Erzählung/Gedicht/Lied

Die stille Eifel

Hotel Zur Post am Bahnhof Kyllburg

Quelle: Berliner Tageblatt, 1. Juni 1915, S.2

Von Kurt Küchler.

Tagelang bin ich durch den südlichen Teil der vulkanischen Eifel gewandert, sah die wunderbare Schönheit der Dauner Maare, die wie schwermütige, weit offene, dunkelblaue Augen in den Kraterhöhlen liegen, ging durch das grüne Leuchten der hohen Buchenwälder und durch die blaue Nacht dicht gedrängter Tannen; ich sah im engen Talkessel der Lieser die Ruinen der merkwürdigen Burgen von Manderscheid aus einem Fundament wild zerzackter Felsen heraus wachsen und wanderte auf geheimnisvollen Urwaldpfaden oder an den hohen Saumwegen steiler Talwände, bis ich die Hänge der Eifelberge rebengesegnet zur Mosel hinabstürzen sah.

Wundersames, deutsches Land! dachte ich, und hatte ein seltsames Gefühl von Freude und Scham. Freude, weil ich die köstliche Schönheit der Eifelnatur für mich entdeckte, und Scham — ja nun, das war die Scham, die viele meiner deutschen Landsleute empfinden müssen, wenn sie in diesem Sommer oder in künftigen Friedensjahren die deutsche Landschaft kennen lernen werden.

Ich war einer von denen, die allsommerlich nicht weit genug hinauskommen konnten. Ich sah die endlosen Parks der englischen Herzöge, und verträumte viele Stunden in den strahlenden Paradiesen des treulosen Italien, ich saß auf der äußersten Spitze des Nordkaps und pflückte Datteln von den Palmen der Oase Biskra, ich berührte mit meinen Händen die Felsen des meerumdonnerten Kaps Finisterre und ließ den gelben Sand der Wüste durch meine Finger rinnen … aber von den Gärten und Wäldern und Bergen und Burgen und Seen deutschen Landes sah ich nicht viel mehr, als die Augen aus den Fenstern der Schnellzüge erraffen. Ein böses Bekenntnis! Und die vielen, die ich vor meinem Geiste mit dem gleichen Bekenntnis auf den Lippen sehe, sind mir ein schlechter Trost. Der große Lehrmeister Krieg mußte kommen, mußte aus allen Winden auf uns einstürzen, um uns die Augen zu öffnen.

Mit einer ganz neuen und seltsamen Liebe geht man jetzt durch die deutsche Landschaft. Es kann ja gar nicht anders sein: neben allem, was wir jetzt sehen und erleben, sieht der Gedanke an den großen Krieg. Der Krieg füllt unsere Seelen, und es gibt nichts, das uns den deutschen Krieg vergessen macht. Ich sah auf den Höhen und in den Tälern der Eifel die Ruinen vieler Burgen, wußte, daß diese Trümmer ewige Schwurzeugen französischer Zerstörungswollust sind, und ballte die Fäuste, weil ich an die heulende und verleumderische Meute dachte, die heute unsere tapferen und ehrlichen Soldaten schmäht und beschimpft, weil ihr Heldentum den schrecklichen Krieg weit über die deutschen Grenzen hinaus ins feindliche Land getragen hat. Ich sah, wie auf den kargen Aeckern die Frauen arbeiteten, mit stillen, ernsten Gesichtern hinterm Pfluge schritten oder mühsam und geduldig mit der Spitzhacke das harte Erdreich für die Saat bearbeiteten, unermüdlich, vom fahlen Morgen bis zum Abend, der sich hier mit unvergleichlicher Schönheit auf die grünen Kuppen senkt und ich dachte an die Männer und Brüder dieser Frauen, an die Schar der Helden, die weit draußen eine unzerstörbare, lebendige Mauer aufgebaut haben, um Abend und Abendfrieden der Zurückgebliebenen zu schützen.

