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Perspektivwechsel

„Das ist doch schrecklich!“ – „Wie kann man so was machen/genehmigen?“ – „Was denken die sich dabei?“
Erinnert ihr euch noch an vergangenes Jahr, als im Dauberg die Forstarbeiter anrückten und den haben Berg entwaldeten? Dann erinnert ihr euch auch an diese oder ähnliche Kommentare, die kurz darauf laut wurden. Ich muss zugeben, dass ich nicht zu den Befürwortern von Kahlschlag und Co. gehöre. Mir fehlt Fachwissen bezüglich Zweck und Nutzen derartiger forstwirtschaftlicher Maßnahmen. Dennoch möchte ich einen Anreiz geben eingefahrene Denkweisen und Sehgewohnheiten zu verlassen und aus derartigen Kahlschlag-Situationen einen Nutzen zu ziehen.
Vor ein paar Tagen hatte ich endlich wieder Zeit für einen etwas ausgedehnteren Spaziergang. Man sollte das eigentlich deutlich öfter tun, aber der innere Schweinehund… – ach, wem erzähl ich das?
Nun, das Wetter war gut. Der Frühling strebte mit aller Gewalt zum Ausbruch. Dies ist ein Phänomen, das ich jedes Jahr aufs Neue beobachte und das mich immer wieder beeindruckt. Innerhalb weniger Tage wird aus einer tristen, grauen Landschaft ein grünes Blättermeer. Da ich gerne die bauliche Gesamtsituation dokumentiere, und dabei nicht auf die Bildkomposition achten muss, meide ich in der Regel Jahreszeiten mit vollem Blätterwerk. Ohne belaubtes Geäst bieten sich deutlich mehr Möglichkeiten zur Fotodokumentation.
Um nun zurück zu kommen auf die Kahlschlagstelle gegenüber vom Eifeler Hof, auch wenn ich, wie schon erwähnt, kein Freund derartiger Landschaftsgestaltungen bin, so reizte mich dennoch die Möglichkeit längst vergessene Aussichten wieder zu entdecken.
Zunächst war mein Plan, den Abstecher zum Umsetzer zusammen mit Dackel Daisy zu bewältigen. Dieser Hund gehört jedoch zu einer Art von Gassiverweigerern, die mir bislang noch nicht begegnet ist. Somit begab ich mich solo auf die beschwerliche Fußreise.
Selbstredend verließ ich Wilsecker über die Kyllburger Straße. Ist euch bewusst, dass nahezu jeder Ort im Umfeld eine Kyllburger Straße hat? Weiter ging es links vorbei an der alt-ehrwürdigen Wilsecker Linde (ich empfehle den passenden Artikel dazu zu lesen). Was dem normalen Wanderer nicht auffällt ist, dass mittlerweile sämtliche Überland-Leitungen verschwunden sind. Im Etteldorf-Wilsecker-Raum wurden vor zwei Jahren sämtliche Stromleitungen unterirdisch verlegt. Dies kommt der Landschaft zugute. Lediglich ein kleines weißes Verteilerhäuschen zeigt die alte Stromtrasse an. Dieses Häuschen links liegen lassend, zweige ich in eine hole Gasse ab. Uralte Eichen strecken ihre Zweige über einen, sonst nur von Traktoren befahrenen Feldweg. Rechts, ein altes Wegkreuz. Dann öffnet sich der Weg zu einer weiten Wiese. Einer meiner liebsten Orten in der Kyllburger Umgebung. Unbeobachtet von jedem Auge schaut man hier auf den Stiftsberg. Man sieht die Stiftskirche parallel zum Westportal. Der Burgturm, das Pfarrhaus und selbst die Kirchen im Ortszentrum sind von hier aus sichtbar. Ich gehe weiter. Die Wiese sollte bald gemäht werden und während ich diese Zeilen schreibe, wird sie es. Weiter Richtung Umsetzer. Heute ist niemandem mehr die einstige Wichtigkeit dieses Stahlgerüsts bewusst. Zu Zeiten von Satelitenfernsehn und Internetstreamings, weiß niemand diese Konstruktion zu schätzen. Jedoch zu Zeiten des Schwarz-Weiß-Fernsehns gab es sprichwörtlichen Mord und Totschlag, wenn der Fernsehempfang mal nicht optimal war.

