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Ich hab Rheuma

Grabstein Julius Dietz

Wenn man sich, wie ich, mit der Historie des Heimatortes beschäftigt, stößt man immer wieder auf, auf den ersten Blick, skurril anmutende Episoden. Wenn man jedoch eine Weile darüber nachdenkt, und versucht sich in die damalige Zeit zu versetzen, zeigt sich oft ein faszinierendes Bild der damaligen Zeit. Für ein “Schon gewusst…?”, das ich in ein paar Tagen veröffentlichen werde, bin ich etwas intensiver in die Zeit um 1890 eingetaucht. Die Hauptquelle für Überlieferungen aus dieser Zeit ist die Schulchronik. Diese wurde damals vom Lehrer Joseph Gerhard Embser recht gewissenhaft geführt und, wenn man zwischen den Zeilen liest, entfaltet sich vor dem inneren Auge eine recht interessante Randnotiz aus der Kyllburger Geschichte.

Der Lehrer Embser (geb. in Kimlingen, Kreis Merzig) wurde am 22. Dezember 1877 zum neuen Lehrer von Kyllburg ernannt. Er löste seinen pensionierten Vorgänger, Herrn Lehrer Hermann Joseph Justen ab. Scheinbar gab es von Anfang an Konflikte zwischen ihm und der Gemeindeverwaltung; im Besonderen mit der Person des Bürgermeisters. Heute würde man sagen, dass die Chemie zwischen Lehrer Embser und, dem insgesamt 35 Jahre regierenden Bürgermeister, Robert Julius Dietz nicht stimmte. Sämtliche Kommunikation zwischen den beiden scheint schriftlich verlaufen zu sein.

Hauptkritikpunkt des Lehrers war der schlechte Zustand des Schulsaales. Dieser befand sich dort, wo die meines Alters das alte Jugendheim lokalisieren würden. Gerade im Winter, es war nur ein kleiner Ofen vorhanden, für den jedes Kind das Brennholz selbst mitbringen musste, war der ca. 40 m² große Raum schlichtweg nicht bewohnbar. Schlechte, undichte Fenster und mangelhafte Isolierung machten den Schulsaal in Kälteperioden unbenutzbar.

Da ich es selbst nicht so treffend in Worte fassen kann, möchte ich gerne den Lehrer Embser selbst hier zitieren:

„Die Temperatur ist in hiesigem Knabenschulsaale sehr verschieden. Nach meiner tabellarischen Aufstellung welche ich an vierzehn verschiedenen Tagen aufstellte ergab, daß am Ofen (wo Kinder sitzen) der Durchschnittswärmegrad 20 betrug, während am Tische des Lehrers nur 12 ½ und in der Ecke zum Pfarrhause nur 9 bis 10 Grad betrug. Diesem Zustande habe ich auch meinen Bein-Rheumatismus zuzuschreiben, der mir das Gehen mitunter fast unmöglich macht; weshalb ich mich auch genötigt sah, zur kalten Jahreszeit, ja bisweilen auch noch im Mai & Juni Schuhe mit Holzsohlen während des Unterrichts zu tragen.
Eine dieserhalb an die Behörde eingereichte Beschwerde um Abhilfe hat bis jetzt keinen Erfolg, als einer unwesentlichen Reparatur im Knabenschulsaale – und daß ich mir den Herrn Bürgermeister Dietz zum Feind machte.“

Aufgrund der Tatsache, dass die Eingebungen des Lehrers zurückgewiesen wurden, brachte die zweite Lehrperson der Schule, Fräulein Eltges, eine Eingabe bei der Gemeinde ein. Sie war schlicht vom Wortlaut:

„Erw. Wohlgeboren zeige ich hiermit an, daß die Fenster in der Knabenschule nicht schließen und durch den kleinsten Druck von außen geöffnet werden können.
Achtungsvollst
gez. A. Eltges, Lehrerin.“

