Erzählung/Gedicht/Lied

Der Pelzmantel – ein Studentenerlebnis

Quelle: Jeversches Wochenblatt, 9. Januar 1926, S.8

von Heinz Ludwig Naymann.

Anmerkung: Dieser Studenten-Schwank erschien in diversen Wochenzeitungen. Der Protagonist, ein Franz Knies aus Kyllburg (Eifel), scheint keine real existierende Person zu sein. Da aber Kyllburg als sein Heimatort genannt wird, möchte ich diesen Text auf dieser Webseite präsentieren. Der Schwank spielt in der Universitätsstadt Bonn zur Jahrhundertwende.

Durch das schmale Grabengäßchen der rheinischen Universitätsstadt schritt lässig ein vornehmer Herr; er trug einen eleganten dunklen Mantel mit breitem Sealotterkragen und Nerzfütterung. Die Hosen waren kunstvoll messerscharf gekniffen; weiße Nelke im Knopfloch, Bambusrohr mit Silberknopf. Einglas funkelte feudal.

Dieser vornehme Herr hielt vor einem speckig aussehenden Hause, daran zu lesen war: Anton Suppengrün — Alte Kleider. Er stieß eine schiefhängende Glastür auf, eine Schelle wimmerte und Geruch von altem Gerümpel, Leder und Mäusen stand wie ein Satan vor ihm aus. Man erblickte vorsintflutliche Kommoden, Kinderwagen, rostige Geschirre, knallige Bilder. An der Decke baumelten ausgesessene Hosen wie Gehenkte.

Ein grauverfilztes Männchen erschien eilfertig:

„Was münschen der Herr Baron?“

„Wohnt hier der Studienbeflissene einer hohen Philosophie Schimmer?“

„Jawohl, Herr Baron, bitte hier herauf!“

Das Männchen zeigte auf eine Leiter, die steil zwischen den gehenkten Hosen hindurch in eine Luke mündete.

„Sagen Sie mal, ich bin doch nicht im akademischen Turnverein! Was muten Sie mir zu?“

„Schlechte Zeiten, Herr Baron!“

Der vornehme Herr nahm den Stock zwischen die Zähne und kletterte hinauf. Oben stieß er eine Tür, hinter der jemand laut Verse skandierte, auf und trat in eine Kammer mit Dachfensterbeleuchtung. Ein kleiner, dicker Studiker sprang erschreckt hoch:

„Wie kommt mir dieser Glanz in meine Hütte? Franz bist Du es? Oder sind Sie ein Geheimer Kommerzienrat?“

„Josef, fasse Dich, ich bins. Ich wollte. Dich zu einem Bummel abholen“.

„Sag mal, Mensch, wie kommst Du an den feudalen Mantel?“

„Habe ich beim Althändler billig gekauft. Feine Sache. Scheint aus einem Diebstahl berzurühren. Es steht noch ein goldgestickter Namenszug mit Grafenkrone drin“.

Franz Knies aus Kyllburg (Eifel), der vornehme Herr, setzte sich auf die Bettkante und zündete sich eine Zigarette an.

„Franz, ich muß wieder ausziehen, denn — halt Dich fest — drüben, grad gegenüber, wohnt unser Freund, Notar Knispel!“

Knies fuhr wie gestochen in die Höhe

„Was sagst Du? Knispel? Wo?“

„Gerade gegenüber. Ich habe mir bereits Heuers Gehrock und Zylinder gepumpt. Wir wollen ihm unsern Abschiedsbesuch machen“.

Die beiden kletterten hinunter und traten drüben ins Notariat. Als sie ihren Namen nannten, fuhr das ganze Büro wie elektrisiert in die Höhe und der Justizrat rief: „Aha, endlich kommen Sie!“ Dann meinte er väterlich: „Konnten Sie diese 100 Mark nicht gleich zahlen oder doch in Raten? Nun sind bereits 270 Mark Unkosten dazugekommen. Das hätten Sie sich sparen können und mir die Mühe, Sie wegen dieser lumpigen Summe fast ein Jahr lang durch alle Hochschulen Deutschlands und der Schweiz zu verfolgen und zu suchen. Nun, wie gedenken. Sie diese Schuldsumme zu erledigen?“

