Der Kyllburger, im Volksmund auch Schmino genannt, ist ein ganz besonderer Mensch. Natürlich sieht er sich selbst anders als die Bewohner anderer Orte. Diese sagen den Kyllburgern nach, sie seien arrogant und bildeten sich ein, in einer Stadt zu leben. Das sind ganz klare Klischees, die nichts mit der Realität zu tun haben.
Als richtige Städter können und wollen sich die Kyllburger nicht fühlen, denn ihr Städtchen zählt keine 900 Einwohner. Wie es zur Verleihung der Stadtrechte kam, werde ich an anderer Stelle beschreiben. Dennoch unterscheidet sich Kyllburg deutlich von den umliegenden Gemeinden. Es gibt Ärzte, eine Apotheke, mehrere Kirchen, Banken, Hotels und Gaststätten. Die Bebauung ist weniger ländlich – geschlossene Häuserzeilen mit mehrstöckigen Gebäuden und im Erdgeschoss jeweils ein oft verwaistes Ladenlokal. Relikte einer längst vergangenen Blütezeit. Der Aufschwung der Stadt kam mit dem Bau der Eisenbahn. Gäste aus dem Ruhrgebiet suchten Erholung in der klaren Eifelluft und strömten zur Sommerfrische in das Städtchen. Hotels und Geschäfte entstanden. Kyllburg wuchs. Arbeitsplätze gab es reichlich. Die Gäste wurden in Kyllburg freundlich empfangen. Kyllburg und seine Bewohner zeigten sich weltoffen. Das ist bis heute so geblieben. Aus Fremden werden hier schnell Freunde. Doch irgendwann war es vorbei mit dem regen Gästetreiben. Mit dem Individualverkehr verlor die Eisenbahn an Bedeutung und die Gäste suchten sich exotischere Ziele. Hotels, Gaststätten und Geschäfte schlossen nach und nach und Kyllburg versank in einen Dornröschenschlaf.
Jahrzehntelang hatten die Kyllburger dem Ausbluten ihres einst so blühenden Städtchens tatenlos zugesehen, bis man vor einigen Jahren endlich die Hände aus der sprichwörtlichen Buxentasch‘ nahm, um etwas gegen den Niedergang zu tun. Ja, das können die Kyllburger, gemeinsam etwas auf die Beine stellen. Und wenn es ums Feiern geht, sind sie fast unschlagbar. Das liegt vor allem an dem gesunden und regen Vereinsleben im Ort.
Da gibt es die Freiwillige Feuerwehr, den Musikverein, den Sportverein, das Männerquartett und den Kirchenchor, die Freunde der Kyllburger Stiftskirche, den Eifelverein, den Verein für Toleranz und Brauchtumspflege und natürlich den Karnevalsverein. Das sind neun eingetragene Vereine in einem winzigen Städtchen und ein zehnter kommt noch hinzu, quasi als Dachverband, nämlich dann, wenn sich alle Vereine in Kyllburg Verein(t) zusammenschließen, um gemeinsam die große Kyllburger Kirmes zu stemmen.
Überhaupt sind die Kyllburger kulturell sehr aktiv. Seit es die Initiative gegen den Ladenleerstand gibt, finden zahlreiche Ausstellungen, Lesungen und Konzerte in den ehemaligen Geschäften statt. Auch die Musikvereine veranstalten regelmäßig eigene Konzerte, die gut besucht sind.
