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Mord am Annenberg

Arbeiten am Dechentunnel bei Kyllburg

Mord und Totschlag in der Eifel sind ein beliebtes Thema bei den Eifelkrimi-Autoren. Ist es doch gerade das beschauliche und friedliche Landleben, das in gewolltem Kontrast zu den abscheulichen Verbrechen steht, die in den Eifelkrimis beschrieben werden. Nach dem Lesen dieser Geschichten wird der ein oder andere denken: „Zum Glück war das nur eine ausgedachte Geschichte. In der heilen Welt der Eifel gibt es das nicht in Echt!“

Weit gefehlt!

Das nun folgende Verbrechen hat tatsächlich stattgefunden und die Geschichte hat alles, was ein guter Krimi braucht: Mehrere Tote und ein zwielichtiger Täter.
Lasst mich nun berichten, was sich dereinst in Kyllburg zutrug. Die Dialoge sind frei erfunden. Die handelnden Personen und Orte, sowie die Geschehnisse entsprechen jedoch den tatsächlichen Begebenheiten.

Wir schreiben das Jahr 1903. Leonard Bach, ein 16jähriger Schmiedelehrling aus Malberg hat von seinem Meister den Auftrag bekommen, zur Baustelle am Dechentunnel zu gehen und die Arbeiter dort mit frisch geschärftem Steinmetzwerkzeug zu beliefern. Leonard kennt den Weg zum Dechentunnel gut. In den letzten Wochen ist fast täglich die 3 Kilometer bis zur Tunnelbaustelle gelaufen. Der kürzeste Weg führt die Hillstraße hoch, an der Adolf Hütte vorbei, über den Bergrücken und auf der anderen Seite wieder runter ins Kylltal. Die Strecke ist gut in einer dreiviertel Stunde zu schaffen, wenn er läuft ist er sogar noch schneller und hat dann etwas Zeit, den Tunnelbauern bei ihrer Arbeit zuzusehen. „Die Männer sind nicht zu beneiden,“ denkt er. Besonders in der Mitte des Tunnels, wo es besonders dunkel ist, würde Leonard nicht gerne arbeiten müssen. Einmal hatte er gesehen, wie der Fahrtwind, einer vorbeirasenden Dampflok, einen der Arbeiter vom Gerüst gerissen hat. Der Mann brach sich ein Bein und hatte noch Glück, dass er nicht unter die Räder der Eisenbahn geriet. Was die Tunnelarbeit noch erschwert ist der Qualm der Loks, der im Tunnel stehen bleibt.

Die Tunnelarbeiter, es dürften an die 20 Mann sein, sind angerückt, um das Gewölbe des Tunnels zu sichern. Seit die Tunnels vor über 30 Jahren gebaut wurden, ist immer wieder Wasser von oben eingedrungen und hat den Mörtel aufgeweicht, der nun stellenweise von der Decke fällt. Seit zwei Monaten sind die Arbeiter nun dabei, den Putz, der gut 180 Meter langen Tunneldecke, abzuschlagen und neu aufzutragen. Besonders interessant findet Leonard, dass die Männer aus aller Welt stammen. Da ist zum Beispiel der François aus einem kleinen Dorf bei Metz, Charles aus Liverpool und Heinrich, den alle nur bei seinem Nachnamen „Pizzi“ nennen, der aus einem Dorf irgendwo südlich von Tirol stammt.
Die Arbeiter unterhalten sich in einem Kauderwelsch aus Deutsch, gemischt mit Wörtern aus Sprachen, die Leonard nicht versteht.

Heute, am 3. November, herrscht recht mildes Wetter. Leonard gerät in Schwitzen, da er sich beeilen muss. Sein Meister sagte, er müsse auf jeden Fall bis 12 Uhr zurück sein, da noch ein weiterer Botengang auf ihn warte. Und jetzt ist es schon viertel nach zehn. Der Weg, die Hillstraße hinauf, ist sehr steil. Auf der rechten Seite kann er den Nachbarort Kyllburg sehen, der malerisch in der leicht nebeligen Atmosphäre schimmert. Vor ihm taucht langsam die kleine Schutzhütte auf, wenn er diese passiert, hat er in Kürze den höchsten Punkt des Annenberges erreicht. Danach geht es nur noch bergab.

Doch was liegt da unweit der Hütte? Ein unförmiges Bündel schiebt sich in sein Sichtfeld. Beim Näherkommen wird die böse Vorahnung zur Gewissheit. Es ist der leblose Körper eines Mannes. Das Gesicht ist verschmutzt von Blut und Dreck. Aus zahllosen Wunden am Körper ist das Blut ausgetreten und zieht eine rot-glänzende Spur den Weg hinab. Leonards Puls beschleunigt sich. Er atmet schnell. Diesmal nicht von der Anstrengung den Berg zu besteigen, sondern, weil die Angst voll und ganz Besitz von ihm ergreift. Er lässt die Tasche mit den Meißeln fallen und rennt, als wäre der Teufel hinter ihm her, den Berg wieder hinab. Die Panik steht ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben, als er die ersten Häuser Malbergs erreicht. Wie wild hämmert er an eine Tür. Der Mann, der ihm öffnet, ist zunächst nicht in der Lage das Gestammel des Jungen zu verstehen. Erst als dieser etwas zu Atem kommt, kann er sich verständlich machen und von dem Toten erzählen, der oben am Ende der Straße am Straßenrand liegt.