Die Antwort des Bürgermeisters würde ihn heutzutage seinen Posten kosten:

„Kilburg, den 14. Oktober 1890.
K. H. im dem Bemerken ergebenst zurückzusenden, daß Ihnen kein Recht zusteht, über Mängel in der Knabenschule Beschwerde zu erheben.
Der Bürgermeister.
gez. Dietz.“

Es gab noch weiteren Schriftverkehr. In der Folge wurde im darauffolgenden Jahr die Renovierung des Schulsaals in Angriff genommen. Der Fußboden, der bislang auf dem blanken Felsen auflag, wurde etwa einen Meter ausgeschachtet und mit Schlacke verfüllt. Das löste jedoch nicht das Problem der Raumfeuchtigkeit. So schrieb der Lehrer Embser in die Schulchronik: „Der Saal ist dadurch etwas wärmer geworden, jedoch ist die vorhandene Feuchtigkeit geblieben. Die entstandenen Kosten 800-1000 Mark hätte man besser anders verwendet!“

Bis zur Zwangsversetzung des Lehrers im Jahre 1894, massiv vorangetrieben durch den Bürgermeister, gab es noch manche Reiberei zwischen den beiden Parteien. 1883 hatte der Lehrer Embser von der Gemeinde, für 21 Mark, aus eigener Tasche, ein Grundstück gepachtet, auf dem er für den Biologieunterricht Bäume mit den Schülern pflanzen wollte. Das passte dem Bürgermeister nicht. Er kaufte das verpachtete Grundstück und verbot der Schule die Anpflanzung von den Bäumen.

Eine weitere Geschichte ereignete sich im gleichen Jahr. Am 14. Juli 1893 sollte der ehrwürdige Herr Bischof im Ort einkehren. Damals war es durchaus üblich diesen Besuch gebührend zu würdigen. Der gesamte Ort wurde festlich geschmückt. Alle gaben ihr Bestes, um dem hohen Gast einen würdigen Empfang zu bereiten. Leider war unser Lehrer Embser zu dieser Zeit durch sein Rheumatismus, bedingt durch die widrigen Bedingungen im Schulsaal, krank gestellt. Dennoch bat er seine Vertretung, den Herrn Lehrer Schneider, schriftlich, seinen Sohn Viktor für den Nachmittag des 13. Juli frei zu stellen, damit dieser den Arbeiten zur festlichen Schmückung des Ortes beiwohnen konnte, so wie alle anderen Schüler auch. Da Bürgermeister Dietz irgendwann Wind von diesem Ansinnen bekam, verhängte er im Nachhinein eine Verwarnung wegen Schulversäumnisses gegen den Schüler Viktor Embser.

Wenn ich derartige Geschichten in den Chroniken finde, freue ich mich ein kleines Bisschen. Nicht wegen der Konflikte, die damals ausgetragen wurden, sondern, weil man merkt, dass man es mit Menschen zu tun hat. Ganz normale Menschen, der eine mag den anderen, der andere kann den einen nicht ausstehen. So war es damals, so ist es heute. Embser und Dietz waren zwei Antagonisten. Da hat die Chemie nicht gestimmt (die Physik auch nicht). Aber durch die überlieferten Berichte fangen beide Personen an vorm inneren Auge zu leben. Embser wäre niemals so frontal in Angriffsstellung gegangen, wenn ihm seine Schule, samt Schüler, nicht am Herzen gelegen hätte. Und Dietz wäre niemals 35 Jahre Bürgermeister gewesen, wenn er seine Sache nicht gut gemacht hätte.

Robert Julius Dietz war definitiv eine bedeutende Person in der Kyllburger Geschichte. Er hat vom Dreikaiserjahr bis zur Inflation und den Revolutionsbestrebungen alles mitgemacht. Sein Tod war unglaublich spektakulär. Vielleicht gönn’ ich ihm auch mal einen wohlwollenderen Artikel. Er hätte es verdient.

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