 1,80 m. Unter Berücksichtigung der Zwischenräume ist das Größenverhältnis der einzelnen Platten ungefähr 80×40 cm. Aus den planvoll geordneten Unter- und Nebeneinander kann geschlossen werden, daß es sich hier um die notwendig gewordene Umbettung eines Erbbegräbnisses handelt, das Jahrhunderte lang an anderer Stelle existierte. Diese Notwendigkeit ergab sich zwangsläufig im Vollzug der im Jahre 1745 durchgeführten Erneuerungsarbeiten, als die bis dahin zweischiffige Kirche um ein weiteres Schiff vergrößert wurde. Über den Verbleib der ursprünglichen Grabplatten haben wir mit Ausnahme einer noch hier zu erwähnenden nichts mehr in Erfahrung bringen können. Sehr wahrscheinlich wurden sie zerschlagen und zur Auffüllung der leergewordenen Grablöcher gebraucht oben von anliegenden Einwohnern als willkommenes Baumaterial abgeschleppt. Diesen Weg hatte ja auch – glückhafterweise unsere aus einem Profanbau wieder ans Tageslicht gekommene Steinplatte genommen, auf die wir noch einmal zurück kommen werden.
Zu Blatt 2:
Auf diesem sind zwei Fragmente unterschiedlicher Größe aufgezeichnet, von denen der erste außer dem Kopfbalken eines Kreuzes nur noch folgende Buchstaben der Randschrift zeigt:
(c[uis] a[nim]a r[equiescat] i[n] p[ace] a[men])
Die zweite Steinplatte auf Blatt 2 stellt ein verhältnismäßig großes Fragment dar (175×79 cm), welches mit Ausnahme der Randschrift keinerlei figuralen Schmuck aufweist. Leider sind die lateinischen Majuskel in erheblichem Maße beschädigt und daher unlesbar geworden, jedoch genügen einzelne, sichtlich gut erhaltene Worte vollauf, um die hier angestrebten Feststellungen zu treffen, daß dieser Nachruf einem Dynasten von Malberg zugedacht war.
Beschäftigen wir uns zunächst mit dem in dieser lautlichen Form wohl nicht mehr existierenden Ausdruck ESSEL, dessen urtümliche Bedeutung nur durch Vergleich mit anderen Wortarten und verwandten Wörtern zu ergründen ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß auch diese im Laufe der Zeit nicht nur ihre Gestalt , sondern auch den Wortgehalt geändert haben.. So ist das französische Wort essieu (Achse) eine im 16. Jahrhundert aus der Pikardie übernommene Form der im 12./13. Jahrhundert erwähnten gleichbedeutenden Form aissil und essil. Variationen hierzu sind aissel und aissuel mit Suffix-Änderung in altfranzösischer Schriftsprache. Diese Wortformen sind erschlossen aus vulgär lateinisch axilis, Ableitung von axis. Eine Erweiterung von Achse ist Achsel, französisch aissel (12. Jahrhundert) , lateinisch axilla, Definitiv von ala (Flügel) französisch aile, militärisch gebraucht zur Bezeichnung der rechts und links von der Mitte stehenden Kräfte. Im übertragenen Sinne ist der Flügel Symbol des Schutzes und der Obhut. Im engsten Zusammenhang mit der hier aufgezeigten Wortform steht französisch esse, “Dictionnair Larousse” definiert als: eiserner Haken in Form eines “S” und anschließend als: flacher Achsnagel am Ende der Achse, um dem Rad halt zu geben. Eine ältere Bezeichnung für Achsnagel ist Lünse, mundartlich hier und da noch Lunen genannt, dies wohl wegen der halbmondförmigen Biegung des Nagels, welcher inmitten des Nabenrings in einer Achsenhöhlung angebracht wird. Rad und Nabe bilden eine festgefügte Einheit, wobei die um einen eisernen Zapfen rollende Nabe den Mittelpunkt bildet. Von diesem streben nun die Speichen gleich dem Stiel einer Dolde zur Felge, französisch jante (vulgär lateinisch cambita, Ableitung von gallisch cambo, französisch courbe = Kurve, Bogen. Der französische Ausdruck für Speiche ist rayon mit der Bedeutung von Strahl, Lichtstrahl, der von einer leuchtenden Quelle ausgeht, ursprünglich Bedeutungsgleich mit Spur der Pflugschar und Leuchtspur eines Feuerherdes, französisch sillon, ebenfalls gallischer Herkunft).
Recht interessant und aufschlußreich ist die Bedeutungsentwicklung der hier anstehenden Wortform esse, über die uns der französische Sprachwissenschaftler Albert Dauzart unterrichtet. Wir lesen in seinem Werk “Dictionnair Etymologique” hierüber folgendes:
esse, cheville fixée à l’essieu: an der Achse befestigter Zapfen, Achsnagel oder Lünse; Bedeutungsänderung von altfranzösisch heuce, heusse, von fränkisch hiltja (oder althochdeutsch helza), eigentlich poigée d’épée deutsch Schwertgriff.