Die Menschen der Eifel, in der Nähe der Grenze, haben zu Anfang des Krieges viel Angst um ihre Scholle ausgestanden. Wilde Gerüchte schwirrten, wie überall, von Mund zu Mund. Da wußten die Leute von Oberkail, daß französische Reiterpatrouillen auf der Bittburger Landstraße an der luxemburgischen Grenze gesehen worden seien und die Leute von Kyllburg erzählten sich voller Schrecken, daß deutsche Regimenter in der Nähe von Trier eine große Niederlage erlitten hätten und daß die Franzosen in vollem Anmarsch seien. Da rannte die Angst von Dorf zu Dorf. Ein Wirtstöchterlein sagte mir, daß sie in den Augusttagen immer ihre Sonntagskleider getragen hätten, um bei der Flucht wenigstens dauerhafte und gute Kleider zu haben. Aber sehr bald kam die Beruhigung, und als man beinahe Tag um Tag die Siegesfahne ins Turmloch der Kirche stecken durfte, da machten sich die Leute von Bittburg. Kyllburg, Oberkail, Schwarzenborn und Manderscheid mit Ernst und Gelassenheit wieder an die gewohnte Arbeit. Und heute herrscht überall ruhige Zuversicht und geduldiges Abwarten und wo die Trauer einkehrte, ist kein lautes Klagen und Jammern. In den kleinsten Dörfern ist die Zuversicht auf den deutschen Sieg unzerstörbar, und die Gewißheit wird immer aufs neue gestärkt, wenn die Eifelsöhne zu kurzem Urlaub heimkehren und in den niedrigen Wirtsstuben bei Bittburger Bier oder Wein von der Mosel von den großen Taten da draußen erzählen. Die Einschränkungen in der Lebensweise nehmen die Eifelleute mit Selbstverständlichkeit hin. Ich war in einem Wirtshaus, wo sich ein alter Bauer über die hohen Futterpreise. den Hafermangel und das teuer gewordene Brot bitterlich beklagte. Da standen die Männer, die an den Tischen saßen, einmütig und zornig gegen den Bauern auf, sprangen ihm fast an die Gurgel und riefen:

„Wir opfern unsere Söhne und du schimpfst über teures Futter und Brot?“

Der alte Bauer mußte gehen, man duldete ihn nicht länger am Tisch.

Ich war in E., einem kleinen, armen Dorf im lieblichen Salmtal (anm. es handel sich dabei um Eisenschmitt), wundervoll hingeschmiegt an grüne Bergwiesen und an die Ausläufer des finsteren Kunowaldes, in dem vor Jahrzehnten der Schinderhannes sein räuberisches Handwerk trieb. Da raunte mir einer zu, dieses E. sei das „Weiberdorf“ der Viebig, aber man dürfe es nicht laut sagen, denn die Leute von E. trügen einen ewigen Groll gegen die Dichterin im Herzen, die so seltsame Dinge von ihnen erzählt hat. Ich las an Ort und Stelle die berühmte Geschichte von den Frauen dieses Eifeldorfes, die ihre Männer nach Westfalen in die Eisenhütten schickten und allein im Dorf zurückblieben, allein mit ihren hungrigen Herzen und dem freundlich gefälligen Allerweltskerl und Falschmünzer Pittchen. Aber schöner als die Fabel, deren Echtheit mir immer wieder im Vertrauen versichert wurde, war. was Clara Viebig hier und in ihren anderen Büchern von den Schönheiten ihrer Eifelheimat und von der besonderen Art der Menschen zu erzählen wußte. Ich kam aus frischem Erleben und fand alles wieder in diesen Büchern. Das Land wurde wunderbar lebendig: die ergreifende Stille der Maare, die kargen Aecker, an deren Rändern so viele fromme Kapellchen stehen, „Fußfällchen“, wie man sie hier nennt, die rauschenden Wälder, die Berge mit ihren Burgruinen, die rauhen Heidehöhen, über die ein ewiger Wind braust, die kleinen Flüsse, die sich in tausend Krümmungen durch die engen Täler winden, und die fröhlichen und fleißigen Menschen, die den Boden ihrer Heimat küssen, wenn sie lange von ihm getrennt waren.

Auch heute ist’s wieder still im kleinen Eifeldorf. Die Männer sind weg, die Frauen und Kinder hüten allein Haus und Acker. Damals zogen die Männer aus, um in den Fabriken Westfalens das Eisen zu schmelzen und zu schmieden. Heute stehen sie draußen, in Feindesland, Mann neben Mann, und schirmen ihre Heimat mit dem Eisen in der Faust …

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