Schimmer riß sich hoch, der Zylinder warf glänzende Reflexe: „Verzeihung, Herr Justizrat, dazu sind wir nicht gekommen. Ich wollte Ihnen nur meinen Abschiedsbesuch machen, da ich Ihnen bereits sechs Monate gegenüber wohne, bei Suppengrüns Anton, und ich konnte nicht umhin, aus alter Nachbarschaft und weil ich jetzt nach Amerika fahre… Sie verstehen! Auf Wiedersehn, Herr Justizrat!“

Die beiden verließen schnell das Lokal, den ohnmächtig gewordenen Knispel in seinem verdatterten Büro und seinem Schicksal zurücklassend. Sie schritten rasch durch die düstere Gasse in die helle Hauptstraße, wo im Schein von Bogenlampen Menschen bummelten, radelten, rasten, wo im Glitzerscheine großer Schaufenster bleiche Mädchen noch blasser erschienen. Sie traten in ein Kaffeehaus. Im lichterprotzenden Saale schwiegen bei ihrem Erscheinen plötzlich alle Stimmen. Man hörte nur noch Geschirrgeklapper und das Summen der Ventilatoren.

Alles schaute zu ihnen hin, schätzte ein, steckte die Köpfe zusammen. Sie schritten erhaben durch das Lokal, ein Kielwasser von sprühenden Blicken hinter sich herziehend. Als Knies seinen Pelzmantel abgelegt hatte und der schäbige, verschlissene Anzug zu Vorschein kam, setzte sofort das volle laute Gespräch wieder ein. Sie saßen in einer Ecke und tranken ein bescheidenes Glas Bier. Niemand beachtete sie mehr. Der goldgestickte Namenszug mit der Grafenkrone leuchtete still über ihnen.

Knies kam eleganten Schrittes über die Poppelsdorfer Allee. Es begann zu dämmern. Bogenlampen flammten aus. Ein Studentenlied stieg weinselig in die Luft. SCer (anm. Studenten-Corpsler) kamen, Hoheit unter ihnen. Knies Mantel war vorn etwas zurückgeschlagen, so daß man Namenszug und Krone goldig flimmern sah. Als die Studenten an Knies vorübergingen, blieb Hoheit plötzlich stehen, kam auf Knies zu: „Ab, steh da. Graf Gerlach! Wie mich das freut. Sie hier zu treffen, lieber Gerlach. Ich wußte gar nicht, dass Sie sich in unserer Musenstadt aufhalten. Kommen Sie mit auf unser Haus, das muß gefeiert werden!“

Ehe Knies antworten konnte, stellte Hoheit ihn den Korpsbrüdern als Graf Gerlach, Kamerad von den schwarzen Husaren, vor. Dann nahm Hoheit Knies rechten Arm, ein Korpsbruder hakte sich links ein und dann gings im Triumph mit dem vor Entsetzen und Ehrfurcht platten Knies zum Korpshaus.

Dort wurden schwere Batterien Wein aufgefahren und die schon sehr angeregte Stimmung stieg zu den heitersten Höhen. Knies erhob sich langsam, bemerkte, daß er noch nicht zu Wort gekommen wäre, kein Graf, sondern der Stud. phil. Franz Knies aus Kyllburg (Eifel) wäre. Alles lachte und schrie: „Sehr gut, sehr gut, kennen wir, Herr Graf! Inkognito von regimentswegen. Alles schon dagewesen!“

Knies sträubte sich, schrie, gestikulierte, sprach in Hexametern in das wahnsinnige Gelächter und Gerufe der Studenten. Er bewirkte nur, daß das Ganze in ein strömendes Sektgelage ausartete — von stimmungswegen, und daß er am nächsten Morgen ebenfalls ganz inkognito auf einer Bank in den Rheinanlagen aufwachte, ohne Hut und Stock, aber mit einem selten schönen Haarspitzenweh und dem angenehmen Bewußtsein, vornehm gewirkt zu haben. Alles verschuldete dieser Mantel!