Das hier mit esse und heuce/heusse gleichgesetzte Wort cheville ist eine Verstellung von lateinisch clavisual (von clavis) kleiner Schlüssel, französisch clef. Die allgemeine Bedeutung von cheville ist folgende: vorragender Teil aus Holz oder Metall, welches in die Öffnung von einem Andern paßt; fig. steht cheville für “premier agent” Vorsteher oder Hauptperson.
Altfranzösisch heuce/heusse sind Variationen von heuse (althochdeutsch hosa). Im Mittelalter Bezeichnung für Stiefel oder jambière (Beinschutz).
Die englische Wortform swort-hilt Schwertgriff bringt die enge Verknüpfung mit hiltja noch deutlich zum Ausdruck; alleinstehend bedeutet hilt Heft oder Degengefäß, deckungsgleich ist angelsächsisch guard (Degenstichblatt), urverwandt ist französisch garde, womit das zwischen Klinge und Griff liegende, leicht nach unten gebogene eiserne Querstück gemeint ist, im “Larousse” vermerkt als rebord de protection (Schutzbügel), der dazu diente den Streich des Gegners abzufangen. Obgleich germanischer Herkunft, ist dieses in Frankreich bereits im 11. Jahrhundert urkundlich bezeugte Wort erst im 16. Jahrhundert in diesem fremden Gewand ins Deutsche zurückgekehrt. Sprachgeschichtlich läßt sich unser “Garde” zurückführen auf germanisch warda*, althochdeutsch warta spähendes Ausschauen. Ort, von dem aus gelauert wird (Luginsland). Das französische Verb garder, im 11. Jahrhundert als guarder nachgewiesen, altnordisch wardon (spähen, wachen, auf der Hut sein), bedeutet auch beschützen, abwehren, Mit der Übertragung des Wortes garde auf den Schwertgriff sind diese Schutzmaßnahmen aufs Engste mit dem Schwert verknüpft. Dieser Zusammenhang geht deutlich hervor aus der Begriffsbestimmung des französischen Kompositums poignée d’épée, deren erstes Glied eine Erweiterung von französisch poin (Faust) darstellt, urverwandt mit lateinisch pugnus (Faust) und dem zugehörigen Verbum pugno mit der Bedeutung von kämpfen, fechten, streiten. Das zweite Glied épée (im 10. Jahrhundert spede, im 12. Jahrhundert espee) ist die Bezeichnung für das zweischneidige Langschwert, auch Brand genannt, welches das römische Schwert ensis ersetzte. Der germanische Personenname Hildebrand umschließt die in poetischer Form gekleideten Elemente Kampf und Schwert. Seit frühester Zeit und bis ins hohe Mittelalter hinein war das von starker Faust geführte Schwert die sicherste und zuverlässigste Schutz- und Angriffswaffe des Menschen. Es wurde von kräftiger Hand in der Esse, der ummauerten Feuerstelle, geschmiedet.
Im deutschen Ortsnamen Esslingen lebt ein Großteil des hier aufgezeigten Gedankenguts weiter. Wir denken zunächst an dem im Kreis Bitburg gelegenen Ort gleichen Namens, der im Jahre 909 als Enslinga im Bedgau erwähnt. Sodann ist es die um die Jahrtausendwende genannte Doppelstadt Esslingen am Neckar. Wir weisen auch hin auf den Namen der Stadt Essen, traditionell verbunden mit Esse und Schwert, worauf das Wappen der Stadt zurückblickt, wenn es im gespaltenen Schild ein Schwert zeigt.
Mit diesem sehr ausführlichen Deutungsversuch dürfte das in dieser lautlichen Form untergegangenen Wort ESSEL – wenn auch nicht eindeutig, – so doch dem Sinne nach geklärt sein. Es ist noch darauf hinzuweisen, daß ESSEL als Ergänzung zu der nun folgenden Wortverbindung zu denken ist:
Ein weiteres unbeschädigt gebliebenes Textwort heißt VIRTUS, es soll den Verstorbenen als einen bei Lebzeiten außergewöhnlichen Mann bezeichnen, der sich durch Kraft, Stärke, Tapferkeit und Mut bewährt hat. Das Wort virtus umschließt alle Eigenschaften, die das Wesen eines vorbildlichen Ritters ausmachen. Diesen Grundgehalt offenbart ebenfalls die abgeleitete Form französisch vertu (Tugend, Tugendhaftigkeit), eigentlich force virile (Manneskraft), später erweitert zu force morale (sittliche Kraft). Dieser Übergang vollzog sich unter dem Einfluß der christlichen Lehre im 13. Jahrhundert.