Sofort werden Leute zusammengetrommelt, die zum Tatort eilen. Leonard wird zum Pastor geschickt und soll anschließend den Bürgermeister informieren. Die Kunde von der Schreckenstat verteilt sich wie ein Lauffeuer.

Gegen Mittag macht sich der pensionierte Steuerrendant Herr Wicking auf zu seinem täglichen Spaziergang, nichts ahnend von den schrecklichen Geschehnissen in der Nähe. Das milde Spätherbstwetter veranlasst ihn heute eine etwas größere Runde zu drehen. Sein Weg führt ihn zunächst zur Mariensäule. Er genießt den malerischen Blick auf Kyllburg, der doch so sehr im Kontrast steht zu seinem etwas eintönigen Beruf als Steuerprüfer. Am höchsten Punkt des Bergsporns sieht er die ehrwürdige Stiftskirche, etwas rechts davon die Ruine der alten Burg. Darunter schlängelt sich in schmalen Gassen der Ort Kyllburg den Berg hinab, und alles wird umrahmt von der silbern schimmernden Kyll.

Herr Wicking löst nur ungern seinen Blick von der grandiosen Szenerie, aber er hat noch einen weiten Rückweg, den er über Malberg machen möchte. Für sein Alter ist er noch recht rüstig. Zwar macht sich der jahrzehntelange Tabakkonsum beim Atmen bemerkbar und sein Arzt rät ihm zudem seit Jahren etwas besser auf seine Ernährung zu achten und allzu fettige Speisen zu meiden. Aber er ist ein Genussmensch. Das gönnte er sich stets als Ausgleich zu den eintönigen Zahlenkolonnen, mit denen er in seinem Berufsleben konfrontiert war. Sei’s drum – frisch auf! Der Weg ist noch weit und nur noch halb so beschwerlich, wie der Aufstieg zur Mariensäule.

Auf dem Weg Richtung Malberg fällt ihm mit jedem Schritt das Atmen immer schwerer. Seltsam, ist der Weg hier doch eher flach und gut begehbar. Mehrmals muss er stehen bleiben, um nach Luft zu schnappen. In der Ferne sieht er eine große Menschenmenge, die aufgeregt rufend umeinander laufen. Ist es eine Prozession? Das kann nicht sein. Heute ist Dienstag, aber bei den Malbergern kann man nie sicher sein. Die feiern ihre eigenen Feste. Mittlerweile hat sich zu seinen Atemproblemen noch ein unangenehmes Stechen gesellt, das den Arm hinab zieht. Dennoch beeilt er sich die Menschengruppe zu erreichen, vielleicht kann ihm dort jemand helfen. Jemand aus der Gruppe erkennt den ankommenden Spaziergänger und läuft auf ihn zu. „Guten Tag, Herr Wicking, haben Sie schön gehört, was passiert ist? Der Jovys Fritz ist ermordet worden und liegt da im Dreck… Ist ihnen nicht gut? Sie sehen so blass aus.“ In diesem Moment bricht der alte Mann, dessen Leben aus Zahlen und Kalkulationen bestand, zusammen und ist auf der Stelle tot.

Als die Menge, die sich am Tatort versammelt hat, den zweiten Toten für diesen Tag entdeckt, wird der Tumult noch größer. Die mittlerweile eingetroffene Polizei hat alle Mühe, die aufgebrachten Menschen in Schacht zu halten, damit diese keine wertvollen Beweise am Tatort unachtsam vernichten. Der Arzt, der dem alten Mann direkt zur Hilfe geeilt war, muss, nachdem er nur noch den Tod des Finanzbeamten feststellen kann, zurück zur Menschengruppe, denn dort ist gerade eine Frau ohnmächtig geworden.

Die Kriminalpolizei aus Trier erscheint gegen 14 Uhr. Der leitende Beamte veranlasst sofort umfangreiche Zeugenbefragungen. Dabei stellt sich heraus, dass der Ermordete wenige Tage zuvor in einen heftigen Streit mit einem Gast geraten ist. Dieser war seit geraumer Zeit die Zeche schuldig. Es kam sogar zu einem Handgemenge, das nur mit Mühe von den anwesenden Gästen beendet werden konnte. Der Gast solle einer der fremden Arbeiter von der Tunnelbaustelle gewesen sein.

Durch weitere Befragungen verdichten sich die Hinweise auf eine bestimmte Person. In Tatverdacht gerät der Italiener Heinrich Pizzo. Nach ihm wird sofort eine Großfahndung eingeleitet. Bekannt ist, dass er ein Zimmer im Hause der Schwester des Ermordeten, Katharina May, gemietet hat. Man kann ihn in seiner Unterkunft festnehmen, gerade in dem Moment, da er die Koffer gepackt hat, um zu verschwinden. Man legt ihm Handschellen an und bringt ihn zum Verhör ins Untersuchungsgefängnis nach Trier.

Bei der Obduktion der Leiche werden 19 Stichwunden gezählt. Bei der Gerichtsverhandlung wurde Pizzo jedoch von den Geschworenen mangels Beweisen freigesprochen und aus der Haft entlassen.

Lebensdaten

Friedrich Jovy (*31. August 1852 in Kyllburg, †3. November 1903 in Kyllburg)

Katharina Jovy (*8. August 1839 in Kyllburg, † ? in Kyllburg), Schwester des Ermordeten, verheiratet am 14. Januar 1839 mit Matthias May

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