Um 1885 verfasste der Kyllburger Pfarrer Christian Müller eine kleine Schrift mit dem Titel „Charakter des Volkes“, in der er versuchte, die Kyllburger zu beschreiben:
Der Kilburger ist urgemütlich, ruhig, bedachtsam in seinen Unternehmungen und streng hält er fest an alten Sitten und Gebräuchen; Neuerungen liebt er nicht und ist zu solchen nur sehr schwer zu bewegen. Vereine und Dergleichen können nur langsam entstehen, und ist seitens der Gründer die größte Ausdauer erforderlich, die Nützlichkeit und Notwendigkeit dieser Neuerungen einsehend, kann er doch von seinem Phlegma nicht Abschied nehmen und die gute Sache unterstützen. An Ordnung ist er nicht zu gewöhnen – „ad libitum“ ist sein Wahlspruch. Gilt es aber den „Bajazz“, wie Herr Dechant Kröll zu sagen pflegte, zu machen, dann lebt Kilburg auf, kein Opfer ist ihm zu groß. Tag und Nacht werden darauf verwandt ihr Sinnen und Trachten zu verwirklichen. Dieses zeigte sich besonders während der Faschingszeit; eingeleitet, ausgeführt und begraben musste die selbe werden, sonst war man nicht zufrieden. Die carnevalistischen Aufzüge Kilburgs hatten von jeher bedeutenden Ruf und lockten sehr viel Volk an. Ein Lehrer über die Sitten und Gebräuche Kilburgs befragt, antwortete: „In Kilburg ist es Fastnacht von Aschermittwoch bis Fastnachtsonntag.“
Und einiges von dem Beschriebenen trifft auch heute noch auf die Kyllburger zu: Sie sind gemütlich, ruhig und besonnen, sie halten an ihrem Brauchtum fest und sie können immer noch besonders gut Karneval feiern.
Bleibt noch zu klären, warum die gemütlichen und weltoffenen Kyllburger Schminos heißen. Dazu müssen wir ins Mittelalter zurückgehen. Schmino ist der Sage nach der Ritter der Burg Kyllburg, dem es gelang, den verfeindeten Kuno von der benachbarten Burg Malberg in Schach zu halten. Er gilt als Stammvater aller Kyllburger.
In Wirklichkeit war dieser Schmino nie eine real existierende Person. Vielmehr geht der Name auf ein Schimpfwort der Malberger für die Kyllburger zurück.
Schmino leitet sich vom jiddischen Wort schmiro für Wächter ab. Daher kommt auch der deutsche Ausdruck „Schmiere stehen“ für „aufpassen, Wache halten“. Die Kyllburger mit ihrer Burg waren also die Wächter über den streitsüchtigen Raubritter Rudolph im benachbarten Malberg.
Das Verhältnis zwischen Kyllburgern und Malbergern werde ich bei Gelegenheit erläutern. Ich möchte hier mit einem passenden Witz schließen:
Der liebe Gott ist seit 6 Tagen nicht mehr gesehen worden. Am 7. Tag findet der hl. Petrus Gott und fragt: „Wo warst du denn in der letzten Woche?“ Gott zeigt nach unten durch die Wolken und sagt stolz: „Schau mal was ich gemacht habe!“ Petrus guckt nach unten und fragt: „Was ist das?“ Gott antwortet: „Es ist ein Planet und ich habe Leben darauf gesetzt. Ich werde es Erde nennen und es wird ein Ort völligen Gleichgewichts sein.“ „Gleichgewicht?“, fragt Petrus. Gott erklärt, während er auf unterschiedliche Stellen der Erde zeigt: „Zum Beispiel: – Nordamerika wird sehr wohlhabend, aber Südamerika sehr arm sein. – Dort habe ich einen Kontinent mit weißen Leuten, hier mit Schwarzen. – Manche Länder werden sehr warm und trocken, andere werden mit dickem Eis bedeckt sein.“ Petrus ist von Gottes Arbeit sehr beeindruckt. Er guckt sich die Erde genauer an und fragt: „Und was ist das hier?“ „Das“, sagt Gott stolz, „Das ist Kyllburg. Der schönste Fleck auf der ganzen Erde. Da leben nette Menschen umgeben von herrlichen Wäldern. Die Menschen werden trinkfestest sein und Kyllburg wird ein Zentrum der Kultur und Geselligkeit werden. Die Leute in Kyllburg werden nicht nur schöner, sie werden intelligenter, humorvoller und geschickter sein. Sie werden sehr gesellig, fleißig und leistungsfähig sein.“ Petrus ist zutiefst beeindruckt, fragt Gott jedoch: „Aber was ist mit dem Gleichgewicht? Du hast doch gesagt, überall wird Gleichgewicht sein!“ „Mach dir keine Sorgen“, sagt Gott, „…gleich nebenan ist Malberg!“