Knies und Schimmer machten ihren Abendbummel. Die Anlagen waren sehr belebt. Der Pelz

mantel verfehlte nicht seine Wirkung. Blicke glänzten auf, flirteten; elegante Köpfe drehten sich halb herum. Am Denkmal trafen sie Ilse und Mimi. Sehr schick, ein wenig Puder, Kohle, Parfüm — man sah jedenfalls nicht, daß sie Schneiderinnen waren. Beim Weiterbummeln fluchte Schimmer leise in sich hinein, da der feudale Pelzmantel die beiden Mädchen magisch zu Knies hinzog, indes er unscheinbar, verloren nebenher trottete. Bis plötzlich ein älterer Herr in Zylinder, feinster Kleidung, Einglas am Band, vor ihnen stehen blieb und starr auf Knies’ Mantel schaute. Knies drehte sich langsam zu Schimmer herum:

„Was mag der wollen …?“

„Ich habe keinen Schimmer!“

„Mein Herr“, sagte der Unbekannte in strengem Ton, „wie kommen Sie zu diesem Mantel? Können Sie sich über seine Herkunft ausweisen?“

Knies blickte ihn von oben nach unten und von unten nach oben mit unglaublicher Verachtung an. Dann zog er seine Brieftasche heraus, nahm eine Karte, bog die bewußte Ecke ein und überreichte sie wortlos dem erstaunten Herrn. Der konnte nicht anders, nahm seine Karte und Knies las: Arthur Friedrich Graf Hennisberg … Donnerkiel, dachte er, das stimmte ja mit den Buchstaben im Mantel überein. Das kam Knies immerhin komisch vor.

„Gestatten Herr Graf ein Wort zur Aufklärung. Diesen Mantel habe ich in der Althandlung von Leopold Rosenwasser für achtzig Mark gekauft“

„Was? Gekauft und für achtzig Mark …! Mensch, achtzehnhundert hat er gekostet!“

Schimmer lüftete seinen Gamsbarthut:

„Gestatten: Schimmer! Ich kann die Wahrheit der Aussage meines Kommilitonen bestätigen. Es scheint sich hier, wie mir schimmert, um ein Mißverständnis zu handeln“

„Meine Herren, das ist ja recht lustig! Darf ich Sie zu einer Flasche Wein einladen zur Feier des wiedergefundenen Mantels?“

Die Mädchen hatten sich inzwischen gedrückt, weil sie merkten, daß etwas nicht stimmte.

Man ging in ein kleines Weinlokal. Bei der ersten Flasche erzählte Graf Henntsberg, daß ihm ein solcher Mantel vor einiger Zeit im Theater gestohlen worden sei. Er habe vorhin geglaubt, seinen Mantel wiedererkannt zu haben. Aber die Herren möchten schon entschuldigen bei dieser fabelhaften Aehnlichkelt. Bei der zweiten Flasche erzählte Knies, unter welch glücklichen Auspizien (anm. Vorzeichen) er den Mantel bei Rosenwasser gekauft habe. Bei der dritten Pulle zeigte er dem Grafen den goldgestickten Namenszug mit der Krone. Da lachte der Graf unbändig: „Also doch der meine! Gottlob, daß er wieder da ist. Das muß begossen werden!“

Gegen fünf Uhr morgens schwankten die drei über die Koblenzerstraße, wo der Graf wohnte, Knies ohne Mantel. Er war nicht zu finden gewesen. Sie sangen mit rauher Kehle an dem schönen Lied vom Mantel: „Schier dreißig Jahre bist du alt“.

Die Straße war wegen Kanalbaues aufgerissen. Hügel schwarzer, klebriger Erde, die sehr klitschig war, häuften sich neben dem Bürgersteig. In der Nacht hatte es geregnet. Vor dem Hause des Grafen rutschte Schimmer aus und fiel mit Gesicht und Händen auf einen Erdhügel, die andern unwiderstehlich mit sich ziehend. Nach langer Zeit erhoben sie sich mühsam. Mit noch größerer Mühe gelangten sie endlich in die Wohnung. Als es gelungen war Licht anzuknipsen, schrien alle erschreckt auf und flüchteten voreinander.

Denn alle waren schwarz, tiefschwarz wie Neger und schmierig wie Pollacken. Schaudernd liefen sie in verschiedene Zimmer, wo sie fluchend, lachend, weinend — je nach Temperament — friedlich einschliefen.

Am Morgen sahen die Erdarbeiter zu ihrem Erstaunen drei Hüte, zwei Spazierstöcke und eine Zigarrentasche auf dem zertretenen Erdhaufen liegen. Der Pelzmantel aber ward nicht mehr gesehen. Er schien schon wieder gestohlen. Das war ja weiter nicht komisch. denn das schien ihm angeboren.

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