Zu Blatt 3:
Neben einem Bruchstück von geringer Größe ist eine stark abgetretene Grabplatte von 180×70 cm abgebildet, die außer einem Großen Kreuz mit Kleeblattbalkenenden weder Umschrift noch sonstige Verzierung aufweist. Andere, kleinere und kleinste Relikte weisen darauf hin, daß auch Angehörige anderer Adelsgeschlechter in St. Maximin ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
An Hand dieser von Heinrich Jüster aus echter Heimatliebe verfertigten Aufzeichnungen konnten wir den einwandfreien beweis für die Existenz eines jahrhunderte alten Sippengrabes in St. Maximin erbringen. Gleichzeitig sind wir jetzt genau informiert über die Herkunft der, in einem der Kirche benachbarten Wohnhause, wieder entdeckten Viertelgrabplatte, die mittlerweile höchst sinnvoll als Totengedenkstein in die Nordseite der neuerbauten Leichenhalle eingemauert ist.
Werfen wir nun einen einen Blick auf den Bildschmuck dieses Gedenksteins:
Im Mittelpunkt desselben steht das mit einem Harnisch bekleidete Bein eines Ritters. Neben dem mit einem Ring- oder Kettenpanzer bewehrten Oberschenkel hängt das Langschwert herab, rechts von diesem kommt ein nur in seinem Umriß erkennbarer Flügel zum Vorschein, dessen Gefieder lediglich durch zwei (ursprünglich wohl drei) Federstriche markiert ist. Verbindungsglied zwischen dem Oberschenkel und dem Schienbein (jambière) ist der mit Gelenk versehene Knieschutz. Der ebenfalls bewehrte Fuß mit dem betont kräftigen Sporn ruht auf dem krummen Buckel eines massiven Hundekörpers, der auf zwei Stufen hockt und dort sprungbereit verharrt. Ein deutlich sichtbares Mal auf dem linken Hinterfuß kennzeichnet ihn als Höllenhund. Mit diesem symbolträchtigen Mal hat es noch eine andere, besondere Bewandtnis: Alt St. Maximin mit dem Erbbegräbnis der Herren von Finstingen-Malberg liegt am Fuße des stufenförmig ansteigenden Burscheider Bergrückens. Zufolge der Schenkung des Stiftsberges an die Abtei Prüm im Jahre 800 war hier, nur wenige Schritte von der Kirche entfernt ein Mal, welches den Besitz der Abtei Prüm von demjenigen der Herren von Malberg abtrennte. Von diesem Grenzmal aus führt ein Steilweg, die Hill genannt, bergan zur Höhe. Etwa im letzten Drittel des Steilhangs lag der zur Herrschaft Finstingen-Malberg gehörende Hof Burscheid. Wie lange er von Malbergern bewohnt war, läßt sich nicht genau ermitteln, auch wissen wir nicht wann er untergegangen ist. Vieles spricht dafür, daß während des 12./13. Jahrhunderts noch Malberger Ritter auf Hof Burscheid ihren Wohnsitz hatten. Wir müssen unterscheiden zwischen dem Gebietsherren, dem Dominus und den Burgmännern, die meist als Ritter mit der Sicherung, Verteidigung und Bewachung der Burg und ihrer Insassen betraut waren. Wie allerorten, so gehörte auch hier der Schutz der Kirche und Grabstätten zu ihrer Aufgabe. Aus diesem Grund mußten die Burgmänner der Burgwacht ihre ganz besondere Aufmerksamkeit widmen. Sie mußten Sorge tragen, daß diese laufend mit Beobachtern besetzt waren, dasselbe galt beim Einsatz von Posten und Postenketten. Schon seit frühester Zeit spielte die Burscheider Warte eine wichtige Rolle, sie war eine notwendige Ergänzung der Signalstation auf der gegenüberliegenden Malberger Höhe. Von dort aus ist bei klarem Wetter eine Rundsicht bis 40 km möglich, einzig nur gehemmt in nordöstlicher Richtung durch die ca. 50m höher liegende Burscheider Kuppe. Dieser Übelstand läßt sich unter Einschaltung der Burscheider Bergwacht beheben. Die wohl früheste Erwähnung des Namens Burscheid entnehmen wir dem Heimatwerk “Das Bitburger Land”. Dort heißt es in Band 1, Seite 388: Den ältesten Beleg für diesen Ortsnamen erbrachte Nikolaus Kyll mit molendium Buorsheit des 12. Jahrhunderts. Mühlen waren bis zur Beendigung der Feudalzeit immer im Besitz des Landesherrn. Ein anderes Hoheitszeichen war der Ende des 12. Jahrhunderts in Gebrauch kommende Galgen. Die Erinnerung an dieses Marterholz lebt weiter in den Flurbezeichnungen “am Galgen” und “Unterm Gericht”. Beide Parzellen liegen unweit des ehemaligen Hofs Burscheid.