Hier beginnt nun langsam die Perspektive, auf die ich in diesem Artikel hinaus möchte. Der Wald lichtet sich. Zwischen den Bäumen blitzt immer wieder ein Stück Stiftstraße hervor. Ich gehe weiter. Ich muss den Weg verlassen und ein wenig den Hang hinunter klettern. Noch ein bisschen tiefen. Ach, der Baum stört noch. Mehr links, tiefer – Mist! Dornen! Jetzt! Mir wird gerade bewusst, dass ich einen Ort erreicht habe, den seit über 100 Jahren niemand zum Fotografieren benutzen konnte, weil… Ja, weil hier seit 100 Jahren auf den ehemaligen Hopfenterrassen ein Wald stand. Dieser Wald ist das Zeugnis eines Wandels. Der Wandel weg vom Hopfenanbau, hin zum Tourismus.
Nun steht Kyllburg vor einem weiteren Wandel. Die Zeiten des Tourismus sind vorbei. Klar, es wird immer Menschen geben, die diesen bezaubernden Ort besuchen werden. Aber die Rheinländer und Ruhrpöttler werden nicht mehr zu Zehntausenden in den Ort strömen. Nie wieder. Der neue Wandel wird ein Wandel sein, hin zur Identifikation der Bürger mit ihrem Wohnort. Es gilt den Ort neu zu strukturieren, neu zu beleben und für eine dauerhafte Weiternutzung vorzubereiten.

Trotz des Bevölkerungsschwundes ist der Ort seit den 70er-Jahren immer weiter gewachsen. Lebten um 1950 fast 1300 Menschen in der Gemeinde, sind es heute keine 900 mehr. Und das bei einem guten Drittel mehr Wohnhäusern.
Der Ort zieht auch viele Leute an, die nicht aus der Gegend stammen. Ein recht hohe Zahl an Holländern findet den Ort so schön, das sie ihren Wohnwagen irgendwann gegen ein festes Häuschen tauschen. Das kommt dem Kampf gegen den Leerstand zugute.
Ich habe im Laufe der Zeit festgestellt, dass es, egal woher jemand stammt, ob gebürtiger Kyllburger oder Zugezogener, es immer einen festen Prozentsatz von ca. 40 gibt, der sich am Gemeindeleben beteiligt, 60% siehst du auf keiner Veranstaltung. Ähnlich verhält es sich bezüglich des Engagements in den örtlichen Vereinen. Jedoch ist da das Prozentverhältnis noch ungünstiger – leider.
Doch warum ist das so? Und war es schon immer so? Liegt es an den Personen selbst, oder an der Nachbarschaft? In einhundert Jahren Tourismus haben die Kyllburger gelernt auf Fremde zuzugehen. Als Sammler alter Postkarten habe ich unzählige Urlaubsgrüße gelesen. Der Tenor: Es ist hier schön. Die Menschen sind sehr nett. Wir wurden freundlich aufgenommen. Das Essen ist großartig. Das Wetter… nun das scheint tatsächlich vom Wetter abzuhängen. Das zeigt mir aber, dass die Kyllburger eigentlich sehr offen, sehr gastfreundlich, sehr sympatisch sind. Daran kann es doch nicht liegen. Was fehlt, ist scheinbar bei vielen die Identifikation mit dem Ort. Es braucht ein gewisses Selbstverständnis ein Kyllburger zu sein. Wenn man das hat, ist man auch bereit sich vor Ort zu engagieren, Kyllburg weiter zu bringen und ein Stück weit selbst Kyllburg zu sein.
Dies heißt für jeden, der schon Kyllburg ist, dass er seinen Nächsten anstecken muss mit dem Kyllburg-Virus. Geht doch einfach mal hin zu eurem neuen Nachbarn. Ladet ihn ein auf ein Bier, trinkt es eventuell zusammen in der Kneipe. Zeigt ihm die schönsten Ecken der Stadt und erzählt von euren Erlebnissen hier. Nehmt ihn mit in euren Verein, macht ihn bekannt mit anderen Kyllburgern. Manchmal braucht es nur eine Hand, die einem gereicht wird, der Rest geschieht von allein.

Der Wald am Dauberg wird wieder nachwachsen. Ihr werdet euch wundern, wie schnell das geht. Und wer weiß, vielleicht steht dann in hundert Jahren wieder ein Kahlschlag an. Ich hoffe, dass sich dann dem Auge immer noch diese prächtige Perspektive bietet. Dass der Wanderer keine Geisterstadt erblickt, sondern einen Ort voller Leben. Voraussetzung ist: wir schaffen den Wandel hin zu einem Kyllburg der Kyllburger. Da spielt es keine Rolle woher du eigentlich kommst. Hauptsache ist, du machst den Ort zu deiner Heimat und füllst ihn mit Seele und Leben.

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